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Eigentlich wollte ich nur zu Starbucks, um mir einen Java Chip zu gönnen, doch mein Plan wurde etwas vereitelt. Denn ungefähr fünf Meter vor dem Laden wurde ich aufgehalten. Und zwar von niemand geringerem als Kyle.
„Hey, J-J. Wohin willst du?"
„Zu Starbucks."
„Aha. Hey, weißt du was? Ich gebe dir einen Java Chip aus und dafür setzen wir uns irgendwo in die Sonne und reden, ja?"
Ich zögerte. Zum einen wollte ich mein kaltes Milchgetränk wirklich, zum anderen war Kyle mein Ex. Doch schließlich sagte ich zu.
„Also, was hast du so gemacht, seit wir... Na ja, hast du einen neuen Freund oder so?" Wow. Okay, er kommt also gleich zur Sache.
„Nein, habe ich nicht. Und du? Ne neue Freundin?"
„Nein. Das, ähm...Also, die Sache ist die... Es war dumm von mir, dich in den Wind zu schießen. Verdammt, vermutlich war es das Dümmste, das ich je gemacht habe. Und du weißt genau, dass ich mal ein illegales Straßenrennen veranstaltet habe - und ich hab gewonnen! Na ja, ich dachte... Vielleicht hasst du mich ja jetzt nicht, und ich hab gehofft..."
Ich unterbrach sein Stottern: „Warum, Kyle? Warum hast du überhaupt mit mir Schluss gemacht?"
Mein Ex - Freund zögerte. Und das sehr lange.
„Ich dachte... Ich dachte, ich hätte mich in Holly verliebt. Du weißt schon. Brandons Ex. Allerdings... Als ich sie geküsst habe, habe ich immer nur dein Gesicht gesehen, J-J. Und mir ist klar geworden, dass ich ziemlich dumm war. Ich habe die Frau, die ich liebe, in den Wind geschossen. Für Beliebtheit und Geld", sagte er schließlich.
Ich glaubte ihm nicht ganz. Das mit Holly schon. Der traute ich es zu, während ihrer Beziehung mit Emmas Zwilling ein paar Affären gehabt zu haben. Aber Kyle war nicht der Typ, der eine Wahnsinnsfrau wie Holly gegen...Nun ja, mich eintauschte. Somit begegnete ich seinen Annäherungsversuchen eher skeptisch. Und der machte sich definitiv an mich ran: Meine linke Hand lag frei auf dem Tisch, und Kyle bedeckte sie mit der seinen. Die andere konnte er nicht greifen, denn in der hielt ich meinen Java Chip. Und er flirtete hemmungslos mit mir. Nicht mit Worten, sondern mit seinen Augen. Seinen verdammt schönen, strahlend blauen Augen, die bis jetzt jedes Mädchen hatten schmelzen lassen.
Lees Augen sind schöner.
Was?
Ich wollte mich für meine Gedanken rügen - bis ich bemerkte, dass ich Recht hatte. Marcus' Augen waren tatsächlich schöner. Sanfter. Perfekt.
Diese Einsicht brachte mich zurück auf den Boden. Kyle hatte mich verlassen, und heute Morgen hatte ich Sex mit Marcus Lee gehabt. Mich wieder an Kyle zu binden schien mir ziemlich mies, aber zu Lee zurück? Auch nicht. Vielleicht sollte ich einfach lesbisch werden. Das würde einiges vereinfachen.
Dummerweise hatte ich eine Schwäche für attraktive Typen.
Und einer saß vor mir und sah mich verführerisch an.
„Kyle...", begann ich zögernd, doch er unterbrach mich. „Was auch immer es ist, ich hoffe, es kann warten bis ich wieder da bin." Mit diesen Worten verschwand er in das Innere des Cafés, vermutlich auf die Toilette.
Allerdings hatte er sein Handy auf dem Tisch liegen lassen. Und der Bildschirm leuchtete auf, als eine Whatsapp hereinkam. Mir fiel ein, dass er während dem Bestellen unserer Drinks eine Nachricht getippt hatte.
Ohne groß nachzudenken griff ich mir das Smartphone und konnte gerade noch so einen Blick auf die Nachricht werfen.
‚Jim sagt, dass du einen Hunderter von ihm bekommst, wenn du die kleine Jess auch noch vögelst - Aber er will einen Beweis!'
Ich wollte schon reinstürmen und Kyle wütend das Handy unter die Nase reiben, als ich das ‚auch noch' bemerkte. Also gab es noch eine andere ‚Aufgabe'. Eine Wette, nach dem Motto ‚Fick Jessica und ich geb dir so und so viel Geld'.
Und ich hatte eine schöne Sekunde lang geglaubt, dass Kyle mich wirklich wollte.
Er war dumm von ihm, seinen Code nicht zu ändern. Nachdem ich den vierstelligen Pin eingegeben hatte, konnte ich alle Nachrichten lesen.
‚Fünfzig Dollar, wenn du deine Ex dazu bringst, dich zu küssen. Sie dich, nicht du sie.'
‚Nochmal Fünfzig, wenn sie dich unter ihr Oberteil lässt.'
Plus den Hunderter, wenn er mit mir schlief. Kyle, du verdammtes Arschloch! Ich war kurz davor zu gehen. Wirklich sehr kurz davor - doch dann realisierte ich, dass ich eine Frau war. Eine unfassbar verletzte Frau. Mit Tränen in den Augen. Im Moment drängte ich sie zurück, doch ich konnte sie später noch gebrauchen. Ich wollte es diesem notgeilen Mistkerl heimzahlen.

Als er selbstbewusst zu unserem Tisch schlenderte, unterdrückte ich meine Mordfantasien und lächelte ihn an.
„Was ich sagen wollte: Ich bin bereit, dir zu vergeben, okay? Ich verstehe, dass du Holly abserviert hast - schließlich bin ich einfach toll, nicht wahr?"
Seine Augen leuchteten auf. „Wirklich?"
Eindrucksvoll, Arschloch.
„Ja, wirklich. Was hältst du davon, ein Stück zu gehen? Nur zu sitzen wird doch langweilig", schlug ich vor und stand auf, bevor er verneinen konnte. Gemeinsam schlenderten wir ein wenig durch die Stadt, bis ich stehen blieb.
„Weißt du, Kyle, ich habe mich gefragt, warum du mit mir reden wolltest. Du hättest es mir auch in deinem Briefschreiben können. Da ist mir aufgefallen...", setzte ich an, und während des Sprechens trat ich immer näher an ihn heran, als würde ich ihn küssen wollen. Seine Augen blitzen auf, und ich konnte fast schon Dollarzeichen in ihnen erkennen.
Fahr zur Hölle.
Meine Lippen waren ganz dicht an seinen. Ich hätte nur noch eine Bewegung machen müssen, um ihn zu küssen. Doch stattdessen sank ich zurück auf meine Fersen.
„... dass das alles nur eine Masche ist, um mich wieder herumzukriegen. Fünfzig für einen Kuss, fünfzig wenn ich dich unter mein Top lasse, und hundert, wenn ich mit dir schlafe."
Er sah mich verwirrt an. „Hundert...?"
„Sieh auf dein Handy, Arschloch."
Stirnrunzelnd öffnete er Whatsapp -und sah die Nachricht.
„Oh."
„Warum, Kyle? Bedeute ich dir wirklich so wenig? Verdammt, ich habe dich so sehr geliebt! Und so dankst du es mir?"
Tränen flossen mir über die Wangen, und ich musste mich nicht einmal bemühen, zu weinen. Ich war so tief verletzt! Mein wundervoller Ex hatte soeben zugegeben, dass er mich als Geldbeschaffungsmittel sah!
Wenigstens sah er getroffen aus, als ich weinend vor ihm stand.
„Ich hasse dich!", rief ich aus, bevor ich mich umdrehte und weg rannte. So schnell ich konnte.
Schließlich fand ich mich mit tränennassen Wangen in einem Park wieder, in dem ich mich auf eine Bank fallen ließ. Das Gesicht vergrub ich in meinen Händen.
Es tat so weh. Alles. Kyles Verrat. Dads Unaufmerksamkeit. Rachels bloße Existenz. Die Entfernung zwischen Mom und mir. Diese komische, undefinierte Beziehung zwischen Lee und mir. Nates kranke Faszination für eben diesen. Die Schwärmereien meiner Freundinnen. Hollys ständige Streitereien.
Ich hatte es so satt. Jessica White, das arme Häschen, das von allen herumgeschubst und -kommandiert wurde.
Hätte ich nicht sowieso einen Kater - und eine halbwegs genaue Vorstellung davon, was das letzte Mal unter Alkoholeinfluss passiert war (also gestern Nacht) - , dann hätte ich mich betrunken, um irgendwann meinen eigenen Tod vorzutäuschen und zu Mom zu ziehen. Dann hätte ich Lee und Kyle los, Nate könnte seine Gefühle ausleben und Dad und Rachel konnten meinetwegen noch hundert kleine Zicken zeugen.
Eine warme, mir sehr wohl bekannte Stimme unterbrach meinen Selbstmitleid: „Du siehst ziemlich fertig aus, Jessica."

Break The RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt