Stille Tränen

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Schreibnacht Teil 1

Ich atmete abgehackt ein und aus. Ein und Aus. Immer wieder. Bis ich glaubte mich wieder halbwegs unter Kontrolle zu haben.
„Ich bin kein Halbblut!", flüsterte ich und ballte die Hände mehrmals zu Fäusten. Aber ich drehte mich nicht um. Wenn ich ihm jetzt in die Augen sehen würde, würde das nur noch mehr Chaos in mir hervorrufen.
„Oh doch.", erwiderte er genauso leise. Sein Atem streifte meinen Nacken.
„Ich. Bin. Kein. Halbblut!", sagte ich. Meine Stimme klang lauter. Sicherer.
Die anfängliche Traurigkeit und das Entsetzen wichen nun der Wut. In mir brodelte es gefährlich.
„Du wirst dich dran gewöhnen müssen.", wisperte er und die kleinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.
Das war der Moment, in dem ich mich doch umdrehte. Fast wäre ich umgekippt. SO nah war er mir und das brachte mich kurz aus der Fassung.
„Ich will mich aber nicht daran gewöhnen.", giftete ich mit bedrohlicher Stimme.
Es war einfacher ihn auf Abstand zu halten, erstrecht nach dem was John mir gerade eben eröffnet hatte.
Aber Auch weil ich mir nicht traute. Meine Gefühle waren nicht sehr hilfreich, wenn es um Darian ging.
„Früher oder später wirst du es wohl müssen. Hier überlebt ein Halbblut nicht lange. Und ein so mächtiges wie du so oder so nicht." Seine blauen Augen glitzerten gefährlich und versprachen, dass sie die Wahrheit sagten.
Ich schluckte. „Lieber sterbe ich als eine von euch zu werden." Starr erwiderte ich seinen Blick kalt.
„Prinzessin, wenn du solche Aussagen machst, werde ich wohl gezwungen sein für den Rest deines Lebens Babysitter zu spielen." Er machte eine kleine Pause und lächelte. „Eine sehr verlockende Aufgabe, wenn du mich fragst."
Sein Lächeln wurde größer als sein Blick mich von oben bis unten musterte.
„Soll ich mich vielleicht noch um die eigene Achse drehen?", fauchte ich und funkelte ihn böse an.
„Oh mir gefällt auch so, was ich sehe. Obwohl du ein wenig zu viel anhast für meinen Geschmack." Provokant verschränkte er die Arme vor der Brust und blickte auf mich hinab.
„Muss ziemlich frustrierend sein, dass du mich nicht anfassen darfst oder?", fragte ich ihn herausfordernd.
Irritiert verzog er das Gesicht.
„Ich weiß genau, dass du mich willst. Ich sehe es an deinen Augen. Aber mein Vater ist hier offensichtlich der Big-Boss. Muss dich ziemlich ärgern, dass ich nicht einfach nur eine kleine Blutsaugerin bin, die deinem attraktiven Äußerem verfällt.", erklärte ich also, als spräche ich mit einem kleinen Kind.
Während ich mich mit Darian auseinandersetzte, ratterte es in meinem Kopf unentwegt. Ich brauchte einen Plan um von hier zu fliehen. Allerdings liefen alle Szenarien auf dasselbe hinaus. Selbst wenn ich Darian und seinen Leuten entkam – irgendwie – was sollte ich dann tun? Wo sollte ich hin? Wo war ich überhaupt? Wem konnte ich hier vertrauen? Würde mir überhaupt jemand helfen?
Erstmal musste ich wohl Zeit schinden und auf ein Wunder hoffen.
„Du findest mich attraktiv?", fragte er mit einem siegessicheren Ton. Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fing an zu lachen.
Von allen Provokationen und Beleidigungen hatte er nur das gehört? Nur das?!
Na prima! Wo war die nächste Pfütze, in der ich mich ertränken gehen konnte?
Das war so typisch Mann. Ob er jetzt nun Mensch, Vampir oder vielleicht Werwolf war.
In dieser Hinsicht waren sie wohl alle gleich. Komplimente schmeichelten ihren Egos. Und das viel zu sehr.
Ich lachte. Ich lachte, weil mein ganzes Leben eine einzige Lüge war.
Ich lachte, weil die einzigen Personen, denen ich jemals vertraut hatte meine Mutter ermordet hatten.
Ich lachte, weil die Grenzen zwischen Gut und Böse so unklar waren.
Ich lachte, weil ich nicht wusste, was ich überhaupt noch glauben durfte.
Ich lachte, weil lachen besser war als weinen.
Mir war bewusst, dass die anderen mich ansahen, als sei ich verrückt.
„Tut mir leid!", brachte ich keuchend hervor und kam nur schwerfällig wieder auf die Beine.
„Du bist und bleibst mir ein Rätsel, Frau.", meinte Darian, wandte sich ab und ging. Das Grinsen auf seinen Lippen und das Glitzern in seinen Augen konnte ich nicht mehr sehen.
Nach Atem ringend setzte ich mich wieder zurück zu den anderen.
Adam war noch immer fort. Sollte mir nur Recht sein.
Lucas war gerade dabei ein Feuer zu entfachen um die nahende Dunkelheit zu verjagen.
„Ist schwer für dich, oder?", wollte er von der anderen Seite des Feuers wissen.
„Das ist es.", seufzte ich und hielt meine Hände an die wärmende Quelle.
„Aber Darian hat Recht: Du wirst dich daran gewöhnen."

„Tut das nicht weh?", fragte ich lange Zeit später und schlang mir meine Strickjacke enger um den Körper. Dabei kam mir ein Gedanke: Wo war mein Mantel? Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich mich um.
„Was meinst du?" Fragend sah mich Lucas an.
„Das Beißen. Deine Zähne wachsen doch. Jetzt zum Beispiel sind sie einfach nur ein wenig zu spitz, aber normal lang.", erklärte ich mit Blick auf seine Eckzähne.
Ich wusste, dass ich mich mit diesen Fragen auf dünnes Eis begab, aber das war mir jetzt auch egal. Hilfesuchend blickte Lucas zu John, aber der tat, als hätte er nichts gehört und packte weiterhin einige Sachen von der zugenagelten Kutsche.
„Gut aufgepasst.", lobte er grinsend. „Am Anfang schon, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran." Er zuckte mit den Schultern und stocherte in dem Topf über dem Feuer herum. Für ihn war das Thema damit offenbar beendet. Also stand ich auf und ging zu John.
Ein kalter Wind wehte über die kleine Lichtung. Ich fröstelte.
„Hey John.", sagte ich und beobachtete wie er eine große Tasche vom Karren ob und auf den Boden stellte.
„Was kann ich für dich tun Prinzessin?" Er klopfte sich Staub und Dreck von der Hose und sah mich aufmerksam an.
„Hast du meinen Mantel gesehen? Allmählich wird es doch ein wenig kalt hier ohne Jacke.", gestand ich.
„Nein. Tut mir leid." Er schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung wo der abgeblieben ist."
Enttäuscht ließ ich die Schultern ein wenig hängen. Offenbar hatte er Mitleid mit mir, denn er zog etwas aus einem Beutel und reichte es mir.
„Mehr kann ich momentan nicht machen.", erklärte er. Es war ein grob gestrickter dunkelgrüner Pullover. Viel zu groß, aber besser als gar nichts.
Ich lächelte schwach, bedankte mich und zog ihn über.
Der Stoff roch nach Erde und Moos. Ein betörender Duft. Vorsichtig vergrub ich meine Nase darin und atmete tief ein. Danach ging ich zurück ans Feuer. Jetzt ging es mir besser. Soweit man in einer solchen Situation davon sprechen konnte, dass es einem gut ging.
Die Ärmel des Pullis zog ich über meine Hände und lehnte mich zurück. Den Kopf auf einen kleinen Baumstamm gebettet, das warme Feuer in meinem Rücken und den klaren Sternenhimmel über mir. Was David wohl gerade tat? Suchte er mich vielleicht schon?
Ich konnte kaum glauben, dass ich – falls es stimmte, was die anderen mir erzählt hatten – ausgerechnet an ihn dachte, beziehungsweise auf seine Hilfe hoffte.
Er war ein Mörder. Er hatte mir meine Mutter genommen.
Das einzige was mich in diesem Leben hielt. Oder gehalten hatte.
Sanft zog ich die Kette unter meiner Kleidung hervor. Sie war noch da. Erleichterung überflutete mich. Langsam öffnete ich das silberne Medaillon und betrachtete das Foto meiner Mutter.
Still lief mir eine Träne über das Gesicht. Sie war gestorben. Wegen mir. Einem dreckigen Halbblut.
Leise schloss ich die beiden Teile wieder zu einem Ganzen und versteckte es unter meinem Oberteil. Lautlos weinend glitt ich in einen unruhigen Schlaf.

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt