Jessica
Mit angehaltenem Atem sah ich zu meinem Stiefbruder auf. Wenn er wütend war, neigte er zur Unberechenbarkeit, und ich hatte panische Angst vor seiner Antwort auf Dads Frage. Meine Hände begannen zu Schwitzen, ich war mir bewusst, dass mein Liebesleben von hier auf jetzt ein jähes Ende finden könnte. Dabei hatte es gerade erst richtig angefangen, inklusive Liebesbekundungen und, nun ja, atemberaubenden Sex, von dem Nate vermutlich eine gratis Kostprobe bekommen hatte, wenn Marcus' Wohnzimmerfenster ebenfalls nicht spiegelten.
Jep, ich war am Arsch.
„Ach, Jessica hat nur einen vierundzwanzigjährigen Freund", stieß mein Bruder aus, und ich hatte ihn noch nie so sehr gehasst wie in diesem Moment. Mit vor Wut vermutlich sprühenden Augen drehte ich mich von ihm weg und musterte die Wand gegenüber. Klar, er hatte nicht die komplette Wahrheit erzählt, aber gelogen war seine Aussage auch nicht. Und nun wusste mein Vater von meiner Beziehung mit einem gut sechs Jahre älteren Mann – und das, obwohl ich noch minderjährig war.
„Bitte was? Stimmt das, Jessica?", donnerte mein Vater wütend, und mit einem Mal verpuffte mein eigener Zorn und wurde von einer Welle der Enttäuschung ersetzt. Nate hatte mich verraten, mein Vater wollte nur etwas von mir wissen, weil ich etwas Illegales tat.
Happy Family.
„Ja, meine Fresse!", schrie ich zurück. „Und ja, ich habe Sex! Was willst du jetzt machen, Dad?! Mich Anzeigen? Klasse Schlagzeile! ‚Staranwalt Robert White klagt gegen eigene Tochter'. Das ist mein gottverdammtes Leben, und ich kann machen was ich will!" Ich wusste, dass ich vulgär geworden war. Ich wusste, dass mein Vater nur noch wütender werden würde, weil ich ihn angebrüllt hatte. Doch ich war im Moment so wütend, so enttäuscht, dass es mir Tränen in die Augen trieb.
„Du könntest mir auch einfach seine Adresse geben und ich werde zivilisiert wie ein wahrer Mann klingeln und ihm eine runterhauen, weil er sich an meinem Mädchen vergriffen hat!", giftete Dad mit so viel Verachtung in der Stimme, dass ich lachen musste.
„Ja, klar. Natürlich. Du würdest schon am Boden liegen, bevor du überhaupt auf die Klingel drücken könntest. Und ‚dein Mädchen' tut das Ganze freiwillig, Dad. Deine süße, kleine Tochter lässt es sich von einem älteren Mann besorgen. Viel Spaß mit der Erkenntnis", zischte ich zurück und stapfte die Treppen nach oben, wobei ich es vermied, Nate auch nur zu beachten. Heiße Tränen füllten meine Augen und rannen letztendlich über meine Wangen. Nur mit äußerster Mühe konnte ich ein Schluchzen unterdrücken, meine Lippen bebten.
In meinem Zimmer angekommen unterdrückte ich das Bedürfnis, meine Tür mit Nachdruck zuzuschlagen als wäre ich ein kleines Kind. Stattdessen warf ich mich auf mein Bett, um auf ein Kissen einzudreschen und unterdrückt zu weinen. Schließlich gab ich meine verzweifelte und eher einseitige Prügelei mit dem flauschigen roten Rechteck und griff nach meinem Handy, um Cara und Emma eine Nachricht zu schreiben.
‚Nate hat es Dad gesagt' tippte ich schnell, dann pfefferte ich das Smartphone auf eine mit Kissen bedeckte Ecke neben meinem Bücherregal, wo es zwischen einer flauschigen Biene und einer Blume liegenblieb.
Es klopfte an der Tür, und Nate steckte seinen Kopf durch die Tür.
„Es tut mir lei..."
„Raus", unterbrach ich ihn barsch. Meine Stimme klang belegt, als hätte ich Ewigkeiten geheult, obwohl es gerade einmal ein paar Minuten gewesen waren.
„Nein, ehrlich Jess, ich will mich doch nur entschuldigen."
„Raus", sagte ich mit Nachdruck.
„Jess, bitte."
„VERSCHWINDE, DU GOTTVERDAMMTES ARSCHLOCH!", brüllte ich ihm entgegen, warf ein Kissen in seine Richtung. Zwar verfehlte es ihn meilenweit, doch er schloss die Tür und war weg.
Seufzend ließ ich mich wieder nach hinten fallen und starrte an die Decke, während sich meine Brust schmerzhaft zusammenzog.
Gott, ich bin ja so am Arsch.
Um die Geschehnisse der letzten Stunden zusammenzufassen:
1. Ich hatte Sex. Guten Sex.2. Dieser Sex lief jetzt in unmittelbare Gefahr der Aussterbens, da mein bescheuerter Stiefbruder in einem Wutanfall meinem ignoranten Vater gebeichtet hatte, dass ich mit einem älteren Mann zusammen war.
Am besten ich fing schon einmal an, mein eigenes Grab zu schaufeln. Wenn Dad herausfinden würde, dass Marcus derjenige war, der das Bett mit mir teilte, dann würde Marcus nach einer väterlichen Standpauke sicherlich keine Lust mehr haben, sich mit einem Klotz am Bein wie mir abzugeben, Liebesgeständnis hin oder her. Mein derzeitiger Lover würde wahrscheinlich wieder zu seiner Frau ins Bett kriechen.
Mein Selbstmitleid wurde durch die Türklingel unterbrochen, die durch das Haus schallte. Stöhnend drehte ich mich auf den Bauch und hoffte inständig, dass es nicht für mich war. Im Moment ähnelte ich eher einer Vogelscheuche denn dem begehrenswertes Mädchen, dass ich in Marcus' Gegenwart war.
Stapfende Schritte auf der Treppe. Mein geübtes Gehör, das die Geräusche dieses Hauses bereits sehr gut kannte, identifizierte zwei Personen, die nach oben trampelten. Wenig Später brach vor meiner Zimmertür ein Tumult aus.
„Okay, Nathaniel, du hast genau eine Minute Zeit, um das zu erklären", erklang Caras wütende Stimme aus dem Flur.
Ich hob den Kopf. Sie war hier?
„Ich war wütend!", rechtfertigte sich mein Bruder, worauf ein lautes Tuten von Emma erklang. „Die Antwort wird nicht angenommen." Ich vernahm ein Klatschen, dann Schmerzenslaute. Erschrocken eilte ich zur Tür und öffnete sie. Nate stand beinahe direkt vor mir und hielt sich die Wange, auf der sich der Abdruck einer zierlichen Mädchenhand abzeichnete, während Emma ziemlich stolz zu ihm aufsah. Cara dagegen erblickte mich sofort und nahm meine Hand, um mich wieder in mein Zimmer zu zerren.
„Komm, Emma. Wir lassen den Verräter alleine, auf dass er Schuldgefühle haben möge."
Dreißig Minuten später war ich mit Emma und Cara im Schlepptau auf dem Weg nach unten, damit wir einige von Vanessas Brownies futtern konnten, die seit heute Morgen im Kühlschrank lagerten. Allerdings wurden unsere Pläne von meinem Vater verhindert, der wild gestikulierend im Wohnzimmer auf und ab ging und mit jemandem sprach, den ich von meinem Standpunkt aus nicht erkennen konnte. Vorsichtig wagte ich mich näher an die Tür, sodass ich einige Gesprächsfetzen aufnehmen konnte.
„Der Kerl ist vierundzwanzig, verdammt! Vierundzwanzig! Das ist, als würde sie mit dir schlafen!", meckerte Dad. Da ich keine Lust auf seine Ansprach hatte ging ich schnurstracks in den Raum, damit nicht weiter über mich geredet wurde. Emma und Cara folgten mir auf Schritt und Tritt, weswegen beide in mich hineinliefen, als ich den Gesprächspartner meines Erzeugers erkannte.
Marcus schenkte mir lediglich ein gequältes, erzwungenes Lächeln.-
Leas Werk.
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Break The Rules
RomanceJess hat gerade eine schmerzhafte Trennung hinter sich und würde sich eigentlich am liebsten nur noch verkriechen, wie man das eben so macht, wenn man Liebeskummer hat. Doch ihre süße, kleine Herzschmerzwelt wird erheblich auf den Kopf gestellt, als...