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"Fuck!"
Gehetzt rannte ich die Treppe hinunter. Ich hatte nur noch knappe zehn Minuten, dann musste ich aus dem Haus. Und ich hatte noch nicht einmal gefrühstückt.
„Morgen!", rief ich Vanessa zu, die gemütlich über eine Schüssel Haferflocken gebeugt am Küchentresen saß und in der US Weakly blätterte. „Morgen, Kleines."
Mit meiner Schüssel in Kakao getränkter Cornflakes setzte ich mich zu Nate und Dad an den Tisch. Rachel schlummerte noch fröhlich vor sich hin und Chloé hatte bei einer Freundin übernachtet.
„Du musst Lee wirklich nicht zum Abholen schicken, Dad. Ich bin siebzehn, keine fünf mehr. Tatsächlich kann ich ganz gut alleine nach Hause laufen."
Dad ließ sein Tablet sinken.
„Ich habe Marcus nicht geschickt."
Oh.
Oh!
Fuck!
Gespielt lässig zuckte ich mit den Schultern, während ich mir den Kopf über Lees Verhalten zerbrach. „Dann hat ihn vielleicht nur sein Pflichtgefühl dazu gebracht, mich nach Hause zu fahren."
Diese Antwort beruhigte mein Vater, er studierte weiterhin einen Text auf seinem Tablet.
Nate dagegen musterte mich mit unverhohlener Neugier. Er wollte gerade etwas sagen, als ich auf die Uhr sah.
„Scheiße! Ich muss los!"
Blitzschnell rannte ich in die Küche, ließ meine Schüssel in die Spüle fallen und rannte in den Eingangsbereich.
Nate stand dort, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
„Wegen Lee, ..."
„Verdammt, Nate, ich bin wirklich spät dran! Können wir das auch wann anders besprechen?!"
Abwehrend hob er die Hände. „Ist ja gut." Er drückte mir noch einen Kuss auf die Stirn und ließ mich endlich ziehen.
Schnell stapfte ich zu meinem Wagen, in dem ich als erstes mein Handy aus der Hosentasche zog.
Nicht mit mir, Lee. Nicht mit mir.
Drei Nachrichten aus zwei Chats. Zwei davon stammten aus einer Gruppe.
Eine war von einer unbekannten Nummer.
‚Hallo, Jessica.'
Was ist das erste, was man tut, wenn man von einer unbekannten Nummer angeschrieben wird? Richtig, man öffnet das Profilbild.
Es zeigte Marcus Lee. Aber nicht etwa lächelnd oder in einem Anzug vor einem teuren Wagen, nein, er wirbelte seine Frau in der Luft umher und sah verdammt glücklich aus.
Außerdem habe ich kein Interesse.
Autsch.
Kopfschüttelnd drängte ich meine unbegründete Eifersucht zur Seite und tippe ein ‚Was sollte das gestern?!'
Anschließend sperrte ich mein Smartphone, legte es zu meiner Tasche auf den Beifahrersitz und machte mich auf den Weg zu Emma.

„Meine Damen und Herren, würden Sie bitte etwas leiser sein?", fragte Mr. Brown vom Lehrerpult aus. Die Klasse reagierte sofort. Joshua Brown war der beliebteste Lehrer der Schule. Was womöglich von den zahlreichen Sagen stammen könnte, die über ihn erzählt wurden. Es hieß, er wäre von seiner alten Schule geflogen, weil jemand vermutet hatte, er hätte etwas mit einer Schülerin gehabt. Allerdings konnte man ihm nichts nachweisen. Dennoch, später hatte er eben diese Schülerin geheiratet. Und nun war der Mann Anfang Dreißig und hatte zwei Kinder, Gerüchten zufolge von dieser Schülerin.
„Ich wurde dazu auserkoren, Ihnen von dem sogenannten ‚Buissinesday' zu erzählen. Nun, dieser wurde neu eingeführt. Dabei gehen Schüler für einen Tag lang mit ihren Eltern - oder besser gesagt einem Elternteil - zur Arbeit. Habt ihr Fragen diesbezüglich? Ja, Cara?" Cara, die einzige meiner Freunde, die mit mir gemeinsam Mathe hatte, setzte sich auf. „Ähm, kann ich auch bei Jessicas Vater machen? Da arbeitet so ein heißer Anwalt. Der ist zwar eigentlich für Jess reserviert, aber live und in Farbe will ich ihn auch mal sehen." Mr. Brown zog eine Augenbraue in die Höhe. „Bedauerlicherweise ist dies nicht möglich. Sie müssten sich einen anderen Weg suchen, um ihre Lust abzubauen", antwortete er mit einem wissenden Grinsen. „Ich bin dabei!", rief Drew aus der letzten Reihe.
„Also, wenn Cara und Drew fertig sind, ihr Stelldichein zu planen, könnten wir dann mit dem Unterricht anfangen? So, was kennen Sie für Dreiecke?" „Eins mit drei Ecken!", meinte ein Schüler der dritten Reihe, und Cara wandte sich mir zu.
„Hab gehört, dass Lee gestern am Kino war. Was lief da ab?"
„Er hat mich nach Hause gefahren. Hat gesagt, mein Vater schickt ihn. Aber Cara, mein Vater ist zu unaufmerksam um das zu tun."
Caras Augenbrauen schnellten nach oben.
„Und was für Vierecke kennt ihr?", fragte Brown, dem unser Getuschel hoffentlich nicht auffiel.
„Ich hab doch gesagt, er will was von dir!" Meine beste Freundin grinste.
„Das ist es ja, verdammt! Er hat klipp und klar gesagt, dass er kein Interesse hat!" Es frustrierte mich, wie frustriert ich über seine Aussage war. Nur wegen ihm war ich jetzt Doppelfrustriert!
„Was genau hat er gesagt?" Cara ließ nicht locker.
„Außerdem habe ich kein Interesse", zitierte ich möglichst ausdruckslos. Ich wollte ihr nicht noch einen Grund geben, um Lee und mich als das perfekte Pärchen zu betrachten.
Cara holte tief Luft, wollte etwas sagen, wurde allerdings von Mr. Brown unterbrochen.
„Cara, was kennst du denn für welche?"
Sie wurde augenblicklich verlegen. „Äh, Achteck?"
Die Schüler um uns herum lachten.
„Wir reden über Vierecke, Liebes", spottete unser Lehrer freundlich.
„Und was war daran jetzt falsch?" Cara spielte unschuldig.
Missmutig stocherte ich in meinen Nudeln herum. Ich hatte keinen Hunger. Oftmals ein schlechtes Zeichen. Hoffentlich bekam ich jetzt nicht meine Tage...
Ich sah auf meine digitalen Kalender.
Ach, scheiße.
Noch schlechter gelaunt öffnete ich Whatsapp. Es erzählte mir pünktlich wie eh und je, dass um neun Uhr eine neue Nachricht von Marcus eingetroffen war.
‚Ich weiß nicht, was du meinst.'
‚Sie stalken mich.'
Keine Minute später kam die Antwort: ‚Warum sollte ich? Ich habe mein mangelndes Interesse doch schon klargestellt.'
Genervt verdrehte ich die Augen.
‚Hören Sie, Lee, ich kann das jetzt echt nicht gebrauchen. Entweder sie stehen auf Siebzehnjährige, oder die stehen darauf, Siebzehnjährige zu stalken. Aber suchen Sie sich verdammt nochmal eine andere Siebzehnjährige, ich habe keinen Nerv für ihre ‚Ich bin heiß und unnahbar' Masche!'
Ich und gereizt? Niemals.
Er ließ sich zwei Minuten Zeit mit der Antwort. Und bei Gott, ich war noch nie so froh, dass ich alleine am Kopf des Tisches saß und mir niemand über die Schulter gucken konnte.
‚Das ist keine Masche. Außerdem wäre diese Sache viel einfacher, wenn du die Attraktivität eines Warzenschweins hättest. Dann müsste ich nicht den Babysitter für dich spielen.'
Dieses hin und her wurde mir zu viel.
‚Was wollen Sie, Lee?! Haben Sie ein ausgeprägtes ‚Ich nerve Mädchen, in dem ich ihnen ‚zu ihrem eigenen Schutz' hinterher renne, oder sind Sie einfach so ein Arsch?!'
‚Im Laufe meines Lebens - insbesondere meines Sexuallebens - wurde ich noch nie Arsch genannt. Gott ja, aber Arsch... Nein, das nicht. Weißt du, es wäre viel einfacher, wenn du mich duzen würdest.'
Gegen meinen Willen errötete ich.. Oha
‚Also Gott würde ich Sie nicht bezeichnen. Nur weil Sie gut aussehen heißt das nicht, dass sie zwingend ein Ass um Bett sind. Da widme ich mich lieber anderen Dingen. Sie sind und bleiben ein gottverdammtes Arschloch!'
Ich ging absichtlich nicht zu seiner Äußerung bezüglich des Duzens ein.
Allerdings fiel mir erst nach dem Abschicken der Nachricht auf, dass ich seine Attraktivität nicht geleugnet hatte.
Oh.
Ach, scheiß drauf, der hat bestimmt einen Spiegel zuhause.
‚Da ist es wieder, das ‚Gott'. Diese anderen Dinge, beinhalten diese außer deinen geplanten One - Night - Stands auch deinen Vibrator?'
„Mit wem schreibst du da?"
Emma beugte sich interessiert zu mir hinüber.
Fuck.
„Ach, nur mit Nate."
Sie sah mich kurz prüfend an, bevor sie fragte, ob sie meine Nudeln haben könnte.
„Nimm", murmelte ich und widmete mich wieder meinem Handy.
Verdammt, Marcus Lee, warum bist du nur so schwer einzuschätzen?!
Ich beschloss, das Spiel mitzuspielen.
‚Geplant und umgesetzt, Lee. Und meine Spielchen mit meinem Vibrator gehen Sie einen Dreck an.'
Ich besaß keinen Vibrator. Aber das wusste Lee ja nicht.
Zufrieden sperrte ich mein Smartphone und steckte es in die hintere Hosentasche.
Zappele schön, Lee. Ich werde jedenfalls auf keine deiner Nachrichten eingehen.

Break The RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt