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„Hilf mir!", flehte ich und erntete einen verständnislosen Blick. „Da draußen steht der attraktivste Mann, den ich jemals gesehen habe, und zu allem Überfluss hat er mich auch noch mit einem Handkuss begrüßt!" Verzweifelt wollte ich meine Haare raufen, erinnerte mich dann aber des Besuches und ließ es bleiben. „Okay, Moment. Da draußen steht also ein Nick Bateman und du hast nichts Besseres zu tun als hierher zu mir zu kommen?!", fragte Vanessa entgeistert. „Ja, verdammt! Was soll ich machen?!" Sie überlegte kurz. „Hier ist alles fertig. Aber du kannst mir helfen, das Essen raus zu tragen. Und dann flirtest du gefälligst mit Mr. Perfekt." Ich hatte stets ein freundschaftliches Verhältnis zu unserer Haushälterin gepflegt, doch nun wollte ich nie am liebsten erwürgen. „Vanessa!", rief ich aus. Sie zwinkerte mir lediglich zu und nahm einen Topf in die Hand.

Natürlich saß ich am Tisch gegenüber von Marcus. Das Schicksal war heute mal wieder besonders gemein zu mir. Wann immer ich kurz etwas von mir gab, schnellte sein Blick zu mir. Dabei hatten wir erst vor wenigen Minuten mit dem Essen angefangen. „Wie alt bist du eigentlich, Jessica?", fragte Marcus, nachdem sich eine Diskussion über irgendetwas Nichtiges zwischen Nate und Leah gebildet hatte. Dad flirtete mit Rachel und Chloé stopfte sich so würdevoll wie möglich mit dem köstlichen Essen voll. Ich hatte keine Fluchtmöglichkeit. Verdammt! „Ich werde demnächst Achtzehn", antwortete ich piepsig. „Gehst du noch zur Schule?" Musste mich die wandelnde Perfektion so ausquetschen? „Ja, aber ich mache nächsten Sommer meinen Abschluss." Ruhig bleiben, Jess, sonst blamierst du deinen Bruder... Und deinen Vater, aber eher deinen Bruder. Endlich wickelte Dad mein Gegenüber in ein Gespräch über einen Mandanten, der fälschlicherweise für schuldig befunden war. Nate beteiligte sich auch schnell an der Unterhaltung, und ich konnte endlich einen weiteren Bissen nehmen. Begleitet von Rachels bösen Blicken, die sie nun, da sie nichts Besseres zu tun hatte, an mich sendete. Wie immer, wenn Dad nicht mit ihr sprach. Ich führte gerade eine Gabel mit einem Stück Kartoffel an meinen Mund, als ich einen Fuß spürte, der sanft über meine nackten Beine strich. Erschrocken hielt ich inne. Marcus dagegen grinste plötzlich, als hätte er meine Reaktion bemerkt. War das sein Fuß? Und warum zur Hölle tat er das? Mittlerweile war das Gespräch zwischen den Männern zu Schuhen geschwenkt. Wie praktisch, dachte ich ironisch. „Auch wenn Lackschuhe ja wundervoll und schön glatt sind, es geht nichts über Sneakers." Marcus. Natürlich. Er zwinkerte mir unauffällig zu. Also war das doch sein Fuß. Warum? Zögernd steckte ich mir die Kartoffel in den Mund. Der Fuß war noch immer da, ebenso wie Marcus' Grinsen, das er unauffällig hinter seiner Hand versteckte. Oh Gott. Ich kannte diesen Mann nicht einmal eine Stunde lang und würde ihm jetzt schon fast zu Füßen liegen. Fast. Entschlossen zog ich meine Beine zurück, überschlug sie unter dem Stuhl. Diesmal war ich es, die sich lächelnd ein Stück Brot in den Mund führte. Ich würde nicht zulassen, dass er weiter mit mir flirtete, doch ich konnte mir das Grinsen aufgrund seiner Reaktion nicht verkneifen. Er fing an zu husten, um das zu überspielen, doch ich hatte den entsetzten Gesichtsausdruck schon gesehen. Himmel, wurde der denn noch nie abgewiesen? Er war verheiratet, verdammt nochmal! Aber vielleicht hatte er ja gar nicht mit mir geflirtet... Halt, nein, er hatte. Niemand fährt aus Versehen mit dem Fuß über die nackten Beine einer Frau! Oh nein. Nicht mit mir. Ich würde nicht wegen ihm weich werden. Außerdem war es erst Tag drei nach Kyle. „Leah, was machen Sie eigentlich beruflich?", erkundigte mich und hoffte, dass das Gespräch mit seiner Frau ihn vom Flirten mit mir abhalten konnte. Vielleicht steigerte ich mich auch zu sehr rein... „Ich bin Schmuckdesignerin. Ein wundervoller Job." Erst jetzt fiel mir der schlichte, aber wunderschöne Armreif auf, der an ihrem Handgelenk hing. Unauffällige Muster waren in ihn eingraviert. Er musste ein Vermögen gekostet haben. Während mir Leah von ihrem Job vorschwärmte und ich interessiert zuhörte, machte ich den Fehler und entspannte meine Beine ein wenig. Sofort war da wieder der Fuß. Oh nein. Nicht anmerken lassen. Mit dem anderen Bein schob ich ihn weg. Sanft, aber bestimmend. Marcus schien das zu respektieren. Eine Weile unterhielt ich mich noch mit seiner Frau über Schmuck, dann widmete ich mich den Resten meines Essens. Ein Stück Kartoffel fand den Weg in meinen Mund, dann ein zweites. Wie schaffte es Vanessa nur, dass sogar so schlichte Dinge wie Kartoffeln so fabelhaft schmeckten? Sie war einfach eine Göttin auf dem Gebiet des Kochens. Mein Teller war gerade leer, als Marcus seinen Fuß erneut nach mir ausstreckte. Ein erschrockenes Geräusch entfuhr mir, was Nates Aufmerksamkeit erregte. „Was ist?", fragte er besorgt. Ich hätte die Wahrheit sagen können, hätte all das beenden können. Vielleicht hätte sich ja auch rausgestellt, dass es nicht Marcus war, schließlich konnte ich mir nicht hundertprozentig sicher sein. Und dennoch log ich: „Ich habe mir nur den Fuß angestoßen, das ist alles." Nathaniel schien die Erklärung zufrieden zu stellen und er fiel wieder über sein Essen her. Ganz kurz erlaubte ich mir, die Augen zu schließen und durchzuatmen. Doch als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Marcus' amüsierten Blick. Er schaute kurz zu beiden Seiten, als wolle er sich vergewissern, dass uns niemand beachtete. Was der Fall war, alle anderen waren in Gespräche vertieft, sogar Chloé diskutierte mit Rachel und Leah über Mode. „Du bist hübsch, Jessica. Hast du einen Freund?", fragte er letztendlich leise. Hübsch? Ich? Der einzige Mann, der mir in den letzten Jahren durchgehend gesagt hatte, dass ich schön war, war Nate. Kyle hatte nur lasch auf meine Klagen meinem Körper gegenüber geantwortet, und mein Vater wüsste vermutlich nicht einmal wie ich aussehe, wenn da nicht meine Profilbilder auf diversen sozialen Netzwerken wären. Und Rachel hatte stets jedes noch so kleine Fünkchen Selbstvertrauen meinerseits mit ihrer Schönheit zerstört. Und nun sollte ich hübsch sein? Erneut schlich sich Farbe in mein Gesicht. Bitte, Make up, hilf! „Nein", murmelte ich leise, was zwar seine Frage beantwortete, aber nicht näher auf seine Aussage einging. Hübsch. Ich und hübsch. Genau. „Warum nicht? Ich kann mir vorstellen, dass du hunderte Verehrer hast." Oh Gott. Hör auf. Ein bitteres Schnauben entfuhr mir. Glücklicherweise hatte Rachel das nicht gehört, sie hätte mich zur Schnecke gemacht. „Nein danke, da bleibe ich lieber Single und vertreibe mir die Zeit mit oberflächlichen One - Night - Stands." Ich meinte es auch so. Nach Kyles überstürzter Trennung hatte ich erst einmal genug von Beziehungen. Und das war erst drei Tage her. Dennoch hatte ich beschlossen, die nächsten paar Monate wenn dann nur mit One - Night - Stands und meinem imaginären Vibrator zu verbringen. Ich erstarrte. Oh! Ich hatte dies gerade vor einem verdammt attraktiven Fremden zugegeben, der mich nun amüsiert musterte. Scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße! Boden, tu dich auf! Natürlich kam Vanessa nicht, wenn man sie brauchte. Es war bestimmt schon Zeit für den Nachtisch... „Ich geh mal gucken, wie es in der Küche aussieht", nuschelte ich mit hochrotem Kopf, stand auf und floh so elegant wie möglich in die Küche. „Oh Gott!", murmelte ich und rutschte an der Tür hinunter, die ich soeben geschlossen hatte. „Was ist los?" Vanessa stand an der Theke und bereitete Mousse au Chocolat vor. Es grenzte an ein Wunder, dass ich wegen ihr noch nicht durch die Gegend rollte. Im Moment holperte ich nur. „Möglicherweise habe ich gerade vor Marcus Lee zugegeben, dass ich die Nächte in nächster Zeit nur mit One - Night - Stands verbringen möchte." Unsere Haushälterin unterbrach ihre Tätigkeit und drehte sich um. „Hast du nicht!" „Doch!" Meine Stimme klang verzweifelt. „Hast du deinen Vibrator auch erwähnt?", fragte Vanessa plötzlich mit einem schelmischen Grinsen. „Ich habe keinen Vibrator?" „Nicht?", sie tat erstaunt, dabei hatte sie mein Zimmer schon tausendmal aufgeräumt und dabei bestimmt jeden Winkel gesehen, „Dann muss ich dir wohl einen zum Geburtstag schenken..." „Nein! Vanessa!" Sie grinste. „Komm schon, nimm dir die Himbeeren und trag sie raus. Und wo du schon dabei bist kannst du auch mit dem Abräumen helfen." Auf meinen Protest ging sie nicht weiter ein. Und Marcus Lee erwähnte meine Aussage den ganzen Abend lang nicht. Gottseidank.

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