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„Guten Morgen, Jess."
„Noch nicht", grummelte ich unzufrieden und drehte mich auf die andere Seite.
„Doch, Kätzchen. Wir müssen in die Schule."
Emma konnte so nervtötend sein.
„Nein. Ich gehe heute nicht."
„Und wieso nicht?"
Wie beharrlich.
Ich beschloss, sie zu ignorieren.
„Soll ich Brandon holen?"
„Um was zu machen?"
Meine Stimme hörte sich vom Schlaf noch ganz rau an.
„Er findet schon Mittel und Wege, dich aus dem Bett zu scheuchen."
Ich gähnte. Immer dieses Affentheater.
Brandon's Mittel und Wege mich aus dem Bett zu kriegen, bestand darin, mich zu Tode zu kitzeln. Und darauf konnte ich nach einem so turbulenten Abend wirklich verzichten.
„Ich will aber wirklich nicht zur Schule", entgegnete ich wenig kreativ und verzog das Gesicht.
Ich will mich verkriechen und nie wieder rausgehen.
„Das ist doch total öde."
Sie ließ sich auf das Gästebett fallen und beäugte mich kritisch.
„So schlimm ist es doch wirklich nicht, von einem reichen, attraktiven Mann geküsst zu werden, oder? Und selbst wenn dem so wäre; du solltest wirklich zur Schule gehen."
Sie hatte ja recht.
Mühselig rappelte ich mich auf und fuhr mir durch die zerzausten Haare.
Emma hingegen sah aus, wie aus dem Ei gepellt. Perfekt gestylt, wie immer eigentlich.
„Seit wann bist du denn schon wach?"
„Seit einer halben Stunde oder so. Bin aufgewacht, als dein Handy vibriert hat. Marcus hat sich per WhatsApp dafür entschuldigt, dich angefallen zu haben. Und ich dachte, es sei nur ein Kuss gewesen. Ts, ts, ts."
Mir schoss das Blut ins Gesicht. Er hatte mir geschrieben?
„Warum zur Hölle durchforstest du meine persönlichen Nachrichten?"
„Die Frage lautet wohl eher: Warum erzählst du mir nicht, dass er dich angefallen hat?"
Darauf hatte ich nun wirklich keine gute Antwort.
Ich schwang mich aus dem Bett.
„Es war ein Fehler", murmelte ich niedergeschlagen und griff mir mein Smartphone.
„Was war ein Fehler, Jess? Dass er dich angefallen hat? Oder, dass du ihn nicht daran gehindert hast, weil es dir gefiel?"
Sie kennt mich zu gut. Verdammt, sie kennt mich wirklich zu gut.
„Keine Antwort ist auch eine Antwort, Liebes."
„Hör mal, Em. Ich bin nicht interessiert an einer Affäre. Nach Kyle will ich nun etwas, nun ja, Festeres. Etwas, worauf ich bauen könnte. Wenn ich mich mit Marcus einlassen würde, wäre das die Katastrophe. Ich würde da als Verliererin rausgehen."
Das war nun hoffentlich deutlich genug.
„Kann ich was von dir anziehen? Hab ja nur das Kleid", mit einem Kopfnicken deutete ich in Richtung meines Abendkleids, das an ihrer Stuhllehne hing.
„Oder als Gewinnerin", antwortete sie grinsend und stand wieder auf. „Ich hole dir jetzt was aus meinem Schrank. Und Jess?"
Ich hob fragend den Blick.
„Ich weiß, dass du befürchtest wieder verletzt zu werden. Aber so wie ich das sehe, wirst du mit Marcus früher oder später in der Kiste landen. Das ist eine unumstößlich Tatsache, der du dich nicht ewig entziehen kannst."

„Und? Hast du dich wieder einigermaßen im Griff?", spottete Cara, sobald wir in der Schule eintrudelten. Ich war ungelogen kurz davor, ihr eine herunterzuhauen.
„Was heißt hier im Griff? Sie wollte blau machen."
Emma war mir auch keine große Hilfe.
Also ließ ich die beiden diskutierenden Mädchen einfach stehen, setzte mich auf meinen Platz und wartete sehnsüchtig darauf, Josh Brown durch die Tür kommen zu sehen. Ich fragte mich, wie es für ihn gewesen war, sich in eine seiner Schülerinnen zu verlieben. Was er dabei empfunden hatte, und ob sie seine Gefühle von Anfang an erwiderte. Ich hielt das zwischen mir und Marcus zwar nicht für Liebe, doch es war schon etwas Ungewöhnliches. Und ich würde alles dafür geben, mich mit einer Person darüber unterhalte zu können, die eine ähnliche Erfahrung in ihrem Leben gemacht hatte.
„Jessica?"
Überrascht drehte ich mich um, und sah in Holly's zu einem höhnischen Lächeln verzogenes Gesicht.
Oh, bitte nicht. Nicht das.
„Könntest du einen Abflug machen?"
„Netter Vorschlag. Aber nein, danke."
„Komm schon, wir sind doch die besten Freundinnen."
Ich lachte laut auf. Guter Witz.
„Es ist nur so, dass meine Leistungen in Mathe zu wünschen übrig lassen...und deshalb dachte ich, wir könnten vielleicht Plätze tauschen. Du weißt schon, damit ich mich besser konzentrieren kann."
Aha. Raffinesse, werte Holly. Gar nicht schlecht, der Joke.
Doch bevor ich irgendeine süffisante Bemerkung machen konnte, hatte Mr. Brown bereits das Wort ergriffen.
„Holly, es schmeichelt mir sehr, dass dir mein Unterricht so sehr am Herzen liegt aber deine Noten sind eigentlich vollkommen in Ordnung. Und ich denke, von weiter hinten kannst du mich viel unauffälliger anstarren, als aus der ersten Reihe. Nur so als Tipp."
Dann wandte er sich an die ganze Klasse, während ich mit Genugtuung beobachtete, wie die Gesichtszüge der größten Klischee-Schulzicke entgleisten und ihre Wangen sich puterrot verfärbten. Nicht nur mein Leben war scheiße.
„Hey, nimm's nicht so schwer", ich legte ihr die Hand auf die Schulter. „Benutze beim nächsten Mal einfach noch ein bisschen mehr Abdeckcreme, ja? Damit man deine roten Bäckchen nicht so sieht."

„Reife Leistung, White. Ich bin richtig stolz auf dich, denn du hast heute über Holly gesiegt. Das muss unbedingt gefeiert werden!"
Brandon hielt mir die offene Hand entgegen, in die ich freudig einschlug.
„Hallo? Schäm dich, Brandon. Es ist deine Freundin!", rief ich plötzlich gespielt entsetzt und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Du meinst Ex-Freundin, Kleine."
„Oh? Du hast es schon hinter dir?", fragte ich überrascht und musterte ihn aus aufgerissenen Augen.
„Si. Und ich glaube, dass sie versucht hat, mich mit der Aktion mit Brown eifersüchtig zu machen", erwiderte er vergnügt und biss in den Apfel, den ihm seine und Emmas Mutter heute morgen in die Hand gedrückt hatte.
„Und bist du eifersüchtig?" Ich grinste breit und schlug ein Bein über das andere.
Ich liebte es, mich mit Brandon zu unterhalten. Er war so etwas wie mein Ersatz-Nate, wenn der Echte irgendeine schwierige Phase hatte. Dazu zählte auch die Begeisterung, die er Lee entgegenbrachte. Das schrie für mich förmlich nach nötiger Distanz!
„Nicht ein bisschen", gestand er lachend, worauf seine Miene etwas ernster wurde.
Mir war bewusst, dass er mich genauer in Augenschein nahm.
„Sagst du mir, was los ist? Bist du auf Cara und Em sauer? Oder ist es wegen Marcus?"
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm alles anvertrauen sollte, aber andererseits wusste er das meiste seit gestern Abend sowieso schon. Außerdem durchschaute er meine Lügen fast immer.
„Ich bin sauer auf die beiden, weil sie mich nicht verstehen. Sie können nicht begreifen, weshalb ich mich nicht auf ihn einlasse. Aber ich habe nun mal meine Gründe. Sieh mal, fändest du es in Ordnung etwas mit jemanden anzufangen, der eine Frau hat? Den deine ganze Familie für etwas ganz Besonderes hält?"
Er schüttelte nachsichtig den Kopf. „Das ist was dran. Aber so ein One-Night-Stand..."
„Nein, ein One-Night-Stand interessiert mich nicht."
„Okay. Aber gestern habt ihr euch geküsst?"
„Ja. Und einerseits bereue ich es, andererseits nicht. Ich kann mich selbst schon gar nicht mehr verstehen." Ich lächelte schief und starrte auf meine Finger, während Brandon seinen Apfel allmählich beendete.
„Würdest du denn etwas mit ihm anfangen? Unter etwas, nun ja, normaleren Umständen?"
Ich brauchte nicht lange, um diese Frage zu beantworten.
„Ich schätze schon, ja. Er...er gefällt mir. Und, na ja, er scheint ganz cool zu sein aber er ist tabu. Und ich wünschte, er würde mich endlich in Ruhe lassen." Meine Stimme nahm einen etwas überzeugenderen Tonfall an.
Nein, ganz so ist es nicht.
Eigentlich wollte ich nicht, dass er mich in Ruhe ließ. Denn wenn ich nur für ein paar Sekunden den Kuss Revue passieren ließ, breitete sich eine Gänsehaut über meinem gesamten Körper aus. Und ich würde so ziemlich alles tun, um diese Szene zu wiederholen.
„Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag Bescheid. Ich haue ihm auch eine aufs Maul, wenn's sein muss. Okay?"
„Okay", erwiderte ich grinsend und schulterte meinen Rucksack.
„Muss jetzt los", ich deutete auf eines der Klassenzimmer. „Spanisch und so."

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