14: Eine Menge Gäste

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Aus dem Büro drangen immer schlimmere, lautere Beleidigungen. Ich war entsetzt. Die Tigerschwestern sagten Sachen, die ich nicht mal meinem schlimmsten Feind an den Kopf geworfen hätte!
„Hört auf, das ist ja nicht auszuhalten!", rief Mr. Blackheart, doch es half nichts.
Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Von drinnen klang purer Hass, das reine Böse zu mir heraus. Warum hatte ich nur lauschen wollen? Ich wünschte mir nur noch, dass es aufhörte.
„Das reicht!", donnerte Mr. Blackheart, „Was habe ich euch gerade eben gesagt?!" Die drei Tigerinnen schwiegen endlich, ich hörte, wie ein Stuhl verrutscht wurde.
„Wenn das nicht klappt, bekommt ihr alle drei einen Verweis!", drohte er, „Verstanden?"
„Ja... sorry...", murmelte jemand, ich konnte allerdings nicht erkennen, wer. Sowieso hatte ich jetzt ganz andere Probleme, denn offensichtlich war die Ansprache vorbei. Das hieß, gleich würden die drei aus dem Büro kommen, und wenn ich dann noch hier stand, hatte ich ein Problem. Ich rannte los, so schnell ich konnte, schlidderte um die Kurve in die Aula und durch den Haupteingang. Dann links und so schnell es ging zu den Hütten. Erst, als ich meine Hütte schon sehen konnte, blieb ich stehen.
„Warum rennst du?", fragte mich plötzlich jemand. Erschrocken wirbelte ich herum. Hinter mir stand Alex, der Waschbär-Wandler. Ich hatte ganz vergessen, dass er auch in dieser Hütte wohnte!
„Windwalker-Angelegenheit. Geht ein Landtier wie dich nichts an!", gab ich knapp zurück und ging durch die Tür, ohne einen weiteren Blick zurück. Shiva war auch schon in unserem Zimmer. Als er mich sah, sprang er vom Bett auf.
„Was war los?", wollte er besorgt wissen.
„Mr. Blackheart wollte, dass wir Windwalker mehr mit den Landtieren unternehmen!", erklärte ich.
„Was?! Das kann er doch nicht erwarten!", regte sich Shiva auf. Ich jedoch war nicht sauer auf den Schulleiter, denn in Gedanken war ich schon auf der Besprechung mit Avery.
„Findest du das etwa okay?!", fragte Shiva.
„Was? Äh, nein, ich... muss nur über etwas nachdenken", murmelte ich abwesend und sah auf die Uhr. 13.50Uhr. In zehn Minuten musste ich auf der Lichtung sein!
„Ich muss los. Avery will mich sprechen.", erklärte ich und stellte meinen Rucksack ab.
„Was hast du jetzt schon wieder angestellt?", wollte mein bester Freund besorgt wissen.
„Nein nein, das ist wegen der Sache mit den Landtieren.", beruhigte ich ihn. Eigentlich wollte ich jetzt los, aber plötzlich hörte ich wie mit einem leisen Ping! eine neue Nachricht auf meinem Handy ankam. Rasch schnappte ich es mir und las sie.

Hallo Sky, ich habe morgen frei, da werde ich die Zeit nutzen und dich mal besuchen. Ich hoffe du freust dich! Bis Morgen, Oma

„Oha.", machte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet! Aber ich freute mich. Das würde sicher cool werden! Schön zu wissen, dass wenigstens ein Familienmitglied daran interessiert war, mich zu sehen.
„Wolltest du nicht los?", erinnerte mich Shiva.
„Oh, ja, danke. Bis gleich!" Ich beeilte mich, nach draußen zu kommen. Dann sprintete ich los, über die Wiese auf die andere Seite der Schule, wo das Baumhaus war. Dort schlüpfte ich ins Gebüsch und bahnte mir einen Weg zur Party-Lichtung.
»Wohin willst du, Adler-Junge?«, fragte plötzlich jemand. Ich sah mich um, konnte aber niemanden erkennen. Doch dann sah ich dunkle, wolkenförmige Flecken auf grauem Fell. Eine Katze kam aus dem Gebüsch. Kein niedliches Haustier, aber auch nicht so groß, stark und furchteinflößend wie die Tigerschwestern. Das war doch Luna, das Nebelparder-Mädchen!
»Wohin willst du?«, wiederholte sie.
„Windwalker-Angelegenheit. Geht Landtiere wie dich nichts an", erklärte ich knapp. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit!
»Das hast du vorhin auch zu Alex gesagt. Wer sind die Windwalker?«, fragte Luna. Ich überlegte. Eigentlich hatte sie das nicht zu interessieren, aber vielleicht würde sie mich in Ruhe lassen, wenn ich es ihr erklärte?
„Die Windwalker sind eine Clique. Wir haben Spaß und machen Party und helfen uns gegenseitig. Schönen Tag noch", verabschiedete ich mich und wollte weiter. Doch Luna stellte sich mir in den Weg.
Wie kommt man da rein?, fragte sie, in ihren Augen schimmerte Aufregung.
„Um reinzukommen, musst du Flügel haben", erklärte ich.
Oh, machte sie und ließ den Kopf hängen.
Könntest du nicht eine Ausnahme machen? Bitte, nur ein mal! Für mich?, bettelte sie. Ich schaute sie genervt an. Ich hatte keine Zeit!
„Nein! Und jetzt lass mich durch, ich habe einen Termin!", raunzte ich sie an. Stumm trat sie beiseite. Ich vergaß das Treffen im selben Moment, als ich mich an Luna vorbeischob. Meist merkte man sowieso nicht mal, dass sie existierte!
Ich beeilte mich, endlich zur Lichtung zu kommen. Sicher warteten die anderen schon auf mich!
„Sky! Schön, dass du da bist!", begrüßte mich Avery.
„Hi", meinte ich und stellte mich zu ihr, Nicola und Vincent, die schon da waren.
„Alles klar, wir warten also nur noch auf Yuna und Vera", erklärte Avery. Im selben Moment raschelte es in den Büschen und Yuna kam auf die Lichtung. Vera folgte ihr.
„Hallo, sind wir zu spät?", erkundigte sich Vera.
„Nein, alles gut. Lasst uns anfangen. Ihr wisst ja schon, dass uns Mr. Blackheart zwingen will, die Landtiere in unsere Clique aufzunehmen. Was wir keinesfalls tun werden. Hat jemand eine Idee, wie wir das dem ehrenwerten Herrn Schulleiter", sie verdrehte die Augen, „erklären werden?" Dann sah Avery uns an.
„Wie wär's, wenn wir ihm erklären, die Landtiere kämen halt nicht zu uns hoch. Da können wir ja nichts für...", schlug Vera zögerlich vor. Avery legte nachdenklich den Kopf schief. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
„Nicht... schlagkräftig genug. Oder stark oder so. Andere Ideen?" Daraufhin sagte erstmal niemand mehr etwas.
„Wir könnten eine Petition gegen Landtiere starten. Wir sind schließlich 15, die Hälfte der Klasse... oder?", meinte Yuna.
„Nein, das würde der Schulleiter nie akzeptieren. Außerdem kann man mit einer Petition nicht entscheiden, ob wer irgendwo rausfliegt. Und mit Lehrern und Eltern sind wir auch überstimmt...", gab ich zu bedenken. Avery nickte. Dann war es wieder still. In meinem Kopf arbeitete es. Wie konnten wir den Schulleiter überreden, uns in Ruhe zu lassen?
„Wenn wir sagen, die Landtiere hätten eine schlimme Krankheit...", meinte Vincent.
Wir schauten ihn an, als wäre er verrückt geworden. Damit war auch diese Idee vom Tisch.
„Wir könnten die anderen Schüler erpressen. Damit sie sagen, sie hätten was mit uns gemacht, ohne dass es stimmt.",  sagte Nicola, ihre Stimme war hart und ohne jede Betonung. Ich sah Avery die Zweifel an.
„Wir haben nicht genug Leute, um allein die Tigerinnen zu kontrollieren. Und außerdem ist das viel zu viel Arbeit! Und wenn's rauskommt, fliegen wir von der Schule."
Moment, fliegen? Aber natürlich!
„Warum ist uns das überhaupt wichtig?", warf ich in die Runde. Jetzt hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Was meinst du?", wollte unsere Anführerin wissen.
„Ich meinte, wir sind Windwalker. Sie können uns nicht hierfesthalten, wir sind nicht auf sicheren Boden angewiesen! Wenn sie uns zum Nachsitzen verdonnern, fliegen wir weg und keiner kann uns folgen! Versteht ihr?", erklärte ich. Um mich herum nickten alle, anscheinend sahen sie das genauso. Dann wurde es jedoch leise, als alle auf die Reaktion unserer Anführerin warteten. Ihr Wort war Gesetz, das wusste ich.
„Ich finde, das ist eine hervorragende Idee.", sagte Avery. Die anderen sahen sich nachdenklich an und fingen nach und nach an zu nicken. Ich hörte ein paar zustimmende Worte.
„Windwalker vor!" Wir erschraken fürchterlich, als plötzlich Faeye vom Himmel fiel. Geduckt und mit ausgebreiteten Armen landete sie direkt in unserer Mitte. Sie riss die Hände hoch und jubelte. Dann stutzte sie, kicherte verlegen und sah uns an. Wir schauten verblüfft zurück.
„Äh...ja. Also, dann... äh... bis... später... haha...", stammelte Faeye und zog sich langsam zurück. Am Waldrand drehte sie sich um und rannte los. Wir sahen ihr wortlos nach. Alle dachten das gleiche: Wo war unser Kolibri-Mädchen hergekommen? Und was hatte sie dort gemacht?
„Alles klar, das war seltsam." Avery fand als erste ihre Stimme wieder. Wir murmelten irgendwas Zustimmendes.
„Gut, dann sind wir hier fertig. Sagt den Plan an alle Windwalker weiter. Bis Demnächst!", beendete sie die Versammlung. Wie auf ein geheimes Zeichen zerstreuten wir uns. Ich wollte gerade gehen, als Avery mich zurückhielt. Fragend sah ich sie an und zog die Augenbrauen hoch. Sie legte den Finger an die Lippen und wartete, bis die anderen weiter weg waren.
Dann fing sie an zu sprechen.
„Also, weißt du, Sky. Äh,... hast du morgen gegen sechs Zeit?", fragte sie. Ich überlegte. Morgen kam meine Oma, aber sie würde ja nicht bis abends bleiben, oder?
„Also, eigentlich... ja. Müsste gehen. Wieso?", wollte ich wissen.
„Einfach so. Treffen wir uns am Parkplatz der Schule?", fragte Avery. Ich nickte und sie lächelte mich an.
„Okay, dann bis morgen!", verabschiedete ich mich.
„Bis morgen, Sky!" Avery verwandelte sich und stieg in den Himmel auf. Ein paar Augenblicke später war sie verschwunden.
Ich ging zurück zu meiner Hütte, wo ich Shiva den Plan erklärte.
„Alles klar", Shivas Augen blitzten, „ich bin dabei!"

„Sky! Wiederhole doch bitte, was ich gerade gesagt habe!" Ich schreckte hoch. Mrs. Blackheart sah mich über die Tischreihen hinweg streng an. Ich kramte in meinem Gedächtnis. Gerade war es um irgendeine Formel gegangen... zum Strom?
„Äh... Das U in der Formel steht für... die Spannung.", verkündete ich erleichtert. Physik war und blieb mein Hassfach! Dennoch war ich froh, dass meine Antwort anscheinend richtig war.
„Gut. Schau jetzt bitte nach vorn, damit ich auch sehen, dass du aufpasst." Ich seufzte. Allerdings nur sehr leise, damit Mrs. Blackheart mich nicht hörte.
Als die Stunde endlich aus war, hatte ich es sehr eilig, nach draußen zu kommen.
„Machen wir wieder Hausaufgaben?", fragte Shiva.
„Na ja, wenn du mit Hausaufgaben ,lernen' meinst...", neckte ich ihn. Schließlich sollten wir hier so gut wie nie Hausaufgaben bekommen, damit wir uns auf Tests und lernen konzentrieren konnten. In der letzten Woche hatte das in Mathe zwar nicht so gut geklappt, aber heute hatte es Mrs. Blackheart endlich verstanden. Wahrscheinlich unter anderem, weil sich Lou mal bei ihrem Mann – dem Schulleiter – beschwert hatte.
„Jaja, was auch immer. Kommst du?"

„Du bist nervös.", stellte Shiva fest, der neben mir am Parkplatz stand.
„Gar nicht! Ist ja nicht der Ratsvorsitzende persönlich, nur meine Oma", sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm. Dabei war ich wirklich etwas nervös. Jeden Moment würde meine Oma hier ankommen! Ich hoffte so, dass sie stolz auf mich war, wenn sie sah, was ich mir aufgebaut hatte und wie ich in der Schule mitkam. Ich wartete auf ein Motorengeräusch, doch ich hörte nichts. Trotzdem ertönte kurz darauf die Stimme meiner Oma.
»Hallo, wo kann ich denn hier, ah, passt schon, hier geht's. Ach, da bist du ja, Sky. Nein, nein, ich bin hier oben!«
Ich sah hoch und staunte nicht schlecht, als ich einen prächtigen braunen Steinadler ganz oben auf dem Schuldach sitzen sah. Jetzt streckte meine Oma die Flügel und glitt zu uns herab. In ihren Klauen baumelte ein kleiner Stoffbeutel, den sie mit Mühe mitschleppte.
»Kann ich mich hier irgendwo verwandeln?«, fragte sie mich. Ich nickte und führte sie ins Hauptgebäude, sie zerrte den Beutel mit sich. Unter der Treppe gab es Toiletten, dort konnte sich meine Oma ungestört verwandeln. Als sie wieder herauskam, staunte ich nicht schlecht. Wie hatte sie in diesem winzigen Stoffbeutel all ihre Klamotten untergebracht? Auch Shiva starrte meine Großmutter an, aber wahrscheinlich eher aus Neugier.
„Hallo. Ich bin Karaji. Wer bist du?", fragte sie ihn.
„Shiva, Graureiher. Freut mich.", begrüßte mein bester Freund sie höflich. Er hatte in seiner Menschenkunde-Nachhilfe schon viel gelernt!
„Na dann? Was willst du mir alles zeigen?", fragte mich meine Oma. Ich ging nochmal alles durch, was ich mir überlegt hatte.
„Lass uns als erstes in die Cafeteria gehen. Uns wurde ein Tisch freigehalten. Komm mit, ich zeig dir alles!", rief ich und lief los. Sie folgte mir die Treppe hoch in die zweite Etage, dann weiter in die dritte. Hier blieb sie stehen und ließ ihren Blick über die wenigen Schüler schweifen, die noch hier waren. Shiva ging mit einem höflichen Gruß zum Windwalker-Stammtisch.
„Hübsch.", stellte sie fest und hockte sich an den Tisch, der für uns bestimmt war. Ich holte uns was zu essen und setzte mich gegenüber.
„Also dann, erzähl mal!", forderte sie mich auf und ich fing an. Die Sache mit Leni und den anschließenden Ärger ließ ich wieder weg. Meine Oma hörte mir lange zu, bis ich fertig war.
Immerhin mussten wir zweieinhalb Wochen aufholen! Natürlich nichts im Vergleich zu den acht Jahren, die sie meine Eltern und uns nicht gesehen hatte. Meine Oma hörte mir aufmerksam zu.
Nach dem Essen wollte sie ein bisschen mit meinen Lehrern reden und ich hoffte einfach, dass sie nicht Mrs. Blackheart erwischte. Doch als sie zurückkam, sah sie sehr zufrieden aus.
„Deine Lehrer sind ja wirklich nett!", meinte sie, „Und anscheinend bist du auch ein guter Schüler! Und du hast Freunde hier." Ich hörte nicht mehr zu, denn gerade hatte ich etwas entdeckt: Ein paar zusammen getackerte Seiten Papier flatterten durch die Cafeteria. Dank meiner scharfen Augen sah ich die Titelseite mit der fetten Schlagzeile sofort:
TIGERSCHWESTERN VERWÜNSCHEN EINANDER
Die kleineren handelten von
WINDWALKER WERDEN ERPRESST
Und von
MASSENSCHLÄGEREI AUF DEM SCHULHOF.
Oh nein. Wenn meine Oma das sah, war ihr guter Eindruck ruiniert! Leider fragte sie mich jetzt: „Wo schaust du hin?" und folgte meinem Blick. Ich stürzte mich auf die provisorische Zeitung. Nur Millisekunden bevor meine Oma die Zeile lesen konnte.
„Tigerschwestern... was? Was stand da, Sky?", fragte sie.
„Äh... Tigerschwestern... feiern Geburtstag.", behauptete ich.
„Okay. Hast du die Zeitung mit produziert?"
„Nein, das... war eine Mitschülerin.", erklärte ich, als ich auf der letzten Seit Faeyes Namen stehen sah. Da war auch ein Beitrag über unsere Versammlung gestern! Faeye war wirklich überall! Doch meine Oma interessierte die Zeitung schon nicht mehr. Ich atmete auf und stopfte sie in meine Jackentasche.
„Magst du diese Schule?", wollte sie wissen. Ich nickte und meine Großmutter lächelte.
„ Dann... gefällt es dir an Land? Willst du immer noch zurück?", fragte sie dann.
„NATÜRLICH will ich zurück!", erwiderte ich sofort heftig. Doch dann merkte ich, dass ich mi9r nicht mehr sicher war. Vielleicht sollte ich doch an Land einen Job machen? Dann könnte ich meine Freunde weiterhin sehen... Nein, Segeln war und blieb mein Traum!
„Oh. Klar. Natürlich, warum habe ich überhaupt gefragt?", meine Oma lächelte, doch es sah seltsam gezwungen aus. Ich versuchte alles, aber die gute Stimmung war dahin.
Wenig später flog meine Großmutter wieder ab. Ich sah ihr betroffen nach. Was hatte ich falsch gemacht? War sie mir sehr böse?

Windwalkers - Der Ruf des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt