24

6.4K 201 1
                                    

Vollbepackt wie ein Kamel in der Wüste klingelte ich an Emmas Tür, die sofort schwungvoll geöffnet wurde. „Hallo, Jessica", begrüßte mich Emmas Mutter und ließ mich herein. Sie trug ein elegantes Kleid, das auf Figur geschnitten war, und High Heels, in denen ich beinahe augenblicklich gestolpert wäre. Zudem hatte sie Make – up aufgelegt. Sie sah wunderschön aus. Und ich war vielleicht etwas neidisch. Nicht darauf, dass sie mit ihrem Mann in die Oper gehen würde, sondern auf ihre Eleganz. Und auf ihre makellose Figur. Meine war nämlich alles andere als perfekt, was sich heute Abend wohl kaum ändern würde.
Misstrauisch blickte ich auf die Stofftasche, die mit Chips, Cola und M&Ms vollgestopft war. Jep, der Abend würde sich nicht gut auf meinen Körper auswirken.
Scheiß drauf, es sind Chips.
Mühsam stapfte ich die Treppe hoch, darauf bedacht, nicht wie ein Käfer umzukippen. Ich trug schwer.
Mit einem geschafften Uff ließ ich meine gefühlt dreihundertfünfundachtzig Taschen auf Emmas Zimmerboden fallen. Meine beiden Freundinnen beachteten das gar nicht, sie bauten unbeeindruckt weiter unser Nachtlager auf.
Undankbares Pack.
„Guten Abend!", grüßte ich gespielt enthusiastisch und plumpste äußerst elegant auf Emmas weiches Bett.
„Abend!", kam es zurück. Von meinem Platz in den Decken konnte ich sehen, dass der Fernseher bereits an war, bereit für unseren Dexter – Marathon. Wir würden es so oder so nicht aushalten.
Eine Minute später waren Cara und Emma fertig und machten sich daran, die verschiedenen Kalorienbomben auf den drei aneinandergelegten Matratzen auszubreiten. Ich lag lediglich auf dem Bett und haderte mit mir selbst.
Ich hatte mir vorgenommen. Verdammt, ich wollte es tun. Doch nun, wo ich im Begriff war, das auch in die Tat umzusetzen zögerte ich. Nicht lange, aber ich zögerte.
„Ich bin mit Marcus Lee zusammen", sagte ich schließlich und vergrub mein Gesicht in den weichen Decken. Als ich das nächste Mal aufsah, wurde ich von zwei Augenpaaren angestarrt.
„Also, ich kann mich noch vage daran erinnern, dass ihr auf der Party miteinander geredet habt, aber ich hätte nicht gedacht, dass er sofort aufs Ganze geht...", kommentierte Cara schließlich.
„Ja, ähm... da haben wir miteinander geschlafen."
Meine besten Freundinnen wechselten einen Blick, bevor sie synchron nach meinen Armen griffen und mich unsanft auf das Matratzenlager zogen.
„Ich will alles wissen!", rief Emma aufgeregt, während Cara ein „Ist er gut?" hören ließ.
„Ich war betrunken, verdammt. Ziemlich sogar. Aber ich kann mich dran erinnern, dass er verdammt gut war. Okay, ja, die gestrige Nacht hat nachgeholfen, aber..."
Ich wurde unterbrochen. Brandon stürmte in das Zimmer und schloss die Tür mit einem lauten Knallen. „Mom und Dad sind weg!", verkündete er und ließ sich ebenfalls auf den Matratzen nieder. „Mit wem hatte sie Sex?"
„Ich hatte keinen Sex!", wollte ich in genau dem Moment sagen (lügen), in dem Cara Marcus' Namen sagte.
Brandons Augen wurden tellergroß, sein Mund öffnete sich staunend.
„Oha", sagte er, nachdem er sich gefangen hatte. „Ist er gut?"
„Verdammt gut." Leugnen war schließlich zwecklos.
„Okay, Liebes, du hast uns jetzt gesagt, dass ihr miteinander geschlafen habt, mindestens zweimal. Aber das erklärt nicht, warum ihr zusammen seid." Emma musterte mich aufmerksam.
„Er hat mich gefragt", nuschelte ich kleinlaut, als ich mich an die Aussage erinnerte, dass Marcus auf mich stünde. Hatte sich ja bewahrheitet.
„Wo ist der Haken?", fragte Brandon aufmerksam.
„Na ja... Seine Frau ist heute zurückgekommen."
Schweigen. „Autsch", sagte der Bruder meiner besten Freundin schließlich und brachte es somit auf den Punkt: Ich war mit einem verheirateten Mann zusammen. Zwar hatte er mir versichert, dass er sie nicht liebte (und das nicht nur mit Worten), doch ein kleiner Teil in meinem Inneren brüllte mich an. Ehebruch war Ehebruch, ob Marcus seine Frau jetzt liebte oder nicht. Ich konnte nur hoffen, dass sie keinen Ehevertrag aufgesetzt hatten, der meinen Freund um all sein Geld brachte.Letztendlich wendete sich das Gespräch zu Caras Sexleben, da wir uns im Beisein Brandons hüteten, über Emma zu sprechen, die uns deswegen äußerst dankbar war.
„Was läuft eigentlich zwischen dir und Holly?", fragte ich schnell, nachdem Brandon Cara mit der Frage, auf wen sie denn stehe, in eine verzwickte Lage gebracht hatte.
„Ach, nichts. Hab sie endgültig abgeschossen. Außer ihrem Körper gibt es einfach nichts Gutes an ihr. Ich bin offiziell wieder zu haben", antwortete er entschlossen und wand sich Cara zu. „Solltest du dir überlegen."
Ich musste schmunzeln. Brandon und Nathaniel waren sich sehr ähnlich, ob sie es nun wollten oder nicht. Beide waren freundlich, sahen gut aus und sie sagten ab und an unabhängig voneinander ähnliche Dinge.
Erst gegen zehn Uhr abends wurde unser Vorhaben in die Tat umgesetzt. Denn Brandon verschwand, um mit ein paar Freunden Minecraft zu spielen (er hatte die ganze Zeit von Bed Wars geschwärmt, ich nahm stark an, dass er das spielen wollte), und wir waren wieder zu dritt. Prompt wurde der Fernseher eingeschaltet und die allererste Folge Dexter lief an. 


***


Unruhig lief ich in der Küche auf und ab. Leah hatte Jetlag und hatte sich früh schlafengelegt, doch ich war zu aufgewühlt, um ruhig schlafen zu können. Also tigerte ich hin und her, rang mit mir selbst. Jessica anrufen, ja oder nein? Ihr von vorhin erzählen, ja oder nein? Tatsache war: ich wollte ihre Stimme hören. Was sie sagte war mir herzlichst egal. Meinetwegen konnte sie mich auch des Todes beleidigen, Hauptsache ich konnte ihre Stimme hören. Allerdings wollte ich ihr nichts von Leah Ankunft in Seattle erzählen. Eine witzige Situation: Ich betrog meine Frau mit einer Siebzehnjährigen und sie wusste es nicht. Meiner Affäre hingegen wollte ich unbedingt mitteilen, was vorgefallen war.
Leah riss mich aus meinen Gedanken. Nur in Unterwäsche kam sie die Treppe hinunter gelaufen. Nun ja, als Unterwäsche konnte man es kaum bezeichnen. Der BH ließ mehr sehen als er verhüllte, und sie trug nur einen knappen Tanga.
Ich starrte sie an, als wäre sie ein Alien. Wäre Jessica in dem Aufzug zu mir gekommen, hätte ich sie sofort genommen, bis ihr Hören und Sehen vergangen wäre. Doch bei Leah war es anders. Ihr Körper erregte mich nicht. Sie schien mein Starren allerdings als positives Zeichen zu deuten und schlang ihre Arme um meine Hüfte.
„Komm ins Bett, Marcus", schnurrte sie in mein Ohr. Es hatte vermutlich verführerisch klingen sollen, mich erinnerte es aber eher an eine fressende Katze.
Ohne eine Antwort abzuwarten zupfte sie mein Hemd aus meiner Hose, nur um kurz darauf mit ihren Händen über meinen Rücken zu fahren, unter anderem mithilfe ihrer Nägel.
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass es Jessicas Finger waren, und sofort wurde die Situation angenehmer. Doch dann schoss es mir durch den Kopf: Jessica würde es genauso wenig begeistern, dass du kurz davor bist, mit deiner Frau zu schlafen, die du nicht mehr liebst, wie das vorhin!
Ach ja, heute Nachmittag. Leahs Ankunft in Seattle. Ich musste Jessica anrufen. Sie sollte es wissen. Doch zuerst musste mir klar werden, was wirklich passiert war. Denn ich hatte den ganzen Tag wie in Trance verbracht, in dem Wissen, dass ich Jess nur noch ganz schlecht in meinem eigenen Haus zur Besinnungslosigkeit vögeln konnte, genauso wenig wie bei ihr.


(Ähm, Lea, aber das sollte man an dem Spruch mit dem Kamel merken...)

Break The RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt