Rhana hielt Kaza im Arm und stand zitternd vor der Brücke, die sie zur Direktorin bringen würde. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und ihr Herz drohte aus ihrer Brust zu springen, so schnell schlug es. Trotzdem versuchte Rhana ihre Atmung zu beruhigen. Sie musste diese Brücke überqueren. Es gab keinen anderen Weg zur Direktorin, das wusste sie. Hoffentlich war sie auch da.
Rhana starrte auf den Boden, sodass sie alles um sich herum ausblenden konnte. Langsam setzte sie einen Schritt vor den anderen, doch als ein Windstoß zwischen den Säulen hinwegfegte, strauchelte sie.
Was hatte die Direktorin gesagt? Sie sollte darüber nachdenken, was anderes war, wenn sie kletterte.
Nur was war anders? Wenn sie kletterte, stand sie nicht frei, sondern an den Felsen gelehnt. Ihre Finger fest um die Vorsprünge.
Rhana schluckte. Vielleicht war es das.
Obwohl sie Angst hatte, jeden Moment zusammenzubrechen, weil ihre Beine nicht mehr mitmachten, trat Rhana an das Geländer heran. Sie zwang sich, nicht nach unten zu schauen, sondern nur geradeaus. Dann legte sie ihre Hand fest an die Brüstung, die hoch genug war, dass man nicht einfach darüber fallen konnte.
Es war nicht ideal, doch Rhana spürte, dass ihre Angst zumindest ein Stück weniger wurde. Ihre Schritte wurden fester, als sie weiterlief. Sie hatte es fast geschafft. Nur nicht darüber nachdenken, dass sie auf der Mitte der Brücke war.
Erneut blickte sie auf ihre Füße und den Boden unter sich. Es war alles in Ordnung. Sie musste nur einen Fuß vor den anderen setzen. Langsam, stetig, nicht aufhören.
Schließlich hatte sie es geschafft und atmete erleichtert durch. Trotzdem waren ihre Schritte noch immer sehr wackelig und Rhana war klar, dass sie blass sein musste. Ihr lief sogar kalter Schweiß über die Stirn, weshalb sie sich über diese wischte. Kaza dabei weiterhin an sich gedrückt.
Rhana blickte zu ihr nach unten und strich ihr sanft über die Schnauze. »Wir sind gleich da. Dann wird dir geholfen«, versicherte Rhana, obwohl sie selbst nicht genau wusste, ob das stimmte.
Rhana setzte ihren Weg fort und je weiter sie lief, desto leichter fiel es ihr. Das Zittern ließ nach und sie beruhigte sich wieder. Trotzdem fühlte sie sich erschöpft, als sie am Zimmer der Direktorin ankam und leicht anklopfte.
Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Tür auch schon. Allerdings saß Nae hinter ihrem Schreibtisch und sah mit einem Lächeln auf. »Komm rein«, sagte sie sanft und deutete auf eine Ecke, in der ein Sofa stand.
Rhana konnte jedoch nicht ruhig bleiben. Sie trat ein und die Gefühle platzten aus ihr heraus. »Kaza geht es nicht gut«, sagte sie aufgeregt, bevor sie ohne richtig Luft zu holen, erzählte, was im Bad geschehen war.
Nae erhob sich, kam langsam auf Rhana zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Atme erst einmal tief durch«, bat die Direktorin und schob Rhana langsam zum Sofa.
Diese ließ sich darauf fallen und legte sich Kaza auf den Schoß. »Ich mache mir wirklich Sorgen«, brachte Rhana leise hervor, während sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken.
Es waren nicht nur die Sorgen um Kaza. Auch die Tatsache, dass sie sich hier nicht wirklich wohlfühlte, machte es ihr nicht leicht.
Nae ging vor ihr in die Hocke, um sich Kaza besehen zu kennen. Ihre Finger stricken über die Schuppen und dann sanft über ihre Schnauze. »Sie steht unter Schock, ist aber ansonsten nicht verletzt«, beruhigte die Direktorin Rhana. »Gib ihr etwas Zeit. Zeige ihr, dass alles in Ordnung ist.«
Rhana nickte abgehackt. »Wäre es möglich ... eine Leine oder sowas für sie zu machen? Damit sie nicht direkt in die nächste Gefahr rennt, wenn ich kurz nicht aufpasse?« Die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen, denn es fühlte sich falsch an, ihre Erkundungen so zu unterbinden, doch die Gefahr, dass sie erneut in Schwierigkeiten kam, war zu groß.
Nae musterte Kaza nachdenklich. »Es ist unüblich, aber ich verstehe deinen Punkt. Kaza scheint mir sehr naiv zu sein«, bemerkte sie und erhob sich langsam, bevor sie Rhana einen Tee und für Kaza ein Stück Fleisch brachte, das diese jedoch nur mit einem kurzen Blick bedachte. »Du solltest mit Idris reden. Er kann dir da sicher helfen«, überlegte Nae schließlich laut, bevor sie sich zu Rhana an den kleinen Tisch setzte und ebenfalls eine Tasse Tee nahm.
»Idris?«, fragte Rhana überrascht. Er hatte immerhin Kaza im Bad gerettet. Es kam ihr seltsam und irgendwie falsch vor, ihn um Hilfe zu bitten. Generell war sie nicht der Mensch, der gern andere fragte.
Nae nickte. »Ja. Er schneidert und kann dir sicher ein passendes Geschirr für Kaza anfertigen. Dank ihm haben die meisten Drachen mittlerweile auch passende Sättel bekommen.«
Das klang wirklich interessant, auch wenn Rhana nicht genau wusste, was sie von Idris halten sollte. Er wirkte auf sie einsam und irgendwie ausgegrenzt. Was vielleicht daran lag, dass Yuvan sie sofort in Beschlag genommen hatte. Etwas, von dem Rhana auch noch nicht wusste, was sie damit anfangen sollte. »Darf ich fragen, wie viele Schüler aktuell hier sind?«, fragte sie, denn sie hatte da so eine Vorahnung.
»Aktuell mit dir und Lewin vier«, erwiderte Nae.
Rhanas Augen weiteten sich. Sie hatte natürlich damit gerechnet, dass es wenige Schüler waren, doch nicht, dass sie, Lewin, Idris und Yuvan die einzigen waren. Wenn sie aber so darüber nachdachte, war das vielleicht gar nicht so falsch. Drachen waren selten, also waren Drachenreiter noch seltener. Schon allein die Aufgabe einen Drachen zu finden, war nicht sonderlich einfach. Wie viele an diesem Punkt wohl gescheitert waren, weil kein Drache Interesse an ihnen gehabt hatte?
»Das sind wirklich wenige«, bemerkte Rhana, die auf einmal das Gefühl hatte, die Last auf ihren Schultern würde erneut wachsen. Sie hatte diese Sache doch nur angenommen, weil sie gehofft hatte, etwas über ihre Eltern herauszufinden, doch nun wurde ihr klar, dass sie in etwas viel Größeres hineingerutscht sein musste.
Drachenreiter waren die Eliteeinheiten der Göttertiere. Das hatte Königin Suna gesagt, doch was genau das beinhaltete, konnte sich Rhana noch immer nicht vorstellen. Nichts hier wirkte so, wie sie es erwartet hatte. Statt der militärischen Akademie schien eher alles familiär und persönlich.
Rhana wusste noch nicht, was sie davon halten oder wie sie damit umgehen sollte.
Ihr Blick wanderte zu Kaza, die sie noch immer leicht kraulte.
Egal, wie es gelaufen war, sie war froh, Kaza kennengelernt zu haben. Sie war so süß, dass ihr Anblick allein Rhana beruhigte. Als wäre sie ein Teil von ihr, von dem Rhana bisher gar nicht gewusst hatte, dass er ihr fehlte.
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Die Akademie der Drachen - Das Mal des Todes (Band 1)
FantasyBand 1 der geplanten Dilogie. Rhana ist bald 18 und erbt die Handelsgesellschaft ihres verstorbenen Vaters. Allerdings läuft nicht alles so, wie sie es sich gewünscht hatte. Stattdessen bekommt sie eine Einladung der Königin von Savrana, die sie mit...