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Als ich mit deutlich besserer Laune die Treppe herunterlief kam mir Nate entgegen. „Geh nicht runter. Egal, was du machst, geh verdammt nochmal nicht runter!", zischte er mir zu und joggte fluchtartig die Stufen hoch. Verwundert sah ich ihm nach, dann zuckte ich mit den Schultern und machte mich auf den Weg in die Küche. Jetzt war es an mir, die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu erledigen. In Gedanken war ich schon bei einem schönen Nutellabrot mit Erdbeer – und Bananenstückchen – Da öffnete ich die Tür und stolperte prompt über einen Karton. Genauer gesagt über einen Schuhkarton. Schmerzhaft stieß mein Ellenbogen auf dem Boden auf, während meine Knie auf einem Bett aus Kleidern landeten. Das gesamte Wohnzimmer sah aus wie eine gottverdammte Luxusboutique. Schuhkartons, Stoff überall. Rachel stand gerade vor dem großen Spiegel im Durchgang zur Küche und bewunderte sich. Sie trug einen Spitzen – BH und einen Tanga, der ebenso gut als Zahnseide hätte durchgehen können. Vielleicht beneidete ich sie um ihre makellose Figur, doch ich stand nicht so gut wie nackt vor meiner Tochter. Chloé dagegen trug ein rosafarbenes Cocktailkleid, das einhundert prozentig überteuert gewesen war. Rachel liebte es, das Geld meines Vaters auszugeben. Gucci, Prada, Louboutin. Luxus eben. Und ihre kleine, ach so süße Tochter bekam viel davon ab. Nate dagegen warf sie nie auch nur einen Blick zu, wenn er einmal einen Anzug anhatte. Aber Chloé... „Ach, mein kleines Mäuschen, das hellblau steht dir ja so ausgezeichnet!" „Oh, mein Schatz, weiß macht dich schlank!" „Süße, in gelb siehst du hinreißend aus!". Häufig ignorierte sie offensichtliche Tatsachen. Hellblau ließ sie pummelig wirken, das Weiß hob ihre unexistenten Brüste nicht hervor – wofür also das Ganze? – und das Gelb biss sich mit ihren blonden Haaren. Dennoch, an Chloé waren wohl alle Farben schön – weshalb ich schwarz bevorzugte, das fasste Rachel höchstens an Beerdigungen ihrer imaginären Freunde an. Jedenfalls lag ich da, den Ellenbogen auf dem Boden, die Knie in Seide und beobachtete halb neidisch, halb angewidert meine Stiefmutter, wie sie sich im Spiegel ansah. Für ihre 40 war sie verdammt gut in Schuss, ich tippte auf Brustvergrößerung, Botox und Fett absaugen. Im Ernst, niemand hat in ihrem Alter so feste Brüste! Und Chloé... Sie war hübsch, hatte ein strahlendes Lächeln – das sie jedem außer Nate und mir zeigte – und wundervolle blonde Haare. Da hinkte ich mit meinen braunen Haaren und der beinahe alltäglichen Grimmigkeit, die ich Biest eins und Biest zwei gegenüber stets aufrecht hielt, ziemlich hinterher. Dabei war ich acht Jahre älter! „Könnt ihr den Zirkus nicht woanders veranstalten, ich würde gerne in die Küche ohne über abnormal teure Kleidung zu stolpern", seufzte ich genervt und rappelte mich auf. „Eine Diät würde dir auch nicht schaden, demnächst brauchen wir breitere Türen, damit du überhaupt durchpasst. Was dir an Größe fehlt gleichst du mit Breite wieder aus...", entgegnete Rachel. Das saß. Ich hatte wirklich keine perfekte Figur. Mein Hintern war zu groß, die Hände zu klein, mein Bauch könnte flacher sein und von meiner Oberweite fange ich erst gar nicht an. Dennoch, ich würde niemals zugeben, dass mich der Kommentar einer geldgierigen Zicke verletzt hatte. „Ich zeige mich meiner Tochter wenigstens nicht halb nackt. Die arme, vielleicht denkt sie jetzt, ihre Mutter sei ein Pornostar." Meine Stimme hatte genau den richtigen, extrem nervigen Ton, den Rachel und Chloé immer anschlugen, wenn sie etwas wollten. Zuckersüß und einfach widerlich. „Immerhin habe ich eine Tochter, so, wie du aussiehst, würde dich nicht einmal ein unterfickter Opa anfassen", konterte meine Stiefmutter ebenso süß. Nur mit Mühe konnte ich meine Empörung unterdrücken. Das war gut, verdammt gut. Chloé zog sich währenddessen aus. Ein weiteres Kleid fand den Weg über ihren Kopf, und ich musste selbst zugeben, dass es wundervoll war. Nicht an ihr. Aber es war wundervoll. „Dann weiß ich wenigstens, dass man nicht nur mir mit schläft, weil man gerade geil ist. Du weißt schon, das Prostitution strafbar ist, oder? Nicht, dass Dad dich noch vor Gericht vertreten muss...", zischte ich meiner Stiefmutter zu und stolzierte mit gespieltem Selbstbewusstsein an ihr vorbei in die Küche. Also ob man in ihrer Gegenwart selbstbewusste sein kann. Ihr entfuhr nur ein Schnauben. Dann zog sie endlich ein Kleid über die Fetzen, die sie Unterwäsche nannte. Es war kurz, reichte ihr nur bis zur Hälfte der Oberschenkel. „Glückwunsch. Noch erotische Overknee – Strapse dazu und jeder erkennt deinen Beruf", kommentierte ich von der Theke aus, auf der ich meine Utensilien gestellt hatte. Erdbeeren, eine Banane, Brot und Nutella. Entnervt wandte sich Rachel zu mir. „Oh, sorry, nuttenroter Lippenstift fehlt noch", ergänzte ich, strich eine halbwegs dünne Schicht Nutella auf das Brot. „Warum giftest du mich immer an? Was ist so schlimm an mir?", schluchzte Rachel verzweifelt. Ich kannte den Trick gut genug. Würde ich sie noch weiter provozieren, würde sie zu meinem Vater rennen. Und der würde mir irgendeine Strafe aussuchen, die sie sich ausgedacht hatte. Hausarrest, Taschengeldstreichung, Fernsehverbot. „Komm, Schätzchen, machen wir uns nichts vor. Du bist die größte Schlampe, die jemals geatmet hat und bist nur hinter dem Geld meines Vaters her. Während ich seine einzige Tochter bin und damit seine Erbin, was du natürlich nicht auf dir sitzen lassen kannst. Deswegen versuchst du alles, damit er mich hasst und du alles vererbt bekommst. Wenn du es geschafft hast, Rachel, wirst du ihn dann töten? Vielleicht vergiftest du ihn ja, es heißt schließlich nicht umsonst, dass Gift die Waffe einer Frau wäre...", murmelte ich und legte konzentriert die kleingeschnittenen Früchte auf mein Brot. Ich musste sie nicht ansehen um zu wissen, dass es stimmte. Rachel liebte Dad nicht. Sie liebte einzig und alleine das Geld. „Du nennst mich Schlampe, dabei bist du diejenige, die von einer kroatischen Hure abstammt!", schrie sie. Augenblicklich blickte ich auf. Niemand, niemand beleidigte ohne Folgen meine Mutter! Langsam kam ich hinter der Theke hervor. „Sag das noch mal", forderte ich leise. Nate tauchte hinter Rachel auf und beäugte mich einschätzend. „Deine Mutter ist eine gottverdammte Hure!" Bevor sie ‚Sommerschlussverkauf bei Prada' sagen konnte lag sie auf dem Boden. Wütend schlug ich ihr auf die Wange, immer und immer wieder. Ich liebte meine Mutter, was Rachel stets verachtet hatte. Meine Hand hinterließ einen roten Abdruck auf ihrer Wange. Ich bewunderte Mom, was Rachel unfassbar eifersüchtig machte. Sie wehrte sich unter mir. „Eine dämliche geldgierige Bitch beleidigt also meine Mutter? Wir kannst du es wagen?!", kreischte ich und ballte meine Hand zu einer Faust. Doch ich wurde von meiner Stiefmutter weggezogen bevor sie ihre Nase treffen konnte. „Lass mich los!", schrie ich, trat verzweifelt um mich. Doch Nathaniel hielt mich nur noch fester, während Chloé schluchzend zu ihrer Mutter rannte. Als wären ein paar Schläge lebensbedrohlich. Sanft schob Rachel ihre Tochter weg, setzte sich auf. Ihre Wangen waren knallrot, was ein Gefühl des Triumphes in mir auslöste. Das einzige, was sie tat, war mich fassungslos anzustarren. Ich hatte sie noch nie angegriffen.

„Kannst du denn nicht einfach aufhören, Jessica?!", brüllte mein Vater außer sich vor Wut. Er hasste die Streitereien zwischen Rachel und mir, konnte nicht verstehen, warum wir uns so hassten. „Sie hat Mom beleidigt!" „Das würde sie nicht tun! Rachel ist eine wundervolle Frau, sie beleidigt nicht einfach so Leute! Nein, sie hält deine Mutter sogar für einen respektablen Menschen! Und jetzt willst du mir weißmachen, dass sie einfach so eine Person, die sie bewundert beleidigt hat? Herrgott, Jessica, du bist siebzehn, guck dir endlich mal die Menschen in deinem Umfeld an, bevor du Pläne schmiedest wie du sie am besten umbringen kannst!" Schlagartig wurde ich ruhig. Meine Wut auf Rachel, auf Dad, auf alle, war verebbt. Stattdessen war ich einfach nur traurig. „Sie ist immer ‚deine Mutter'. Sie heißt Svetlana, Dad. Erinnerst du dich überhaupt noch an sie? Oder hast du sie vergessen und nennst sie deshalb immer ‚deine Mutter'? Wozu hat sie eigentlich einen Namen? Gott, sie ist so anders als Rachel! Sie ist viel liebenswerter als sie, umgänglicher. Sie war nie auf dein Geld aus, und das weißt du. Aber du hast Recht. Sie ist ja nur ‚meine Mutter', ich finde es also vollkommen in Ordnung, dass sie von einer geldgeilen Nutte als Schlampe bezeichnet wird. Klar, was soll denn daran falsch sein? Ich liebe sie ja nur, aber das ist ja eh ein Fehler. Liebe wird doch sowieso vollkommen überbewertet. Ich heirate später dann einfach auch einen reichen Mann, damit ich das Wohnzimmer in eine Luxusboutique umwandeln kann", schluchzte ich leise. Dad ließ sich davon nicht beeindrucken. „Du weißt genau, dass das Konsequenzen hat!" „Was willst du jetzt tun, hm? Ich hab noch genau zwei Monate Hausarrest, Fernsehen darf ich drei Jahre lang nicht und mein Taschengeld ist schon gestrichen. Willst du mich jetzt gegen ein neues, fresheres Modell austauschen, genau wie bei Mom?" Endlich wich seine ernste Miene. „Jess...", murmelte Dad und streckte einen Arm nach mir aus. „Lass mich!", schluchzte ich und flüchtete aus dem Raum. Ich rannte auf direktem Wege in Nates Zimmer. „Heute Abend haben wir Besuch, sieh zu, dass du dich bis dahin zusammen gerissen hast!", rief mir Rachel, die im Flur gewartet hatte, noch hinterher. 

Und schon das zweite Kapitel. 

Danke für (bereits) über 100 Reads. 

Läuft! 

Um da noch was zu klären: 2 ** bedeuten "Jessica POV" und 3 *** "Marcus POV"

Immer schön geschmeidig bleiben! 

Tschö! 





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