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Zitternd begann Seojun seine Nachtschicht mit einem Rundgang. In den dunklen Gängen war es kalt, vor allem in denen, die im Keller lagen, doch er zitterte unterdessen auch, weil er Angst hatte. Umso näher er der Zelle mit der flackernden Lampe kam, dessen blinkendes Licht im Gang schon vom weiten zu sehen war, desto tiefer ins Gesicht zog er seine Mütze und desto öfter wischte er seine schwitzenden Handflächen an der Hose ab.
Doch es brachte alles nichts. Er musste da vorbei, mehr noch, musste prüfen, ob alles in Ordnung war, musste registrieren, ob alle das Abendessen zu sich genommen hatten und musste sogar einem Insassen eine Medizin verabreichen. Das war seine Routine. Und das war nie ein Problem gewesen. Doch die Frau und das Mädchen, welche in ebendieser Zelle untergebracht waren, bewirkten in ihm ein Aufkommen von längst verloren geglaubten Gefühlen. Sie waren seine Familie. Dagegen konnte er sich nicht wehren.

Mit ausdruckslosem Blick und unruhigen Händen trat er an das Gitter. Normalerweise verhielten sich die Menschen in ihren Zellen wie Spinnen. Sie saßen in einer Ecke oder lehnte an der Wand, lagen still, wie eingefroren, in ihren Betten, streckten sich, weil sie sich sonst nicht viel bewegen konnten, und starrten die meiste Zeit vor sich hin. Ab und zu unterhielten sich die Insassen in Gemeinschaftszellen, aber immer, wenn Seojun herantrat, verstummten sie, blickten ihn müde, skeptisch an oder schauten genauso ausdruckslos wie er selbst drein. Manchmal taten sie auf nett, zwinkerten ihm aus einer Laune zu, oder bemühten sich, ihm Sympathie abzugewinnen. Doch das hörte schnell auf, wenn sie sich eingestehen mussten, dass sie daraus keinen Vorteil gewannen.

Heute war das anders. Innerlich seufzte Seojun. Er hasste Veränderungen. Sie störten den Frieden, den er sich über das letzte Jahr versucht hatte aufzubauen.
Er sah also, wie die fünf Insassen in einem Kreis auf dem kalten Boden saßen und tuschelten. Nur schwer konnte er sie in dem verwirrten Licht erkennen. Doch unter den Schatten sahen ihre Gesichter ernst und geheimnisvoll aus, ja es machte aus ihnen völlig neue, abschreckende Kreaturen. Ob sie etwas ausheckten? Aber was sollten sie schon machen können?
Seojun überlegte, das Ereignis zu melden und noch einmal darauf aufmerksam zu machen, dass die Überfüllung der Zellen die Gefahr erhöhe, dass sich Gruppen bilden. Denn gerade in den letzten Tagen war ihm auch auf den Straßen eine Unruhe aufgefallen. Er hatte Leute von Protesten reden hören. Das hatte er erst nicht interessant gefunden, aber so langsam war es unvermeidbar, sich auf Blind und Taub zu stellen.

Es muss schon eine Minute vergangen sein, in der er dort gestanden und beobachtet hatte, bevor er von einem korpulenten Mann mit Glatze bemerkt wurde. Er bedeutete den anderen, sofort zu schweigen und ging auf den Wärter zu, wahrscheinlich, um auf seine Präsens aufmerksam zu machen.
Erst dann fing dieser an, die gewöhnlichen Fragen zu stellen und die Antworten zu notieren. Er verabreichte der älteren Frau ihre Medizin und wollte am liebsten sofort weiter, doch da hörte er ein schwaches Husten von der hinteren Ecke.

Seojun schaute langsam auf. Mina, seine Tochter, saß auf ihrer Pritsche und zitterte. Mit bebender Stimme und ohne hochzuschauen flüsterte sie: „Es ist zu kalt hier. Wir brauchen wärmere Decken. Bitte, können Sie uns welche geben?" Und seit diesem Augenblick wusste Seojun, dass er seinem Chef niemals irgendetwas melden würde. Er würde auch nicht, wie er es sonst gewöhnt war, die Bitten und Empörungen über die unmenschlichen Umstände der Insassen ignorieren. Nein, er würde alles dafür geben, dass dieses Mädchen mit der dünnen Stimme und einem doch wohl starkem
Herzen, und ihre Mutter, dessen Herz und Lebenswille wie er wusste, genauso stark waren, dass sie beide ihren Weg zurück in die Freiheit fanden.



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Haunted Prince || YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt