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Jessica

Ich beugte mich aus dem Fenster – und tatsächlich, da stand er. Marcus Lee, live und in Farbe – in einem Busch versteckt. (Anmerkung von Mel, weil sie es kann: "Kombiniere, kombiniere, da ist etwas im Busch...")
Unauffälliger ging es echt nicht. Zumal er gut einen Kopf größer war als das Gewächs, das Vanessa so liebevoll großgezogen hatte. Ich hoffte nur, dass nichts zertrampelt war. Sonst würde unsere wundervolle Haushälterin ein weiteres Begräbnis für eine Pflanze anordnen. Nicht nur das, sie würde auch eine Grabrede für sie halten, ganz nach dem Motte ‚Wir haben uns heute hier versammelt, um Stanley den Baum/ Doris die Yukka – Palme/ Morgan die Lilie zu ehren'.
„Ist das dein verdammter Ernst?", rief ich lachend auf den Rasen herunter.
„Halt die Klappe und komm runter, das ist verdammt eng hier!", zischte Marcus zurück, scheinbar ganz die Ruhe selbst.
Nun ja, er war es, der in einem Busch steckte und damit ein wenig wirkte, als wäre er in einen schlechten Teenie – Film gestolpert. Heißer Typ, aber nichts in der Birne. Dabei hatte er das staubtrockene Jurastudium überlebt und sich bereits mit vierundzwanzig einen Namen gemacht.
Kopfschüttelnd drehte ich mich um, ging gemütlich nach draußen. ICH hatte ihm nicht befohlen, in den Busch zu klettern. Das war seine eigene Entscheidung gewesen, sollte er doch damit leben.
Außerdem war die Pflanze auf der Seite des Gartens, zu der wenige Fenster rausgingen. Und da ich Dad, Rachel und sogar Chloé im Wohnzimmer hörte („Ja, mein Schätzchen, das rosa Kleid kannst du heute Abend super anziehen!") bestand kein Risiko, dass sie meinen Besucher erblicken könnten.
Kurz vor meinem Ziel blieb ich stehen. Marcus sah wirklich zum Schießen aus, also kramte ich flink min Handy hervor, schoss ein oder auch hunderte Bilder, dann gesellte ich mich zu ihm.
„Du bist wirklich zu dämlich."
„Halt die Klappe und bring mich irgendwo hin, wo wir ungestört reden können!"
Zwei Minuten später erklomm ich die Strickleiter zu Chloés bis jetzt noch nie genutztem Baumhaus, das Dad im letzten Jahr gebaut hatte. Zwar war das kleine Biest noch nie hier oben gewesen, doch Vanessa hatte dennoch die Aufgabe, alles hier zu putzen, weswegen ich mir keinerlei Sorgen um Spinnen und anderem Ungeziefer machen musste.
„Also schön", meinte ich, als es auch mein Begleiter nach oben geschafft hatte.
„Was steht an?"
„Na ja, zuerst..." Marcus kam auf mich zu, drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, zog sich jedoch sofort wieder zurück.
Ich war enttäuscht.
„... Hi", vollendete er seinen Satz, grinste über meinen Gesichtsausdruck.
„Wieso?!"
„Weil Leah lesbisch ist."
Vage spürte ich, wie mir meine Kinnlade herunterklappte.
Leah und lesbisch?
Holy shit, ich dachte, die hätte mit Marcus geschlafen?
„Wow."
„Ja, wow. Und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll." Mein Freund senkte den Kopf in die Hände, fuhr sich durch das weiche braune Haar.
In mir keimte eine Idee auf.
„Na ja...", setzte ich schließlich an, „wo wir gerade dabei sind... Wie soll ich anfangen... Also, letzten Sommer war ich mit Emma und Cara im Zeltlager. Uns war langweilig, wir waren angetrunken, und, na ja, so führte eines zum anderen, und..."
„Ist nicht dein Ernst", entfuhr es Marcus, der mich fassungslos ansah.
„Ne."
„Ach, gut. Ich dachte schon, ich hätte es mit zwei lesbischen Frauen zu tun."
„Nein, danke. Ich habe einmal Flaschendrehen gespielt und musste ein Mädchen aus meinem Mathekurs küssen. Das gehört zu den schlimmsten Erfahrungen meines Lebens, das Mädel konnte einfach nicht küssen."
„Das ist gelogen", mutmaßte der perfekte Mann mir gegenüber.
„Nein. Daniela Miller. Kein Wunder, dass sie Single ist."
„Tja, dann sollte ich die schlechten Erinnerungen einfach verjagen, oder?"
„Definitiv."
Marcus beugte sich vor, küsste mich endlich richtig, sodass mit tausende Stromstöße durch den Körper fuhren. Also, gute Stromstöße. Keine schlechten. Nicht so, als würde man eine Tür anfassen und eine gewischt bekommen. Nein, eher so wie... wie... Gibt es überhaupt so etwas wie gute Stromstöße? Ja, oder? Gute Stromstöße sind Küsse, und...
Ich merkte selber, wie wirr ich auf einmal wurde.
Wieso zur Hölle lag ich eigentlich? Gerade eben saß ich noch im Schneidersitz auf dem Boden...
„Wir sollten dieses Baumhaus einweihen", murmelte Marcus an meinen Lippen.

-

„Hallo, Marcus!", rief Rachel vor mir glücklich aus,und ich schwankte zwischen einem Grinsen und einem Eifersuchtsanfall. Zum Einen war meine Stiefmutter verheiratet und hatte zwei Kinder, zum Anderen war sie eine schöne Frau.
Der Blick, den Marcus mir zuwarf, beseitigte jedoch meine Zweifel.
Er umarmte mich förmlich, und ich konnte Nates Blick in meinem Rücken spüren.Was erwartete er, dass ich mich hier uns jetzt über den zugegebenermaßen verdammt attraktiven, wundervollen, scheinbar perfekten, heißen und... sagte ich schon attraktiv? Na ja, dann eben tollen Mann hermachte?
Es war ja nicht so, dass mein Vater anwesend war und ich mein Leben dann doch genug mochte, um nicht quasi Selbstmord zu begehen.
Vielleicht sollte ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden...
„Nathaniel." Marcus verengte die Augen, streckte meinem Bruder aber dennoch die Hand entgegen.
„Bitte, setzt euch doch."
Nate zog mich zu einem Platz auf der anderen Seite des Tisches und rückte mir sogar den Stuhl zurecht, als wolle er sich vergewissern, dass ich mich auch wirklich setzen würde.
Als würde ich mich zu dem Mann setzen, der in seinem Anzug einfach hinreißend wirkte.
Nun denn, das hatten wir schon.
„Was ist eigentlich der Anlass für dieses Essen?", fragte Chloé mit unschuldigen Rehäuglein.
Marcus atmete tief durch, dann sah er mir in die Augen, als würde ich es noch nicht wissen.
„Leah und ich trennen uns."


Mel sagt, ich hätte Rehaugen.

Gar nicht wahr. 

-Doch, Lea, ist es. 

Chap von Blondie N° 1. 



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