40

4.3K 188 7
                                    

„Dad?", rief ich in die Stille des Hauses.
Keine Antwort. Also waren entweder alle ausgeflogen oder versteckten sich im Wäschekorb, dem Trockner und diversen Schränken, um mich zu erschrecken und mir anschließend eine derartige Standpauke halten, dass ich aufgrund von Herzversagen elendig verrecken würde.
Vielleicht ignorierten mich auch alle.
Schnell lief ich einmal durch alle Zimmer, dann klopfte ich an jede einzelne Tür meiner Familie. Nichts. Also war ich alleine.
Seufzend öffnete ich die Tür zu meinem eigenen Reich, bereit, mich auf mein Bett zu schmeißen und so lange 2 Broke Girls zu gucken, bis meine Familie zurückkam und mir die Standpauke hielt, die ich nicht verdient hatte.
Doch mein Plan ging nicht auf.
Bereits in der Tür bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Schätze, wenn man jahrelang mit von Postern und Bildern übersäten Wänden gelebt hat registriert man schnell, dass einige Flecken an der Wand leer sind.
Doch es waren nicht nur irgendwelche. Es waren meine Lieblingsstellen, die nun kahl waren.
Ich verengte die Augen zu Schlitzen, trat vorsichtig weiter ein.
Mein Bett war übersäht mit dunkelbraunen, teilweise schwarzen Flecken. Angestrengt versuchte ich, irgendetwas zu erkennen, während ich näher kam.
Plötzlich fiel es mir auf, als ich eine wundervolle braune Haarpracht entdeckte, die ich nur zu gut kannte.
„DAVID!", schrie ich entsetzt auf und hastete die letzten Meter zu meinem Bett, wo ich die verbrannten Überreste von David Beckham, möge er in Frieden ruhen, fassungslos zwischen meinen zitternden Fingern hielt.
David Beckham war tot. Elendig verbrannt im Zeichen meiner Liebe zu ihm. Nun war es an der Zeit, einen Schuldigen auszumachen.
Dinkleberg.
Ich legte Davids Haare behutsam auf mein Nachtschränkchen, suchte vorsichtig nach den Überbleibseln anderer Poster.
Da, ein umwerfender Dreitagebart. „Nick", flüsterte ich der lächelnden unteren Gesichtshälfte in meinen Händen zu. „Nick, du darfst nicht sterben! Alles wird gut! Bleib bei mir! Bleib bei mir!"
Nick antwortete nicht.
RIP, Nick Bateman Poster. Pubertät bis kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag.
Entschlossen setzte ich eine ernste Miene auf. Jetzt war nicht die Zeit zum Trauern. Ich musste stark bleiben. Für meine Jungs.
Nicks Kiefer landete bei Davids Haaren, während ich mich behutsam weitergrub. Meine Hände wurden dunkel vom Ruß, und ich begegnete einigen schwarzen Brandflecken auf meinem Deckenüberzug, doch ich arbeitete unermüdlich weiter, bis mir schließlich Dom Sherwoods verschiedenfarbige Augen in die Hände fielen. Eine Weile betrachtete ich die wundervolle Farbgebung der Iriden des Typens, dessen Poster an meiner Wand hing seit ich das erste Mal Vampire Academy gesehen hatte.
Seufzend legte ich ihn über Nicks verbliebene Gesichtshälfte, starrte auf das Bild, das sich mir bot. Nick Batemans Kinn, Lächeln und Nase, nicht zu vergessen den Bart, gefolgt von Dominic Sherwoods zweifarbigen Augen und David Beckhams Haare.
Eigentlich gar kein schlechter Anblick, wäre das Bild vor mir ein echter Mensch und nicht nur ein Möchtegernpuzzle aus verbrannten Gesichtern,
Wut stieg in mir auf, als ich mich in meinem Zimmer umsah. Das Poster von Matthew Daddario fehlte ebenfalls. Das von Matthew Gray Gubler und Shemare Moore war auch weg, und von Johnny Depp oder Tom Austen wollte ich gar nicht erst anfangen.
Jemand – ich tippte da stark auf Dad – hatte meine heißgeliebten, unfassbar attraktiven Lieblingspromis verbrannt, während die Poster von PLL, 2 Broke Girls und diversen Metropolen selbstverständlich noch an der Wand hingen.
Die heißen trifft es immer als erstes.
Endlich hörte ich den Schlüssel im Schloss, gefolgt von den üblichen Geräuschen meiner Familie. Zickerei, Testosteron, Schuhklopfen.
Wütend stürmte ich aus meinem Zimmer zur Treppe.
„Dad?!", rief ich runter. „Hast du meine Poster verbrannt?"
„Ja!", tönte es zurück.
„Wieso machst du so einen Scheiß?!"
„Weil meine siebzehnjährige Tochter sich wegen diesen Arschlöchern in eine Hure verwandelt hat!"
Mir blieb die Luft weg, Dads Worte trafen mich mehr als gewollt.
Hure.Für ihn war ich also eine Hure.
Weil ich jemanden liebte.
Tränen stiegen mir in die Augen, ich sank ermattet auf die Stufen. Das war zu viel, brachte das Fass zum Überlaufen.
Durch einen Schleier sah ich herunter zu meiner ach so wundervollen Familie. Rachel und Chloé schienen mich kaum wahrzunehmen, Dad starrte wütend zu mir hoch und Nate starrte auf seine schwarzen Nikes, so als wären sie um Welten interessanter als mein Leid.
„Hure. Ich bin eine Hure, weil ich jemanden liebe?", brachte ich erstickt hervor.
Mein Vater wandte sich ab, ging in die Küche. Vage hörte ich, wie er sich ein Glas nahm, Eiswürfel aus der Tiefkühltruhe holte und sich irgendetwas einschenkte, vermutlich ein alkoholisches Getränk.
Schritte kamen näher, dann konnte ich schließlich Nathaniels Sneakers erkennen. Ich hatte nicht die Kraft, zu ihm aufzusehen, also sah ich einfach auf die Löcher in seiner Designerjeans.
„Tut mir leid, Jess", murmelte er beschämt, legte eine Hand auf meine Schulter.
Und da war sie wieder, die Wut, die mir die Kraft gab, seine bescheuerte Hand von meiner bescheuerten Schulter zu schlagen und ihm in das bescheuerte Gesicht zu sehen.
„Das ist alles nur deine Schuld!"

Ja, ja, ich bin stolz auf das Postermassaker. Danke für eure Aufmerksamkeit.

(Ich bin Lea)

Break The RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt