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„Du willst also nicht zurück in die Stadt?", murmelte ich gegen Yoongis Hals.
Er schluckte mit Mühe. Nicht nur seine körperliche Schwäche war die Ursache für das Zittern in seiner Stimme, als er sagte: „Nein. Zu riskant."
Daraufhin setzte ich mich traurig auf, sodass ich ihm ins blasse Gesicht schauen konnte. Nie zuvor hatten wir unterschiedliche Meinungen gehabt, was unser Vorgehen betraf.

„Wir können nicht für immer hierbleiben und uns verstecken. Ich vermisse unseren Hof und die Tiere dort. Manchmal denke ich darüber nach, was mit ihnen passiert ist... ob sich um sie gekümmert wurde."
„Deinen Tieren geht es gut, Jiminie."
„Woher willst du das wissen?"
„Es hat Vorteile, zwei Jahre im Wald verbracht zu haben. Und vor Soldaten wie diesen würde sicher jedes Tier flüchten. Ich habe sie gewarnt."
„Du hast die Tiere gewarnt?" Ungläubig und doch mit dem Schatten eines Lächelns schüttelte ich den Kopf und lehnte mich in die samtigen Sofakissen. Yoongi zog sich die Decke wieder über den Körper und sank ebenfalls tiefer in den Stoff.
„Einhörner.", flüsterte er und wandte sich ab.

„Aber meiner Mutter und meiner Schwester geht es im Gefängnis bestimmt schlecht.", bestand ich auf meine Meinung. „Ich werde jeden Tag unruhiger, merkst du es nicht? Ich weiß nicht, ob ich dich dafür beneiden kann, dass du so gelassen bleibst."
Auf einmal wollte ich, dass Yoongi meine Tränen sah. Zuvor hatte ich es vermeiden wollen, dass er merkte, wie ich unter der Angst um meine Familie litt, doch wenn Yoongi sich nicht mit bloßen Worten überzeugen ließ, musste ich andere Mittel anwenden. Und die Tränen kamen so oder so. Nur dieses Mal rannte ich nicht weg. Ich suchte Yoongis nachdenkliche Augen, die ruhevoll auf mir lagen.

„Warum willst du nicht hin?", hauchte ich und klammerte mich an die Decke, sodass sie wieder von Yoongis Schulter rutschte. Er beugte sich zu mir und nahm meine Hände. Sorgsam befreite er den Stoff von meinem verzweifelten Griff.
„Die Vision, Jimin. Es handelt sich um dieses Fest."
Verbittert schüttelte ich den Kopf. „Du kannst dem nicht davonrennen, Yoongi! Es wird passieren, ob du willst oder nicht. Und lass es lieber bald sein, ich halte das nicht mehr aus..."
Anstatt der Decke drückte ich jetzt Yoongis Hände, ein wenig zu kräftig, sodass er zusammenzuckte. Entschuldigend strich ich über seinen Handrücken. Ein schwarzes Loch schien in mir zu wachsen und nahm mir die Luft und jede Kraft. Ich sackte in mich zusammen. Mein Körper knickte einfach ein, als würde er nicht aus Knochen bestehen, sondern nur aus einer heißen schleimigen Brühe, welche die zarte Haut der Schale von innen auffraß. Meine Stirn klebte an unseren verschränkten Händen und ich schluchzte unkontrolliert. Nun wünschte ich doch, dass ich mich zurückgezogen hätte. Jetzt war es zu spät.

„Jimin. Du hast recht, wir gehen hin. Wir gehen hin, hörst du?"
Auch wenn dies die Worte waren, nach denen ich verlangt hatte, blieb jeder Effekt aus. Kein Gefühl des Erfolges durchströmte mich, sondern eine Menge an Tränen, die nicht zu stoppen schien.
Was, wenn er recht hatte? Würde ich nun schuld an seinem Untergang haben, weil ich ihn überredete, gegen seinen Willen, nein, gegen sein Wissen zu handeln?

„Du musst mir erzählen, was passiert ist, in deiner Vision.", forderte ich, als mein Körper mithilfe der vorangeschrittenen Zeit, den Fluss meiner Tränen endlich stoppte.
„Habe ich doch."
„Nein. Nicht alles. Du hast nicht erzählt, wo ich war. Aber ich muss da gewesen sein, Yoongi. Und du weißt es. Du willst es mir nur nicht sagen. Im Traum hast du meinen Namen gesagt und das sicher nicht grundlos."
Ein Bedauern bildete sich auf seinem Gesicht ab, dass ich zum ersten Mal bei ihm sah. Als hätte ich ihn bei etwas ertappt. Und das hatte ich in der Tat. Er senkte den Kopf und sein von den fiebrigen Tagen gewelltes Haar schmiegte sich an seine Wangen.

„Du warst auch da." Seine Stimme war klar und er blickte hoch, um eindringlich in meine Augen zu schauen. „Aber ich kann nicht sagen, was genau passiert ist. Wenn du die Wahrheit willst, musst du sie erst erleben. Bist du bereit dafür, Jimin? Was immer es ist?"
Diese Ansage verschaffte mir eine Gänsehaut, aber mein Herz war schon einen Schritt weiter als mein Kopf. „Wir haben keine Wahl.", antwortete ich und es schmerzte mehr als zuvor. Yoongi rückte wieder näher zu mir und nahm mich in den Arm.

„Egal was passiert, du musst in meiner Nähe bleiben, okay?", vernahm ich seine besorgte Stimme: „Alles was dir seltsam vorkommt, musst du mir sofort mitteilen. Und du darfst nicht unüberlegt handeln, schon garnicht ohne mir Bescheid zu sagen. Dass sollen keine Befehle oder Bedingungen sein, Jimin, denn ich würde dich niemals unter meine Macht stellen. Aber es sind Vorsichtsmaßnahmen. Ohne sie könnten wir alles verlieren. Das wollen wir beide nicht."

„Für dich gilt dasselbe, Yoongi. Und damit du es weißt, Yoongi, ich würde keinem König lieber dienen als dir."
Denn in diesen Moment kam er mir trotz allem wie jemand vor, der vor der ganzen Menge des Volkes sprechen könnte und dem tatsächlich zugehört werden würde.
Ich spürte Yoongis kalte Hand an meiner Wange und seine ernsten Augen sahen mich an. „Du solltest deinem eigenen Herzen dienen. Denn dein Herz ist das reinste und gütigste, dass ich je in einem lebenden Menschen fand." Mit einem schwachen Lächeln fügte er hinzu: „Wusstest du, dass Einhörner, die ihr Horn gegen die Brust eines Menschen halten, diesem ewige Treue schwören? Sie machen das, wenn sie spüren, dass dieser Mensch nach seinem Herzen handelt und dieses Herz die Erde zu einem besseren Ort machen kann. Es kommt äußerst selten vor. Du hast ein ungewöhnlich gutes Herz. Ich könnte das nicht zu jedem sagen."





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Haunted Prince || YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt