Als Rhana das Büro der Direktorin verließ, fühlte sie sich kalt und erschöpft. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte es abgelehnt Urlaub für eine Hochzeit zu nehmen, doch das musste sie Lewin noch irgendwie beibringen und davor hatte sie Angst. Wie sollte sie es ihm sagen oder würde er es von Nae erfahren?
Vermutlich hätte sie nachfragen oder Nae direkt darum bitten sollen, doch sie war Lewins Verlobte. Es sollte ihre Aufgabe sein, doch sie hatte Angst. Alles in ihr sträubte sich davor.
Völlig gedankenverloren bemerkte sie gar nicht, dass sie vor der Brücke stehengeblieben war und diese anstarrte.
Ihre Gedanken kreisten um die baldige Hochzeit und Lewin.
Wie sollte sie es ihm sagen?
»Hier bist du«, erklang eine gut gelaunte Stimme, die Rhana heftig zusammenzucken ließ.
Als sie aufsah, bemerkte sie Lewin, der gut gelaunt zu ihr über die Brücke schlenderte. Sein breites Grinsen verunsicherte Rhana sehr.
Sie schluckte und zwang sich zu einem leichten Lächeln, doch es gelang ihr nur spärlich. »Wie hat dir mein Geburtstagsgeschenk gefallen?«, fragte sie und nahm ihre Hände. »Freust du dich schon?«
Rhana konnte zuerst nicht ganz folgen, doch dann verstand sie, dass Lewin diese Hochzeit zusammen mit dem Urlaub wohl als Geschenk betrachtete.
Rhanas Mund wurde trocken. Was sollte sie jetzt sagen. »Die Direktorin erlaubt es nicht«, brachte sie schließlich hervor, obwohl das nicht ganz richtig war. Allerdings war es das Einzige, was sie sagen konnte, um Lewins Wut nicht direkt auf sich zu beziehen.
Dieser starrte sie einen Moment verwirrt an, bevor er wütend wurde. Rhana sah es an seinem Blick, der eine eindringliche Note hatte.
»Was soll das heißen?«, knurrte er und sein Griff um Rhanas Hände wurde fester.
Rhana schluckte leise. »Die Zeit ist ungünstig«, gab sie von sich und hoffte, dass Lewin sich nicht von seiner Wut darüber leiten ließ.
Sein Gesicht zeigte jedoch deutlich, dass er vor Wut kochte. »Wie kann sie nur ...«, knurrte er, wobei Rhana nicht wusste, was sie tun sollte. Sie hatte das Gefühl sich nicht bewegen zu dürfen, damit sie ihn nicht noch wütender machte.
Plötzlich packte Lewin ihre Schultern und drückte sie an die Steinwand. Diese bohrte sich unangenehm in ihren Rücken und Rhana schloss für einen Moment die Augen. Im nächsten spürte sie Lewins Gesicht nah bei ihrem, bevor er ihr die Lippen auf seine drückte.
Rhana riss ihre Augen auf, während sich ihr Körper völlig versteifte. Was tat er da?
In Rhanas Magen rumorte es, während ihr schlecht wurde. Es fühlte sich überhaupt nicht so an, wie sie sich ihren ersten Kuss vorgestellt hatte. Stattdessen fühlte sie sich irgendwie schmutzig und ausgenutzt.
Trotzdem konnte sie sich einfach nicht bewegen. Sie wollte ihn von sich schieben und wegrennen, doch ihr Körper machte nicht mit.
Lewin löste sich von ihr und fixierte Rhana mit ihren Augen. »Du gehörst mir. Wir werden so schnell wie möglich heiraten«, sagte er entschieden, was bei Rhana nur dafür sorgte, dass ihr noch schlechter wurde.
Bevor sie jedoch etwas dazu sagen konnte, erklang die Stimme von Lir, der nach Lewin rief.
Dieser ließ sofort von Rhana ab, richtete sein Oberteil und wandte sich in Richtung der Stimme. Bevor er jedoch ging, sah er noch einmal zu ihr. Ein Blick, der Rhana das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er wirkte irgendwie wild und gefährlich. Auf eine Art und Weise, die Rhana gar nicht gefiel.
»Mach bloß keine Dummheiten«, flüsterte er, bevor er sich auf den Weg zu Lir machte, der auf der anderen Seite der Brücke stand. Er musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen und sah dann zu Rhana. »Du bist zu spät«, bemerkte er mahnend. »Außerdem hast du nichts bei der Direktorin zu suchen. Sie hat nicht nach dir gerufen.«
Rhana hörte, dass Lir nicht begeistert war, doch Lewin schien sich davon nicht stören zu lassen. »Rhana hat Höhenangst und Mühe über die Brücke zu kommen. Ich wollte ihr nur helfen«, sagte er unschuldig und blickte dann zu Rhana zurück. Ein Lächeln auf den Lippen, das auf Rhana mehr wie eine Maske wirkte. »Stimmt doch, oder?«
Rhana konnte nicht anders, als einfach nur stumm zu nicken. Sie wollte nur, dass er ging.
Lir stieß die Luft aus. »Das gibt trotzdem die nächste Verwarnung«, bemerkte Lir angespannt.
»Wir sind verlobt und bald verheiratet«, merkte Lewin fast schon herausfordernd an.
»Noch seid ihr aber nicht verlobt, also halt dich von ihr fern, wie es die Schulregeln erfordern«, knurrte Lir, der nicht begeistert klang.
Rhana hörte die Beiden zwar, doch so richtig folgen konnte sie nicht.
Sie war nur froh, als beiden in den Tunneln verschwanden und sie zurückließen.
Rhana rutschte an der Wand hinab und zog ihre Beine an sich, da kam Kaza quietschend zu ihr und stieß ihr Köpfchen gegen ihr Kinn, bevor sie mit ihrer rauen Zunge über Rhanas Wange fuhr.
Es kitzelte, doch Rhana war nicht zum Lachen zu Mute. Vor allem nicht, als sie bemerkte, dass ihr die Tränen liefen.
Langsam streckte sie die Hand nach Kaza aus, um sie zu streicheln. Es war ihr Versuch, sich zu beruhigen.
Sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte. Lewin wollte die Hochzeit und eigentlich sollte sie sich an die Vereinbarung halten, doch ihre Gefühle Lewin gegenüber waren in den letzten Wochen so sehr abgekühlt, dass sie ihn nicht einmal mehr als Freund betrachten würde. Aber wie sollte sie diese Verlobung auflösen, ohne dadurch das Erbe ihrer Eltern zu verlieren? Immerhin war sie auf Lewins Familie angewiesen, um ihre Handelsgesellschaft zu behalten.
Kaza schnupperte an ihrem Mund, bevor sie sich aus ihren Armen befreite und vorsichtig an ihrem Rock zog.
Rhana schluchzte leise und zog die Beine noch mehr an sich. Sie wollte jetzt nicht aufstehen. Alles fühlte sich so schwer an, dass sie einfach nur noch sitzenbleiben und weinen wollte.
Kaza fiepte und betrachtete Rhana eingängig, bevor sie erneut an ihrem Rock zog.
Als diese jedoch nicht reagierte, löste sie sich und hopste los, über die Brücke.
Rhana sah ihr kurz mit tränennassen Augen hinterher. Scheinbar konnte nicht einmal Kaza sie ertragen, wenn sie so eine Heulsuse war. Etwas, was Lewin schon früher an ihr kritisiert hatte.
Natürlich wusste sie, dass es nicht brachte, wenn sie weinte, aber ihre Gefühle spielten so sehr verrückt, dass sie einfach nicht wusste, was sie sonst tun sollte.
DU LIEST GERADE
Die Akademie der Drachen - Das Mal des Todes (Band 1)
FantasyBand 1 der geplanten Dilogie. Rhana ist bald 18 und erbt die Handelsgesellschaft ihres verstorbenen Vaters. Allerdings läuft nicht alles so, wie sie es sich gewünscht hatte. Stattdessen bekommt sie eine Einladung der Königin von Savrana, die sie mit...