Kapitel 26

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Eds PoV:

So fühlte sich komplette Verzweiflung also an.



Ich ließ die letzten Stunden Revue passieren. Wie ich fast 30 Minuten im Restaurant auf sie gewartete hatte. Wie ich dann ins Badezimmer gestürmt war, um sie dort leblos auf dem Boden wieder zu finden. Danach hatte ich mit zitternder Stimme nach Hilfe gerufen und versucht, sie hochzuheben, um einen Herzschlag zu finden. Der Rettungswagen war gekommen. Die Sanitäter hatten mir Fragen gestellt. Doch ich hatte keine Antworten gehabt. Ich hatte selber viel zu viele Fragen.

Warum hatte sie mir nicht schon vorher gesagt, dass es ihr schlecht ging und sie Schmerzen hatte? Dann hätte ich ihr helfen können und wir wären direkt zum Arzt gefahren. Was war so schlimm daran, den Mund aufzumachen? War ihr nicht klar, dass sie nicht länger nur Verantwortung für sich selber trug? Dass sie ein Lebewesen, das praktisch meine Zukunft war, in sich hatte? Diese und andere wurden nicht beantwortet, sie schwebten einfach hier in diesem kahlen Raum herum, während die anderen Menschen, die hier ebenfalls saßen, Antworten bekamen. Egal, ob es gute oder schlechte waren, ich war neidisch auf sie. Wie viel hätte ich dafür gegeben, einfach in den OP, wo sie jetzt, den Ärzten ausgeliefert, lag, zu stürmen und herauszufinden, was los war und wie es ihnen ging. Mir wurde nur gesagt, dass die Lage ‚ernst' sei. Offiziell hatte ich ja noch nicht einmal das Recht dazu, hier zu sein oder später, wenn sie nicht starb, in ihr Krankenzimmer zu gehen und ihre Hand zu halten. Mich schüttelte es bei dem Gedanken, dass ich das vielleicht nie wieder tun könnte.

Niemals hätte ich gedacht, so starke Gefühle, in so kurzer Zeit, für eine Person zu entwickeln. Verdammt. Das war mal wieder der Beweis, dass Liebe manchmal wehtat. Aber ich musste stark bleiben. Für sie. Plötzlich kam mir eine letzte, verzweifelte Idee.

Marcs PoV:

Als der Anruf aus dem Krankenhaus gekommen war, hatte ich keine Zeit für Gefühle oder Nachdenken gehabt. Schließlich musste ich sofort los um meine Schwester zu unterstützen. Selbst wenn, sie gerade nichts mitbekam, ich war als ihre Person im Notfall eingetragen, also war ich auch diese Person, selbst wenn sie mir noch nicht mal gesagt, dass sie hier in Deutschland war. Aber das zählte im Moment nicht. Was zählte war, dass ich da sein würde, wenn sie aufwacht oder...falls sie nicht aufwacht...trotzdem hier zu sein. Um...alles zu regeln. Doch das konnte nicht passieren. Nicht meiner kleinen Schwester.

Ich bekam zwar alle 30 Minuten ein Update über ihren Zustand, doch die Zeit fühlte sich wie 100 Jahre an. Plötzlich klingelte mein Telefon. „Hallo?", fragte ich verwirrt. Die Nummer war nicht in meinem Handy eingespeichert. „Hier ist Ed." Seine Stimme klang unendlich rau, als hätte er in den letzten Stunden nicht geredet. „Hi, Mann. Warst du bei ihr, als es passiert ist?", ich schluckte. „Natürlich. Aber die lassen mich nicht rein. Nur die Verwandten. Offiziell kenne ich sie ja nicht mal! Ich weiß gar nicht, was überhaupt los ist .", sagte er verzweifelt. Sofort hatte ich Mitleid, denn ich konnte mir genau vorstellen, wie er sich fühlen musste. „Ich bin hier in einem abgeschirmten Raum für Angehörige. Die letzte Info war ...ich...willst du das echt hören?", fragte ich unglücklich. „Natürlich." Ich seufzte. „Na gut...es gab anscheinend Komplikationen, aber sie versuchen alles um das Baby und Jojo noch zu retten." Ed sagte nichts mehr. „Ich kann dir Bescheid sagen, wenn es wieder etwas neues gibt.", bot ich unsicher an. „Danke.", murmelte er, vollkommen ausdruckslos und legte auf. Hoffentlich machte er jetzt keine Dummheiten, dachte ich und ließ mich erschöpft in den Sitz zurück gleiten.

Eds PoV:

Ich war mir noch nicht sicher, ob es eine gute oder schlechte Idee gewesen war, Marc anzurufen. Es ging mir nicht besser, aber wenigstens wusste ich jetzt, wie es ihnen ging. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, doch keine Träne kam über meine Wangen. Noch war doch nichts passiert, oder? Verdammt nochmal. Ich würde es nicht länger hier aushalten, ich musste hier sofort raus. Panisch sah ich mich um, es waren kaum Leute hier, also konnte ich einfach gehen und vor dem Haupteingang in ein Taxi einsteigen. Natürlich hatte ich mir vorher meine Sonnenbrille aufgezogen, selbst wenn das nur minimal half. Die meisten starrten mich komisch an, schließlich war es bereits nach ein Uhr nachts und deswegen stockdunkel. Die Paparazzi hatten das mit Jojo vermutlich eh schon rausgefunden, also war es ziemlich egal, wenn sie mich sahen. Der Fahrer fuhr mich zurück zum Hotel. Dort angekommen bezahlte ich ihn und eilte schnell zu den Fahrstühlen, damit mich niemand ansprach. Als ich alleine im Hotelzimmer war, ließ ich mich auf das riesige Bett fallen. Sollte ich jetzt schlafen? Nein, unmöglich. Ich rief Stu an.

„Warum hast du nicht früher gemeldet? Soll ich irgendeinen Krankentransport organisieren?" „Nein, die operieren ja noch." Mein Manager war zwar sauer gewesen, dass ich ihn so spät noch anrief, doch er hatte dann doch Verständnis für meine Situation und meine Gefühle gehabt. Ich tigerte, nachdem ich aufgelegt hatte, nervös in dem Zimmer umher. Das Gespräch hatte zu nichts geführt. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich schlug sie gegen eine Wand. Der Schmerz kam nicht bei mir im Gehirn an, denn ich hatte schon genug davon in den letzten Stunden gehabt. Wenn auch nur mental. Meine Faust hatte eine Delle in der Tapete hinterlassen. Verzweifelt setzte ich mich wieder auf das Bett. Mein Blick schweifte über den Raum. Wir hatten gar nichts ausgepackt. Nur Jojos Bürste lag im Badezimmer. Plötzlich sah ich meine Gitarre in einer Ecke liegen. Jetzt wusste ich wieder, warum ich sie mitgenommen hatte. Für genau die Momente, in denen es keine Worte gab. Also hob ich sie vom Boden auf, stimmte sie kurz und spielte die ersten Akkorde. Dann fing ich an zu singen.

You were just a small bump unborn,
In four months you're brought to life,
You might be left with my hair,
But you'll have your mother's eyes


Where we land || Ed SheeranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt