1

15.6K 306 28
                                    

**

„Oh, Kyle. Was machst du denn hier?" Beim Anblick meines Freundes sprang ich hastig von meinem Drehstuhl auf und musterte ihn in unübersehbarer Interesse. Es war kurz vor 22 Uhr und für gewöhnlich erhielt ich um diese Zeit keinen Besuch mehr. „Dein Dad hat mich hereingelassen...", erklärte er mit unsicherer Stimme und fuhr sich mit der linken Hand durch sein dunkelblondes Haar, das ihm lässig in die Stirn hing. „Ich, ähm, bin hier, um etwas zwischen uns zu klären", verkündete er plötzlich etwas standhafter. „Okay", ich zuckte gedankenlos mit den Schultern und erwiderte seinen durchdringenden Blick verständnislos. Wir hatten uns morgen sowieso treffen wollen, warum wartete er nicht einfach bis dahin? „Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich...", er verstummte. Allmählich wurde ich ungeduldig. Er sollte endlich mit der Sprache herausrücken! „Aber? Was möchtest du mir sagen?" Mit meiner Frag wollte ich ihm ursprünglich etwas auf die Sprünge helfen. Stattdessen schien er nur noch nervöser zu werden. Ich war verwirrt. „Es ist nur so, dass...", demonstrativ spielte er mit seiner Armbanduhr. Ich wusste zwar nicht, was das Theater sollte, doch es gefiel mir nicht. Plötzlich hob er entschlossen den Blick und sah mir geradewegs in die Augen. „Ich möchte unsere Beziehung an genau dieser Stelle beenden."

Ausgestreckt lag ich auf meinem Bett und starrte lustlos die Decke an. Es war bereits der dritte Tag nachdem Kyle mit mir Schluss gemacht hatte, doch ich wusste immer noch nicht, wie ich damit umgehen sollte. In solchen Momenten vermisste ich meine Mom, die viele Tausend Kilometer von mir entfernt lebte. Genauer gesagt in ihrem Heimatland Kroatien. Nachdem sie sich von ihrem Ehemann -und meinem Vater- Robert scheiden ließ, kehrte sie dorthin zurück. Ich hätte mitgehen können, habe es aber nicht getan. Und einer der Hauptgründe war Kyle gewesen. „Dieser verdammte Idiot!", zischte ich wütend und pfefferte eines der flauschigen Kissen, das sich neben mir auf dem Bett befand, mit voller Kraft gegen die Wand. Ich wusste natürlich, dass mir dies nicht weiterhelfen würde, doch ich machte es trotzdem. Es tat einfach verdammt gut.

„Hey, was geht?" Die verwunderte Stimme meines Stiefbruders riss mich aus meinen negativen Gedanken. Glücklich über sein plötzliches Auftreten richtete ich mich auf und lächelte ihn halbherzig an. „Du bist wieder zurück?" „Ja, und du könntest wenigstens so tun, als würdest du dich freuen." Er seufzte gespielt schwermütig auf und setzte sich zu mir. Ich spürte wie die Matratze unter seinem Gewicht nachgab. „Aber ich freue mich doch. Wirklich", beteuerte ich ernst und rutschte näher an Nathaniel heran. „Trotzdem stimmt irgendetwas nicht. Strippe dir die Probleme vom Leib, Kleines. Und glaub mir, dieses Angebot mache ich Frauen nicht alle Tage." Zum ersten Mal seit Kyles überstürzter Trennung konnte ich wieder lachen. Ich liebte Nate und seine coole Art - obwohl er nicht einmal mein richtiger Bruder war. Er ist zwar zwei Jahre älter und genauso viele Köpfe größer, aber wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander. Ich konnte nicht verstehen, wie ein abscheuliches Wesen, wie Rachel es war, einen solchen Menschen hervorbringen konnte. „Was soll ich sagen? Seit guten drei Tagen bin ich wieder zu haben. Solltest du dir überlegen." Ich klang resignierter als geplant. Eigentlich wollte ich nichts mehr, als das Ganze ins Lächerliche zu ziehen. Es funktioniert aber nicht, da a) ich Kyle wirklich liebte und b) Nate mich sowieso durchschauen würde. So war er nun mal. „Soll ich ihm zeigen was geschieht, wenn man sich mit den Whites anlegt?", schlug er streitlustig vor. Ich winkte ab: „Bloß nicht. Die Anerkennung ist er nicht wert." Er grinste amüsiert. „Ich liebe deine Einstellung, Jess. Jedes andere Mädchen wäre auf meinen Vorschlag jubelnd eingegangen." Gespielt eingebildet warf ich meine braunen Haare zurück und klimperte verführerisch mit den Wimpern. „Ich bin nun mal nicht wie jedes andere Mädchen. Zudem halte ich an dem Spruch: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen" fest." Er pfiff anerkennend durch die Zähne und klopfte mir stolz auf die Schulter. „Ich bin stolz auf mein kleines Mädchen. Auch wenn ich ganz genau sehe, dass es nur vorgibt so stark zu sein, eigentlich aber lieber heulen würde." „Bring mich bloß nicht auf falsche Gedanken!" „Okay, sorry. Ach komm..." Er legte einen Arm um mich und sprach weiter. „Du bist erst 17 und findest sicherlich noch jemanden, der dich auch wirklich verdient." Seine Worte klangen tröstlich, der Schmerz in meiner Brust ließ aber nicht nach. Kyle bedeutete mir so unglaublich viel. „Ich werde sicherlich noch meinen persönlichen Nick Bateman finden, hm?" Er lachte laut auf. „Ganz bestimmt." Ich konnte meine Beziehung zu Nate nicht begreifen. Ich liebte ihn wirklich wie einen Bruder, obwohl wir überhaupt nicht verwandt waren. Rein gar nicht. Ich beschloss ihn schließlich zu fragen, wie er das Ganze interpretierte. „Kommt es dir auch so vor, als würden wir uns von Geburt an kennen?" Er löste sich verwundert von mir und schüttelte unwissend den Kopf. „Ich bin einfach nur der Meinung, dass du die Schwester bist, die ich nie hatte." Ich nickte belustigt. Nathaniel hatte eine 'echte' Schwester, nämlich die kleine, verwöhnte Zicke Chloé. Ein Biest, keine Zweifel. „Was ist mit der zuckersüßen Chloé?", provozierte ich unschuldig, was meinen Bruder zum Lachen brachte. „Sie ist nicht meine Schwester. Ich bin mir sicher, dass sie vom Storch gebracht wurde. Oder es gab einen Sommerschlussverkauf mit zusätzlichem Rabatt auf kleine Biester? Vielleicht hatte die Hölle Tag der offenen Tür? Keine Ahnung aber so muss es irgendwie gewesen sein. Die Rotznase kann unmöglich mit einer Genialität meines Ausmaßes verwandt sein!" „Angeber." „Kann schon sein. Ich kann sie trotzdem nicht ab." Wer konnte das schon? Sie führte sich auf wie die Präsidentin der Vereinigten Staaten. Das lag aber sicherlich unter anderem auch an ihrer kranken Bindung zu Rachel, die sich genauso benahm. Ich verstand nicht, was meinem Vater an ihr gefiel. Sie war zwar hübsch, hatte aber einen abscheulichen Charakter. „Ich bin froh einen Bruder zu haben." „Geht mir umgekehrt genauso. Ich meine, jetzt kann ich endlich jemanden in den Wahnsinn treiben", er grinste schief. Das konnte ich natürlich nicht darauf beruhen lassen und bohrte nach. „Wie genau?" „Hm...", er simulierte angestrengtes Nachdenken. „Ich verklickere zum Beispiel jedem Jungen, dass du auf Frauen stehst. Nur für den Fall er könnte dir zu nahe kommen." Meine Augen nahmen die Form von Ping-Pong-Bällen an. „Nicht dein scheiß Ernst?!" „Nein." „Du Arschloch, ich dachte schon..." „Ich rate trotzdem allen Interessenten einen Abstand von mindestens 100 Metern einzuhalten. Sonst könnten sie mich etwas näher kennenlernen." Echt jetzt? Genervt verdrehte ich die Augen. „Das kannst du bei Chloé doch auch tun." Er schüttelte schnaubend den Kopf. „Also, erstens: Niemand will eine verwöhnte Zicke, die ständig rumheult. Zweitens: Wenn sie doch jemand wollen würde, was ich mir absolut nicht vorstellen kann, würde ich dazuzahlen, dass er sie auch wirklich behält." „Du bist ein schlechter Mensch", gab ich tadelnd von mir und unterdrückte das wachsende Bedürfnis loszulachen. Natürlich entging ihm meine Ironie nicht. „Du würdest genau dasselbe tun." „Möglicherweise." Wir brachen beide in schallendes Gelächter aus. „Gut, Kleines. Dein Seelen-Striptease ist für's erste beendet. Ich muss mich nun mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben beschäftigen." Er erhob sich demonstrativ und stolzierte zur Tür. „Und die wären?", forderte ich heraus und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich muss meinen Hunger mittels einer riesigen Pizza stillen. Wenn du mich also entschuldigen würdest..." Ungläubig und breit grinsend warf ich mit einem Kissen nach ihm, das ihn knapp verfehlte. „Feile an deiner Treffsicherheit, Kleines", neckte er und verschwand zwinkernd aus meinem Sichtfeld. Ich blickte ihm kopfschüttelnd nach und seufzte auf. Ein paar Minuten in der Nähe meines Stiefbruders reichten aus, um die erdrückenden Gedanken an meinem Ex-Freund zu verdrängen. Ich hatte ihn so ins Herz geschlossen, dass ich mir ein Leben ohne seine ansteckend gute Laune nicht mehr vorstellen konnte. Es gab also noch mehr als einen guten Grund in Seattle zu bleiben und nicht zu meiner Mutter zu fliegen. Kyle würde ich schon vergessen. Das wusste ich.

„Mom? Ich bin's. Kannst du mich hören?" Am anderen Ende der Leitung erklang ein ersticktes Schluchzen. Oh mein Gott. Was war passiert? „Mom! Was ist los?" Keine Reaktion. Vor Sorge zog sich alles in mir zusammen. Ist ihr etwas zugestoßen? Bitte, nicht... „Oh, hey, mein Schatz!", flötete meine Mutter keine zwei Sekunden später gut gelaunt in den Hörer. „Hast du geweint?", fragte ich verwirrt und legte die Stirn in Falten. Wieso klang sie nun plötzlich so fröhlich? „Nein. Ich schaue gerade meine Lieblingstelenovela und die Hauptprotagonistin heult sich die Augen aus dem Kopf, da John sie nicht will. Das ist aber auch nicht allzu verwunderlich. Ich meine, er sieht so verdammt gut aus und sie ist eher...na ja, sie reicht ihm einfach nicht das Wasser..." Erleichtert atmete ich aus. Das war Svetlana Cosic, wie ich sie von Geburt an kannte. Entspannt, verträumt und sehr humorvoll. Ich verstand allmählich weshalb das zwischen ihr und Dad nicht funktionierte. Sie lebten in viel zu verschiedenen Welten - sie wollte Spaß, er war ein Workaholic. Die Scheidung war offen gestanden ein guter Schachzug. Für beide. „Warum rufst du an? Macht Rachel wieder Probleme?", fragte meine Mutter misstrauisch. Sie konnte die Frau genauso wenig ab wie ich. „Nein", ich lächelte in mich hinein. „Ich habe gelernt mit ihr klar zu kommen. Mehr oder weniger. Ich rufe an, da ich Liebeskummer habe und mit irgendjemanden darüber reden will. Mit Nate habe ich es schon getan, also kommst nur noch du in Frage."

Frohe Ostern!

Ja, das hier ist die neue Story. Sie wird einmal in der Woche geupdatet und nimmt bei den Wattys2016 teil.

Mehr müssen wir eigentlich nicht sagen.

Viel Spaß :)

Mel und Lea

Break The RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt