43: Leuchtender Himmel

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„Sky? Hast du zugehört?", riss mich Phils Stimme aus meinen Gedanken.
„Wa-was?!", machte ich und setzte mich auf. Die Cafeteria schon ziemlich leer, wir waren die letzten, die zu Abend aßen.
„Seit du Avery besuchen musstest, ist nichts mehr mit dir anzufangen.", stellte Lou fest.
„Die hat ihm wohl doch noch den Kopf verdreht.", stichelte June.
„Nein, definitiv nicht.", erklärte ich und meinte es auch so. Mit Avery wollte ich nichts zu tun haben. Die fünf Katzen-Wandler sahen mich an.
„Also, da ich annehme, dass du nicht zugehört hast, sag ich's nochmal.", meinte Luna jetzt, „Ich finde Silvester viel zu laut und zu bunt und zu wuselig, weshalb ich auf keinen Fall mitfeiern werde."
„Und meine Idee war, dass sie so tun könnte, als wäre ihr schlecht, um zu ins Krankenzimmer zu können.", ergänzte Phil. Ich zweifelte ziemlich an dieser Idee.
„Mrs. Shygirl merkt doch auf den ersten Blick, dass dir nichts fehlt.", gab ich zu bedenken, „Warum versuchst du es nicht einfach? Alle kommen mit. Und im Notfall kannst du sicherlich kurz irgendwo Pause machen oder so." Doch Luna schüttelte den Kopf.
„Es ist zu laut. Im Umkreis von fünfhundert Baumlängen hörst du es noch, ganz egal, wie tief du deinen Kopf im Moos vergräbst."
„Fünfhundert Baumlängen? Könntest du das bitte mal in Flügelschläge oder Seemeilen umrechnen?", scherzte ich.
„Wieso Seemeilen?", wollte Phil wissen. Ich erstarrte, mein Lächeln gefror. Oh Mist! Jetzt hatte ich mich verplappert! Wenn sie rausfanden, dass ich als Adler auf einem Boot im Meer gelebt hatte, würden sie mich bis in alle Ewigkeit auslachen! Was würden die Windwalker sagen? Ich war so mit Sorgen machen beschäftigt, dass ich zu spät bemerkte, dass ich eigentlich hätte antworten sollen.
„Also... ich... äh... habe neulich einen Internetartikel zu Seemeilen gelesen und fand... sie... interessant.", behauptete ich. Die Katzen-Wandler sahen mich an.
„Nimmt dir keiner ab.", informierte mich Lou und ich meinte zu hören, wie lustig sie das fand. Verzweifelt suchte ich nach einer besseren Erklärung.
„Ja, ich habe... die mal in der... Schule... gehabt." Sie sahen mich weiterhin an.
„Nimmt dir auch keiner ab." Ich funkelte Lou an, die daraufhin belustigt grinste. Was wollte sie hören?
„Ich kenne keine andere menschliche Maßeinheit?", schlug ich vor. Noch bevor Lou seufzend den Kopf schüttelte, wusste ich, dass auch das nicht die richtige Ausrede gewesen war.
„Nimmt dir immer noch keiner ab." Ich holte tief Luft, um ihr zu erklären, dass ich selbst Augen im Kopf hatte und sie mir glauben sollte, als Luna sich zu Wort meldete.
„Lasst ihn doch. Jeder hat ein Geheimnis.", behauptete sie. Jetzt sah Lou das Nebelparder-Mädchen an und grinste belustigt. Scheinbar glaubte sie auch das nicht. Doch schon fing Luna an, aufzuzählen.
„June die Rüschen.", sofort wurde die Tigerin knallrot, „Sophie das um drei", die jüngste am Tisch räusperte sich verlegen, „Phil das mit... du weißt, wen ich meine", Phil setzte sich aufrechter hin, „Und Lou... ich sag nur mal Mäuse.", Lou sah betreten zu Boden, doch ich konnte sehen, wie sie rot anlief.
„Und du hast kein Geheimnis, oder was?", motzte June.
„Doch, natürlich. Erst einmal habe ich all eure Geheimnisse. Und dann habe ich noch zwei eigene... zwei über den Himmel.", erklärte sie.
„Wo waren wir?", fragte Sophie, die offensichtlich genug von dieser Geheimnis-Sache hatte.
„Luna wollte eine Ausrede für Silvester.", erinnerte Lou sie. Luna nickte.
„Aber wie wäre es, wenn du es wirklich versuchst? Gegen die Lautstärke haben die Menschen was erfunden, sie nennen es Ohrstöpsel, wenn du dir die in die Ohren stopfst, hörst du nichts mehr.", schlug Phil vor. Ich nickte nachdenklich.
„Können wir versuchen.", willigte Luna ein. Also bekam sie (natürlich unbenutzte) Ohrstöpsel von Phil, die er immer zum Schlafen brauchte, und wir gingen raus auf die Wiese. Luna drehte sich um, während wir hinter ihr versuchten, Krach zu machen. Zwar kam Mrs. Twenty vorbei, um sich zu beschweren, dass wir zu laut waren, aber immerhin schien es zu funktionieren.
„Okay.", meinte Luna schließlich, „Damit könnte es klappen." Wir freuten uns natürlich, dass sie doch mitkam, und stießen darauf gleich mal an. Schon morgen war es so weit! Morgen begann ein neues Jahr!

„Hierher, Redcliff High hierher!", rief Mr. Jolly und winkte uns durch die Menge. Es waren noch einige andere Leute hier, die scheinbar ebenfalls Feuerwerk machen wollten. Wir waren gerade mit einem gemieteten Bus eine halbe Stunde weit weggefahren, um mit den Menschen und vor allem außerhalb des Waldes Feuerwerke in die Luft zu schießen. Ich hatte das erst einmal gemacht, deshalb war ich – genau wie einige, die als Tier aufgewachsen waren – ziemlich aufgeregt. Luna hatte sich die Ohrstöpsel in die Ohren gesteckt und schien damit recht zuversichtlich zu sein.
Kaum kam der Bus zum Stehen, sprangen wir von unseren Sitzen auf und drängten uns hinaus. Es dauerte, bis wir alle auf dem Platz standen. Doch schließlich versammelten wir uns alle um Mr. Blackheart und Mr. Jolly, die einige Feuerwerkskracher dabeihatten und an uns verteilten. Natürlich zeigten sie uns erst nochmal, wie man die Raketen gefahrlos zündete, bevor wir durften. Doch dann hielt ich meine erste Rakete in der Hand und wartete darauf, dass ich das Feuerzeig weitergereicht bekam.
Einige wollten auch keine Kracher zünden, um die Umwelt nicht zu verschmutzen, was ich auch irgendwie verstehen konnte. Nachdenklich schaute ich die Rakete an, die ich hielt. Sollte ich sie auch zurücklegen? Es war eigentlich nichts als schlecht, sie in die Luft zu jagen, erstens wegen dem Lärm und zweitens wegen dem ganzen Müll, der ja auf die Erde zurückfiel. Ich überlegte.
„Hier Sky." Das Feuerzeug wurde mir in die Hand gedrückt. Ich sah mich um. Immerhin waren wir schon am Rande der nächsten größeren Stadt... also vielleicht war es doch gar nicht so schlimm? Nein, es änderte eigentlich nichts. Unentschlossen blickte ich zwischen Rakete und Feuerzeug hin und her. Erst, als mir von hinten auf die Schulter getippt wurde, gab ich mir einen Ruck.
„Nein danke, ich will doch nicht.", ich gab das Feuerzeug samt Rakete weiter. Keine Ahnung, ob das die richtige Entscheidung gewesen war, aber ich war ja nicht der Einzige, der nicht knallen wollte. Also gesellte ich mich zu Luna, Summer, Kiki und Shiva, die ebenfalls nichts in die Luft jagten. Luna drückte mir grinsend einen Becher Kinderpunsch in die Hand.
„Ich glaube, die Menschen sagen Frohes neues Jahr, oder?", fragte sie. Ich nickte und nahm einen Schluck vom heißen Punsch. Er schmeckte überraschend gut. Vielleicht würde das zu meinem neuen Lieblingsgetränk werden?
„Gleich fängt das neue Jahr an!", rief irgendwer, woraufhin sich prompt alle Blicke zum Himmel richteten. Wir schätzten anhand der Sterne die Zeit ab... aber Mr. Blackhearts Uhr, die er in die Luft hielt, war trotzdem um einiges genauer.
„Oh ja, nur noch fünf Minuten!", stellten Summer und June gleichzeitig fest. Sofort funkelte June ihre Zwillingsschwester an, die jedoch nur die Augen verdrehte. Sophie blicke auffällig unauffällig in eine andere Richtung. Luna stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite.
„In Menschenkunde wurde gesagt, alle sollen sich sowas vornehmen. Um ein besserer Mensch zu werden und so. Ich habe schon was. Du auch?", wollte sie wissen. Ich nickte und schaute ernst zurück.
„Ja.", ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern und beugte mich ein Stück näher zu ihr, damit niemand mithören konnte.
„Ich habe mir vorgenommen, diese Erpresserbande zu finden und aufzuhalten." Auch Lunas Blick wurde ernst, ihr Lächeln verschwand.
„Das ist eine sehr gute Idee. Ich habe mir vorgenommen... mutig zu sein.", erzählte sie dann. Ich nickte, in Gedanken schon wieder ganz woanders. Ich hätte die Erpresser nicht erwähnen sollen, jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken. Was, wenn sie jetzt gerade versuchten, die Schule anzugreifen? Oder wenn sie sich jetzt gerade wieder auf dem Gelände besprachen, wenn...
„Sky? Mach dir darüber jetzt keine Gedanken.", befahl Luna mir plötzlich, „Schau dir mal das ganze Feuer-Krach-Zeug an, das da in der Luft rumfliegt, das leuchtet so schön." Sie zeigte in den Himmel hinauf. Ich folgte ihrem Blick und musste ihr zustimmen. Mittlerweile hatten auch die Menschen angefangen, ihre Raketen zu zünden. Über uns leuchteten einige grüne, blaue und gelbe Funken auf.
Ich versuchte, auf Luna zu hören und meine schlechten Gedanken beiseitezuschieben. Ganz klappte es nicht, aber ich schaffte es, zumindest ein paar Minuten lang nicht daran zu denken.
„Noch zwanzig Sekunden bis Mitternacht! Holt euch alle noch einen Punsch, dann können wir anstoßen!", rief Faeye, die aufgeregt durch die Schülermenge hindurchsauste und mit den Armen wedelte. Ich beeilte mich, mir noch etwas einzuschenken und mich zu den anderen zu gesellen, die sich mal wieder um Mr. Blackheart schaarten.
„Noch zehn Sekunden!", fing Phil den Countdown an, wir stimmten natürlich sofort mit ein.
„Neun! Acht! Sieben! Sechs! Fünf! Vier! Drei! Zwei! Eins! Frohes Neues!", jubelten wir und stießen mit voller Wucht die Becher zusammen. Es klirrte, eine Kirchturmuhr schlug und dann explodierten etwa 2.000 Feuerwerkskörper gleichzeitig über uns.
„Frohes neues Jahr, June!"
„Frohes Neues!"
„Viel Glück im neuen Jahr, May!"
„Danke, dir auch, Oliver!"
Ich hörte zu, wie sich alle beglückwünschten. Etwas verloren stand ich daneben, unsicher, wem ich Alles Gute wünschen sollte. June hatte sich gerade Sophie zugewandt und Phil stand etwas weiter weg, es wäre doof, sich zu ihm durchzudrängen. Die Windwalker kamen auch nicht infrage, und die Lehrer schon gar nicht!
„Hey Sky. Frohes neues Jahr.", ertönte plötzlich eine leise Stimme hinter mir.
„Danke Luna.", ich drehte mich um, erleichtert, doch noch angesprochen zu werden, „Dir auch ein frohes neues Jahr." Sie lächelte mich an.
„Und, bereust du es, mitgekommen zu sein?", fragte ich sie, gerade mal so laut, dass sie es hörte. Luna schüttelte den Kopf und lächelte noch breiter.
„Nein. Definitiv nicht. Danke, Sky." Wir grinsten uns an und stießen nochmal die Becher zusammen.
„Hoffen wir, dass wir unsere Vorsätze einhalten können!", meinte ich und sah entschlossen zu Mr. Blackheart hinüber. Luna biss sich auf die Lippe.
„Ja. Hoffen wir das.", erwiderte sie, es klang irgendwie unsicher. Aber ich redete mir ein, mich verhört zu haben. Sicherlich zweifelte sie nicht daran, dass wir uns diesen Erpressern stellen können würden! Ich musste das positiv sehen.
Aber erstmal sollte ich an etwas anderes denken. Also sah ich wieder in den Himmel, schaute dem Feuerwerk der Menschen zu. Es knallte, leuchtete und funkelte, der ganze Himmel war hell und bunt. Ganz kurz blickte ich zu Yuna hinüber, doch ich verfluchte mich sofort dafür, als ich sah, wie sie mit Vincent knutschte. Okay. Ich tat gut daran, sie abzuschreiben.
„Sky?", rettete mich Luna, „Könntest du mir kurz... helfen?" Ich drehte mich um und ging mit ihr ein Stück von der Gruppe weg.
„Womit denn helfen?", fragte ich sie. Luna sah mich nicht an.
„Bei meinem Vorsatz.", sie hob den Blick, „Ich weiß viel, aber ich weiß nicht, wie ich ihn halten soll." Ich starrte sie an. Sie starrte zurück. Natürlich! Plötzlich hatte es in meinem Klick gemacht, die Puzzleteile hatten sich zusammengefügt.
„Nein.", murmelte ich, „Du weißt nicht, wie du es mir sagen sollst!" Luna wirkte wie eingefroren. Das hatte in meinem Wichtelgeschenk gestanden! Dann... beim großen Wind, das konnte doch nicht sein! Nein, ich musste mich irren! Doch als ich Luna ansah, war sie knallrot geworden. Sie wusste, worum es ging. Also war sie es.
„Du hast mir den Brief geschrieben.", sprach ich es aus, „Du hast mir das Geschenk gemacht!" Luna nickte einfach. Ich atmete tief durch, um mich für den bevorstehenden Satz zu wappnen. Dennoch bekam ich ihn kaum über die Lippen.
„Du bist in mich verliebt.", stellte ich fest, meine Stimme klang entsetzt und ungläubig. Luna bleib wie erstarrt stehen. Auch ich konnte mich einen Moment lang nicht rühren. War das möglich? Nein, das konnte doch einfach nicht sein! Aber ich hatte keine andere Erklärung.
„Ja, Sky. Ich bin in dich verliebt.", flüsterte Luna. Sie konnte mich nicht ansehen, ich sie aber auch nicht. Eine Welle von heißem Scham und Übelkeit brach über mich hinein, ich fühlte mich total falsch und überflüssig. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Aber scheinbar reichten meine aufgerissenen Augen und mein großer Schritt rückwärts, um Luna zu sagen, was ich davon hielt.
„Es tut mir leid. Ich... kann auch einfach gehen, wenn du... das... möchtest.", murmelte sie. Ich bewegte mich noch immer nicht. Hastig trat auch sie zurück und drehte sich um, um zu den anderen zu gehen. Ihre Schritte wurden immer schneller, bis sie fast schon rannte. Sie floh vor mir, vor der Peinlichkeit, vor meiner abstoßenden Reaktion.
Ich schaffte es nicht, mir rechtzeitig eine Entschuldigung zu überlegen, konnte vor Verwirrung nur zusehen, wie sie wieder zwischen den anderen. Schülern verschwand. Dann sah ich sie nicht mehr. Dennoch starrte ich weiterhin mit aufgerissenen Augen ins Leere.
Luna? In mich verliebt?! Das konnte doch nicht sein! Aber sie hatte es ja selbst zugegeben. Beim großen Sturm, was sollte ich nur tun, wenn ich sie wiedersah? Beim Frühstück würde sie sicherlich dabei sein, sie hing schließlich immer mit der Katzenclique rum.
Was sollte ich tun, wenn sie mich ansprach?! Schon beim Gedanken daran spürte ich, wie meine Wangen anfingen zu brennen und mir kalte Schauer über den Rücken rannen. Das durfte doch einfach nicht sein! Ich wusste einfach nicht, was ich jetzt machen sollte. Es war mir so unfassbar peinlich, dass Luna in mich verliebt war! Was, wenn sie es jemandem erzählte? Das wäre furchtbar. Konnte ich sie überhaupt noch normal ansehen?

Es dauerte, bis ich mich dazu durchringen konnte, zu den anderen Schülern zurückzugehen. Ich betete einfach, Luna nicht zu treffen, doch natürlich lief ich ihr geradewegs in die Arme. Hastig stolperte ich zurück und Luna wich mir aus, bevor sie rasch den Blick abwandte und sich entfernte. Ich sah sie nicht an, doch trotzdem wusste ich, dass sie enttäuscht war.
Sie hatte sich schließlich mir gegenüber geöffnet, hatte mir etwas anvertraut... und ich hatte sie nur verekelt angestarrt und hatte nicht mal versucht, ihr hinterherzulaufen.
Aber ich konnte mich noch immer nicht dazu bewegen, zu ihr zu schauen oder mich zu entschuldigen. Die gesamte Situation war einfach nur peinlich, am liebsten hätte ich mich auf mein Bett geworfen, mir die Decke über den Kopf gezogen und diese ganze Sache einfach vergessen.
Ich hatte doch wirklich schon genug Probleme! Und jetzt auch noch das mit Luna... dabei brauchte ich sie doch! Wir arbeiteten gegen die Erpresser zusammen! Und es war durchaus so, dass ich sie als gute Freundin angesehen hatte. War das jetzt alles zerstört? Konnte ich je wieder normal mit ihr reden?

Windwalkers - Der Ruf des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt