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„Was meint sie mit Besuch?", fragte ich irritiert, während ich Nathaniels Zimmer betrat. Er schloss seufzend die Tür hinter mir und fuhr sich durch die Haare. „Darüber habe ich gerade eben mit Robert gesprochen", gestand er angespannt. Genau wie ich Rachel niemals mit Mom ansprechen könnte, so nannte auch er Dad stets bei seinem Vornamen. „Es geht um einen anerkannten Kollegen aus der Anwaltskanzlei. Marcus Lee. Er kommt mit seiner Frau Leah zum Abendessen. Aus diesem Grund veranstalten die beiden Schnepfen diese berauschende Modenschau." Bei den letzten Worten verdrehte er demonstrativ die Augen. Das erklärte natürlich so einiges. Ich ließ mich auf sein bequemes, dunkelgraues Sofa fallen, das direkt vor dem Fenster stand. Ich mochte Nates Zimmer - es war viel übersichtlicher und aufgeräumter als meines. Obwohl ich mir wirklich Mühe gab, es selbst sauber zu halten, um unsere Haushälterin Vanessa zu entlasten. Sie hatte auch so schon genug zu tun. „Und warum bist du so verspannt?", hakte ich interessiert nach und streckte meine Beine durch. Er setzte sich zu meiner Rechten und blickte starr geradeaus. Irgendetwas bedrückte ihn allenfalls. „Ich bin nicht direkt verspannt...", verkündete er unglaubwürdig, was ich mit einem spöttischen Schnauben quittierte. Er verstand den Sinn dahinter. „Okay, okay, vielleicht bin ich es doch." Na, also. Wir kamen der Wahrheit immer näher. „Es ist Marcus Lee, Jess. Er ist so etwas wie ein Star unter den Anwälten. Eine solche Position in seinem jungen Alter von 24 Jahren zu erreichen ist für gewöhnlich vollkommen unmöglich, die meisten studieren da noch. Jeder, der sich mit diesem Gebiet beschäftigt, kennt seinen Namen. Und das ist kein bisschen übertrieben." Er legte geschafft das Gesicht in seine Hände. Ich konnte seine Aufregung zwar kein bisschen nachvollziehen, doch ich verspürte großen Respekt. 24. Das war wirklich nicht viel. Der Kerl musste einfach in Kohle schwimmen. „Und wovor genau hast du Angst? Das ist doch eine großartige Möglichkeit für dich. Du willst doch schließlich ebenfalls Anwalt werden. Kontakte knüpfen und so." Energisch schüttelte er den Kopf. „Das ist es ja. Was wenn ich ihm ungeeignet vorkomme? Oder wenn ich mich irgendwie blamiere? Irgendeinen Mist von mir gebe?" „Du gibst doch immer nur Mist von dir", warf ich grinsend ein und klatschte in die Hände. Mürrisch sah er mich aus seinen grünen Augen an. „Das. Ist. Verdammt. Nochmal. Nicht. Lustig!" „Okay, okay. Schon verstanden", lenkte ich ein, ohne auf seinen lauten Tonfall einzugehen. „Ich finde nicht, dass du dir Sorgen zu machen brauchst. Dieser..." „Marcus." „...Marcus muss ziemlich gut mit Dad auskommen. Ansonsten hätte er seine Einladung ja wohl kaum angenommen. Du hast verdammt gute Karten. Bleib einfach locker und sei aufmerksam. Rede am besten auch nicht zu viel. Es ist Dads Gast - nicht deiner." Er nickte zustimmend und fuhr sich abermals durch seine weichen Haare. „Danke. Werde ich beherzigen, Sis. Und jetzt quetsch dich in irgendein hautenges Kleid und sexy High-Heels. Wir wollen doch einen guten Eindruck machen." Spielerisch zwinkerte er mir bevor ich Augen verdrehend aus seinem Zimmer brausen konnte. War ich etwa Rachel? Oder Chloé? Ich würde mir ein stinknormales Kleid aus der hintersten Ecke meines Kleiderschranks angeln und meine bequemen Ballerinas dazu anziehen. Mehr nicht.
Na gut, ich musste zugeben, dass ich schlussendlich mein schönstes ausgewählt hatte. Das lag vor allem an der Tatsache, dass ich nur drei Stück besaß. Ich warf einen letzten prüfenden Blick in meinen Spiegel und drehte mich einige Male, um mich eines akzeptablen Aussehens zu vergewissern. Ich wollte meinen Bruder nicht blamieren, indem ich einen Jutesack anzog. Obwohl sich dies für seinen einmaligen Gesichtsausdruck sicherlich lohnen würde... Ich schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben und schlüpfte in meine weißen Ballerinas. Mom hatte sie mir erst vor ein paar Wochen geschickt und sie hatten großen Gefallen bei mir gefunden. Wie alles, was sie mir zusendete. Ich prüfte noch einmal mein Make-Up und begab mich schließlich ohne Umschweife in unser Wohnzimmer, das praktisch einem Ballsaal glich. Oh Gott... „Wo bleibt das Orchester?", rief ich gespielt graziös und drückte mir den Handrücken vor die Stirn. „Wir können doch keine Gäste empfangen, wenn es kein Orchester gibt!" „Halt die Klappe", keifte klein Chloé, die in Sandalen auf mich zu stolzierte, die höher waren als all meine hohen Schuhe zusammen. Was zur Hölle? „Und so willst du Daddys Kollegen gegenübertreten?", spöttisch zog sie eine ihrer gezupften Augenbrauen in die Höhe. „Nenn ihn nicht Daddy. Er war es nie, ist es nicht und wird es auch nie sein." „Wie kannst du nur so etwas behaupten? Mommy!", weinend lief sie in die Küche, was ich lediglich mit einem genervten Augenverdrehen quittierte. Sie ging mir sonst wo vorbei. Und selbst Rachel schien das gerade ähnlich zu sehen. „Hör auf zu weinen, Chloé! Was glaubst du, wie lange ich für dein Make-Up gebraucht habe?!" Sofort verstummte sie. Das ist doch wirklich kaum zu fassen. Mit neun! Als dann zusätzlich Nathaniel herausgeputzt die Treppe hinunter joggte, fühlte ich mich wie auf einer hollywoodreifen Filmpremiere. „Ein Anzug?", quietschte ich ungläubig. „Dir entgeht aber auch nichts, oder?", abwesend rückte er seine Krawatte zurecht und räusperte sich nervös. „Oh, bitte! Ich verstehe diesen Irrsinn nicht! Klar, Marcus muss eine sehr autoritäre Person sein...aber muss man wirklich seinetwegen eine diesen Wahnsinn veranstalten?" In genau diesem Moment meldete sich die Klingel zu Wort. „Das ist er!" Entsetzen machte sich auf Nates Gesicht breit. Ich konnte es einfach nicht fassen. So würde ich mich nicht einmal aufführen, wenn plötzlich Nick Bateman vor meiner Tür stehen würde. Obwohl, die Hand ins Feuer legen, könnte ich dafür nicht. Mein Vater Robert erschien aus dem Nichts und ging festen Schrittes selbstsicher zur Tür. Wenigstens eine Person schien sich hier noch beherrschen zu können. „Guten Abend, Marcus. Guten Abend Leah." Dad's warme Stimme ertönte, als er unsere Gäste vornehm begrüßte. Schade, dass er weder mit mir, noch mit Nate auf diese Art und Weise umging. Unser Verhältnis wäre sicherlich um einiges besser. „Guten Abend, Robert", eine weitere, raue und zugleich sehr tiefe Stimme erklang, was mein Herz innerhalb Sekunden zum Hyperventilieren brachte. Um Gottes Willen, wie konnte man sich nur so ... verführerisch anhören? Wie hypnotisiert starrte ich zur Tür, wo zunächst Leah eintrat und anschließend er. Was ich sah verschlug mir die Sprache, während meine Lungen ihren Dienst verweigerten. Ein für meine Verhältnisse ziemlich großer, gut gebauter Mann, der wie 1-Million-Dollar aussah, unterhielt sich angeregt mit meinem Vater. Ich holte tief Luft um den Mangel irgendwie auszugleichen und schloss schwer atmend die Augen. Ich verstand nicht was da mit mir geschah. „Oh, hi. Bist du Roberts Tochter?" Als ich meine Augen wieder öffnete, stand Marcus' Frau direkt vor mir und reichte mir freundlich ihre Hand. Ich brauchte einige Momente um wieder auf den Planeten Erde zurückzukehren und zwang mich den Blick von dieser Perfektion eines Mannes abzuwenden. „Ja, ähm, ich bin Jessica", stotterte ich vollkommen durch den Wind und ergriff für einen kurzen Moment ihre kleine, zarte Hand. „Schön, Sie kennenzulernen, Mrs. Lee." Ich dankte Gott in Gedanken, dass ich mir doch tatsächlich den Nachnamen gemerkt hatte. Sie schenkte mir noch ein letztes Lächeln, woraufhin sie auch schon von Rachel in Beschlag genommen wurde. Sollte mir nur Recht sein. „Jessica, gesell dich doch bitte kurz zu uns. Ich muss dir jemanden vorstellen." Gott, nein! Bloß nicht. Wie benebelt drehte ich mich zu meinem Vater und sah ihn flehend an. Lediglich Nate runzelte die Stirn, Dad dagegen grinste mich glücklich an. „Na, komm schon." Auf zitternden Knien schritt ich unsicher in Richtung der drei Männer, die dicht beieinander standen. Ich musste hier weg. Konnte aber nicht. Alles wurde schlimmer, als ich registrierte, dass der Blick des unverschämt attraktiven Mannes auf mir ruhte. Ich schwor mir, mich umzubringen wenn ich hinfallen sollte. „Jess, das ist Marcus Lee, ein guter Freund und begnadeter Anwalt", prahlte Robert und deutete mit seiner Hand auf meinen Gegenüber. Ich wusste wer er war und brauchte eigentlich keine weiteren Erklärungen. Konnte ich nicht einfach gehen? Ich rang mich zu einem halbherzigen Lächeln durch und flüsterte ein leises: „Hallo." „Hallo", gab er mit heiserer Stimme zurück und hielt mir die geöffnete Hand entgegen. Verdammt. Nein. Bitte. Nicht. Mit rasendem Herzen legte ich schließlich meine Hand in die Seine und erstarrte. Anstatt sie - wie ich eigentlich erwartet hatte - zu schütteln, führte er sie langsam an seine vollen Lippen und küsste ihren Rücken, während er mir tief in die Augen blickte. Das intensive braun seiner Iris brachte mich komplett aus der Fassung. Von seinen weichen Lippen mal abgesehen. Ich hätte ungelogen an Ort und Stelle kommen können. „Gentleman der alten Schule", lachte mein Vater auf, was diesen besonderen Moment zwischen uns zerstörte. Er ließ mich endlich los, sodass ich mich von ihm distanzieren konnte. Die sengende Hitze hätte ich keine Minute länger ausgehalten. „Man muss den Frauen geben was sie wollen", scherzte nun auch Marcus und zwinkerte mir zu. Ich spürte wie ich die Farbe einer frischen, reifen Tomate annahm und hoffte inständig, dass mein mehr oder weniger deckendes Make-Up diese Tatsache wenigstens ein kleines bisschen vor ihm verbergen würde. „Ihr macht das arme Mädchen doch total verlegen", griff nun Nate ein. Ich könnte meine Dankbarkeit in keinster Weise zum Ausdruck bringen. Ich lachte künstlich auf und schüttelte den Kopf: „Ich bin nur diese Männergespräche nicht gewohnt. Entschuldigt mich bitte, ich muss noch in der Küche helfen." Ich ließ die drei verständnislosen Männer stehen und begab mich so schnell wie nur irgend möglich zu unserer Haushälterin, die mit diversen Töpfen, Pfannen und Backblechen herumhantierte.
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Break The Rules
RomanceJess hat gerade eine schmerzhafte Trennung hinter sich und würde sich eigentlich am liebsten nur noch verkriechen, wie man das eben so macht, wenn man Liebeskummer hat. Doch ihre süße, kleine Herzschmerzwelt wird erheblich auf den Kopf gestellt, als...