Kapitel 37

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Jisung

Ich stocherte lustlos in meinem Essen herum. Die Situation mit Changbin schlug mir auf den Magen und ich hatte schon seit Tagen keinen Appetit. Chan und ich hatten die übrigen Member mobilisiert und waren gemeinsam zur Rechtsabteilung gegangen. Diese hatten uns Aussagen über Changbins Fall aus Datenschutzgründen verweigert. Wir hatten versucht ihnen zu erklären, dass ein Missverständnis vorliegen musste, doch da uns Changbin nichts genaueres zu seiner Situation in der Schule erzählt hatte, wussten wir auch nichts was wir zu seiner Verteidigung vorbringen konnten.

Ich griff nach einem Stück Karotte und kaute langsam darauf. Chan hatte Changbins Eltern angerufen und diese hatten berichtet, dass sie ihre eigenen Anwälte einschalten würden, um gegen die Entscheidung des Labels rechtliche Schritte einzuleiten. Changbins Eltern hatten gute Kontakte und ich war zuversichtlich, dass er bald wieder mit uns trainieren würde, doch ich machte mir große Sorgen um ihn.

Seine Mutter hatte ihn schon seit Tagen nicht mehr erreichen können und wollte morgen endlich vorbeikommen, um nach Changbin zu sehen. Ich hoffte, dass sie sich beeilen würde, denn ihr Sohn hatte sich seit Tagen in seinem Zimmer verkrochen und wechselte mit niemandem ein Wort.

„Denkst du an Changbin?", fragte mich Minho mit Mitgefühl in seinem Blick. Seitdem wir uns wieder vertragen hatten, zeigte Minho mir eine ganz neue Seite von sich, eine verletzlichere. Ich mochte diese Seite viel lieber, als die distanzierte. Nickend griff ich nach einem weiteren Stück Gemüse und begann es zu kauen. „Ich weiß, dass du dir große Sorgen um ihn machst, aber du darfst deswegen nicht aufhören richtig zu essen. Du hilfst Changbin auch nicht, wenn du einen Hungerstreik anfängst."

Ich hob müde einen Mundwinkel. „Das ist kein Hungerstreik. Ich habe einfach keinen Appetit. Es ist wahrscheinlich psychosomatisch..."
Minho nickte und legte mir ein kleines Stück Hähnchenfleisch auf den Teller. „Wenn ich dich in der Situation irgendwie unterstützen kann, dann sag mir das ruhig, ja?"

Mir schossen Tränen in die Augen. Jetzt machte sich Minho Sorgen um mich, weil ich mir Sorgen um Changbin machte.
„Fuck, hab ich was falsches gesagt?"
„Nein", schluchzte ich leise. „Das sind die Hormone..."
„Du bist nicht schwanger, Jisung", meinte Minho und schlang die Arme um mich. „Was ist denn los?"
„Ich weiß es doch auch nicht. Ich bin einfach fertig mit den Nerven..."

Nachdem mir Minho beruhigend den Rücken gestreichelt hatte, räumte er den Tisch ab und führte mich auf seine Couch. Wir setzten uns und ich spielte mit dem Ärmel meines Pullovers herum.
„Ich bin wirklich schlecht in solchen Dingen, Jisung... bitte sag mir was ich machen kann..."
„Lass uns einfach das Thema wechseln. Ich glaube ich muss auf andere Gedanken kommen..."

Minho griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Es lief ein Drama, das ich nicht kannte und Minho zappte ein wenig durch die Kanäle, bis er sich für eine Gameshow entschied. Die Kandidaten mussten allerlei absurde  Prüfungen bestehen, um die Chance auf ein Preisgeld zu erhalten.

Nach einigen Minuten wanderten meine Gedanken und ich konnte mich nicht mehr auf das Geschehen konzentrieren. Da Minhos Couch recht klein war, hatte dieser seinen Arm auf die Rückenlehne gelegt, damit wir uns nicht berührten. Vorsichtig legte ich meine Hand auf sein Bein. Minho warf mir einen irritierten Blick zu. Dann entspannte er sich und konzentrierte sich wieder auf die Show. Millimeter um Millimeter ließ ich die Hand an seinem Oberschenkel nach oben wandern. Minho schien es gar nicht zu bemerken, so vertieft war er in die Sendung. Er diskutierte lautstark mit dem Host und lachte über die tollpatschigen Kandidaten. Mir fiel auf, dass ich sein lautes und unbeschwertes Lachen mochte.

Träge wanderte meine Hand zu seiner Schenkelinnenseite. Ich starrte geradeaus auf den Bildschirm, doch mein Fokus lag allein auf Minho. Unschuldig strich ich noch ein Stück höher. Da hörte ich Minho scharf die Luft einziehen. Ein schelmisches Lächeln unterdrückend, blickte ich weiterhin auf den Fernseher wie als wäre nichts. „Jisung...", begann Minho mit gepresster Stimme.
„Ja, Hyung?", fragte ich und blinzelte ein paar Mal unschuldig mit den Wimpern. Ich wusste, dass ihn das früher angeturnt hatte. Meine Hand verließ ihren Pfad nicht und wanderte entschlossen weiter.

„Was soll das werden?", fragte Minho mich, Verlangen und Unschlüssigkeit vermischten sich in seinem Blick. „Lass es uns herausfinden...", raunte ich in sein Ohr und kletterte rittlings auf seinen Schoß. Er lege mir die Hände auf die Hüften und starrte mich erschrocken an. „Aber Jisung... was..."
Der Rest seines Satzes wurde von meinem Kuss verschluckt. Seine Lippen fühlten sich auf meinen so vertraut an. Wagemutig leckte ich mit meiner Zunge über seine Unterlippe. Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle, doch auch dieses Geräusch dämpfte ich mit meinem Mund.

Meine Hände legten sich auf seine muskulöse Brust und Schulter und ich lächelte genießerisch. Ich hatte Minhos perfekten Körper ebenfalls vermisst. Plötzlich wollte ich ihn unbedingt nackt sehen und seine Muskeln bewundern.

Ich griff nach seinem Shirt und begann daran zu ziehen, doch Minho hielt meine Hände fest. „Jisung..."
Ich ignorierte ihn und zerrte weiter an seinem Oberteil. „Jisung...", versuchte er es wieder. Ich schlug seine Hände weg. „Han Jisung!", sagte Minho nun mit kräftiger Stimme.

„Was tust du denn da?", fragte er und schob mich von sich herunter. Ich zog mir ein Kissen vor die Brust. Auf einmal fühlte ich mich nackt. „Ich wollte mit dir schlafen...", gab ich zu. Minhos Blick wurde weich und er griff nach meiner Hand. Dann drückte er sie sanft als er anmerkte „Wir sind aber noch nicht bereit für so einen großen Schritt."

„Was meinst du? Wir haben doch schon oft miteinander geschlafen. Das wäre doch nicht das erste Mal."
Minho nickte nur, dann senkte er verschämt den Blick. „Damals war es mir auch noch nicht so ernst mit dir wie jetzt. Ich will dieses Mal alles richtig machen. Ich möchte mit dir auf Dates gehen, bis du irgendwann zustimmst, mein Freund zu sein. Dann will ich dich kuscheln, küssen und dann will ich dass du über Nacht bleibst. Ich will keinen bedeutungslosen Sex mehr, Jisung... ich will dein Herz..."

Ich schlug die Hände vor den Mund. Mir schossen schon wieder Tränen in die Augen. Ich hätte niemals zu träumen gewagt, dass Minho sich mir so öffnen würde. Und das alles nur, weil ich ihn benutzen wollte, damit es mir besser ging. Ich fühlte mich auf einmal schmutzig.

Ich zog die Knie an die Brust und legte die Stirn darauf ab. Meine Augen hielt ich fest zugekniffen, damit keine Tränen herauslaufen konnten. Als ich mir sicher war, dass ich nicht weinen würde, blickte ich auf.
Minho sah mich schweigend an. Dann erhob er sich von der Couch und wandte mir den Rücken zu. Er stütze sich mit einer Hand am Türrahmen ab und atmete tief ein und dann aus. „Es ist in Ordnung, wenn du keine Beziehung mit mir möchtest", stieß er hervor. „Mir ist eine Freundschaft mit dir lieber, als dich nicht in meinem Leben zu haben."

Ich sprang auf. „Nein! Das ist es nicht! Ich glaube ich bin gerade nicht in der Verfassung eine solche Entscheidung zu treffen. Kannst du mir bitte mehr Zeit geben?"
Minho biss sich auf die Unterlippe, dann nickte er kurz.

„Ich denke, ich sollte dann jetzt gehen und nach Changbin sehen...", erklärte ich. „Sehen wir uns morgen?", fragte ich, als ich im Begriff war, die Wohnungstür zu öffnen. „Ja, das würde mich freuen. Tschüss, Han Jisung", meinte Minho mit sanfter Stimme. Dann drückte er mir einen leichten Kuss auf die Stirn. Als er sich von mir löste, schob er mich auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter mir. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass seine Wangen glühten. „Tschüss, Minho Hyung...", sagte ich zur Tür.

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