Ich hatte keine Ahnung, woher die Männer kamen, die gerade hinter David aus dem Wald stürmten. Waren sie die ganze Zeit schon dort gewesen und hatten sich nur versteckt gehalten?
Es waren nicht viele. Sieben oder acht vielleicht. Und trotzdem waren sie in der Überzahl.
Darian knurrte und trat einen Schritt nach hinten zu uns, als die Fremden sich wie eine Wand vor uns aufbauten.
„Wenn ich sage lauf, dann nimmst du Anik und läufst so schnell du kannst. Renn zur Stadt. Adam wird dich sehen. Er wartet dort.", befahl er leise. Konzentriert. „Dreh dich nicht um. Egal was passiert. Es geht hier um dich. Um dein Überleben. Nichts anderes ist von Bedeutung, hörst du?"
Ich nickte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Meine Hände bebten, als ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischte.
Dabei war mir egal, dass meine Finger schwarze Streifen auf meiner Stirn hinterließen.
Mein einziger Gedanke galt Darian. Ich wollte ihn hier nicht einfach alleine lassen!
Das waren zu viele Gegner. Das würde selbst er nicht schaffen!
Verdammt, ich wollte ihn an meiner Seite wissen. Und nicht irgendwo am Flussufer, wie er gegen meinen Ex kämpfte.
Seine Augen blickten noch immer in meine und ich wusste genau, dass er all diese Gedanken gerade darin lesen konnte. Zwischen uns stand diese Wand aus Angst.
Angst, dass ich es nicht schaffen würde.
Angst, dass ihm etwas passieren könnte.
Angst, dass wir getrennt werden könnten.
Für einen kurzen Moment wurde sein Blick weicher, liebevoller und er nickte unmerklich. Wir hatten keine Wahl.
„Gut.", entschied er. Dann drehte er sich herum und atmete tief durch.
Die darauffolgenden Sekunden nahm ich wie in Zeitlupe wahr:
Mit lautem Geschrei stürzten die ersten von Davids Männern sich auf Darian.
David stand mit einem leichten Lächeln auf den Lippen in der zweiten Reihe und beobachtete alles.
„Bell!", schrie Darian irgendwann. „Lauf! Jetzt!"
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Ich schnappte mir Aniks Hand und begann zu laufen. Auch wenn mir jeder Schritt weg von Darian einen Stich ins Herz jagte. Das hier war falsch. Es konnte nur in einem Drama enden.
Als ich mich das erste Mal umdrehte, wäre ich am liebsten einfach umgefallen. Meine Beine schmerzten bei der kleinsten Bewegung. Meine Brust hob und senkte sich hektisch und die Unwissenheit über Darians Wohlergehen, trieb mich schier in den Wahnsinn!
Keuchend stützte ich mich auf den Knien ab und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
Dabei fiel mir auf, dass der Boden unter meinen Füßen von Moos bedeckt war. Ein übler Verdacht schlich sich in meine Gedanken.
Langsam ließ ich mich auf meinen Hintern fallen und sah mich um.
Vor mir waren Bäume. Hinter mir auch. Überall!
Wir standen mitten im Wald.
Vom Fluss, an dem die Stadt lag, war weit und breit nichts zu sehen.
„Verdammt!", sagte ich laut und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht.
Ächzend setzte Anik sich neben mich. Seine Knie knackten laut dabei.
„Wir tun verlaufen uns haben.", sprach er das Offensichtliche aus.
Ich schüttelte den Kopf, ehe ich ihn auf meinen Knien ablegte. „Darian bringt mich um."
„Das tun vorrausetzen, dass er uns überhaupt finden tut.", meinte Anik aufmunternd und tätschelte mir liebevoll die Schultern.
Meine Augen brannten gefährlich, aber ich schaffte es irgendwie die Tränen zurückzudrängen.
„Ich bin so doof.", murmelte ich in den verrauchten Stoff meines Kleides.
„Oh nein." Anik zog eine Schnute, dann nahm er mein Kinn zwischen seine knochigen Finger und drehte es so, dass ich ihn ansehen musste. „Du tun nicht sein doof. Du tun seien unglaublich kluge junge Frau. Nur kleiner Fehler dir tut passiert sein."
Mit großen Augen sah ich ihn an. Entweder wusste er etwas, was ich über unsere Situation noch nicht wusste, oder er war einfach nur völlig wahnsinnig.
Ein lautes Rascheln im Busch hinter uns, ließ mich auf die Füße springen.
„Darian?", fragte ich und versuchte in der Dunkelheit vor uns etwas zu erkennen.
Keine Antwort.
Nur etwas gleichmäßiges dumpfes. Schritte?
Dann ein leises Kichern.
Das war nicht Darian. Gott, das war niemals Darian!
Ich zog Anik auf die Füße und schob ihn hinter mich.
„Liz.", flüsterte eine dunkle Stimme verführerisch und da wusste ich, wer uns dort in der Schwärze der Nacht gegenüberstand.
„David.", entgegnete ich stimmlos und keine Sekunde später sah ich ein paar roter Pupillen zwischen den Bäumen aufleuchten.
Langsam kam er auf uns zu, bis schließlich das Mondlicht seine Erscheinung ein wenig erhellte.
Unwillkürlich fing mein Herz an schneller zu schlagen.
„Weißt du ich fühle mich echt gut. Erleichtert irgendwie. Jetzt wo du weißt, wer und was ich wirklich bin. Das wäre sonst immer zwischen uns gestanden." Er atmete tief durch und schloss kurz die Augen. Als sein Blick mich das nächste Mal streifte, war von dem blutrot darin nichts mehr zu sehen. Mir blickten die Augen entgegen, die ich kennen und lieben gelernt hatte.
„Du bist so ein Arsch.", meinte ich nur und streckte meine Schultern durch.
Er lächelte milde. „Und das fällt dir jetzt erst auf?"
Herausfordernd erwiderte ich seinen Blick. „Tut mir leid, wir können nicht alle solche Lügner und Betrüger sein wie du."
Lächelnd schob er seine Hände in die Hosentaschen und seufzte gespielt erleichtert. „Ich gebe dir ja sogar Recht. Die Wahrheit macht alles viel leichter. Also bin ich ehrlich zu dir. Du wirst deinen Vater niemals erreichen." Das Lächeln auf seinen Zügen verschwand schlagartig und seine Augen ausdruckslos.
„Warum bist du dir so sicher?", fragte ich und versuchte meine Angst nicht zu zeigen.
„Weil ich dich vor deinem geliebten Darian gefunden habe und du mich nun begleiten wirst.", erklärte er und legte den Kopf schief.
Ich lachte bitter. „Mit Sicherheit nicht." Meine Augen funkelten bedrohlich, als ich David herausfordernd anblickte. „Anik und ich..."
Meine Hand griff nach hinten um Anik zu mir zu ziehen. Doch ich griff ins Leere.
Erschrocken fuhr ich herum.
Er war weg!
Anik war weg!
Wie vom Erdboden verschluckt!
Verwirrt raste mein Blick durch die Nacht. Nichts zu sehen.
Das durfte doch nicht wahr sein! Was sollte das? Hatte er auf einmal doch die Hose voll und machte sich lieber aus dem Staub bevor es richtig gefährlich werden konnte? Jetzt wo Darian nicht mehr in der Nähe war um ihn zu beschützen.
„Aber... Er... Wir...", stotterte ich und drehte mich einmal um die eigene Achse.
Ich stoppte erst, als die Gewissheit mich wie eine eiskalte Welle traf: Ich war alleine. Mit David.
Langsam ausatmend wandte ich mich wieder zu ihm und schluckte meine Angst hinab.
„Wie es aussieht hat sich die Situation verändert." Ein dreckiges kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. Die Lippen die ich unzählig viele Mal geküsst hatte. „Es gibt nur noch dich und mich Liz. Fast so wie es immer war. Eigentlich lustig oder?"
Ein, zwei Minuten blieb ich still und starrte ihn einfach nur regungslos an, während mein Kopf auf Hochtouren arbeitete um mich aus dieser Situation zu befreien.
„Dein Sinn für Humor war schon immer besonders.", zischte ich irgendwann leise.
Sein Lächeln wurde breiter und ich konnte zwei Spitzen auf seinen Lippen sehen. Seine Eckzähne.
Am liebsten würde ich mich herumdrehen und weglaufen. So schnell meine Beine mich trugen. Egal wohin. Hauptsache weg von ihm.
Jedoch waren die Chancen für einen Menschen, einem Vampir zu entkommen nicht unbedingt so hoch.
So entschied ich mich für die letzte Möglichkeit, die ich noch hatte. Abwarten und Zeit schinden, bis sich der Himmel auftun würde und mir einen Weg weisen würde.
Man konnte also sagen, dass ich total verzweifelt war.
„Immerhin hab ich überhaupt einen.", giftete er zurück. „Für dich gibt es doch nur Schule, deine Bücher und dein Selbstmitleid."
„Bitte was?!", fuhr ich ihn an.
„Du hast schon richtig gehört. Jeden einzelnen Tag bist du unter einer grauen Wolke gestanden und bist darin zerflossen, wie schrecklich die Welt doch zu dir ist.", formulierte er es aus.
Fest biss ich die Zähne aufeinander um nicht auf ihn loszugehen.
„Das ist nicht wahr! Und das weißt du auch.", flüsterte ich und ballte die Hände zu Fäusten.
„Ach ja?", entgegnete er und seine Augen begannen dunkler zu werden.
„Hör auf damit!", befahl ich mit fester Stimme.
„Warum?" Er lachte. „Weil es die Wahrheit ist? Jeder Lehrer liebt dich. Deine Mitschüler mögen dich nicht, weil es zu anstrengend ist dich kennenzulernen. Du verkriechst dich in Büchern. Liest und philosophierst über den Tod und hast doch keine Ahnung was es heißt tot zu sein."
„STOP!", brüllte ich, wandte mich ab und versuchte meine Fassung zu wahren. „Sei still!"
Die Knöchel meiner Hände traten weiß hervor.
„Nein!", wisperte David und kam einen Schritt auf mich zu. „Ich werde nicht mehr schweigen! All die Zeit habe ich deine Anfälle von Selbstmitleid ertragen. Ich habe dich unterstützt bei der Suche nach deinen Wurzeln, damit du endlich Ruhe geben würdest. Verdammt, ich war immer da. Jede Sekunde in der du eines deiner Tiefs hattest, war ich die Person die dich aufgefangen und zurück auf die Beine gestellt hat. Ich gebe zu, dass nicht alles schlecht war. Aber glaub mir: Irgendwann ist man es leid, sich selber aufzugeben für eine andere Person."
Still liefen mir die Tränen über die Wangen und hinterließen dabei saubere Streifen auf meiner verdreckten Haut.
„Du hättest gehen können.", wisperte ich und schloss kurz die Augen.
Er schwieg.
Irritiert sah ich zu ihm. In seinem Blick lag etwas anderes als noch vor wenigen Sekunden. Etwas Unsicheres.
„Warum bist nicht einfach gegangen, wenn es so schlimm war? Weil es dein Auftrag war dafür zu sorgen, dass ich irgendwann einfach aus dem Leben verschwinde, damit mein Vater und ich uns niemals kennenlernen? Weil du es musstest? VERDAMMT! WARUM HAST DU NICHT EINFACH SCHLUSS GEMACHT?! WIE JEDER ANDERE NORMALE TEENAGER AUCH?", schrie ich und konnte nicht verhindern, dass ich noch mehr weinte.
Er senkte den Blick und schluckte.
„Sag es mir!", bat ich leiser.
Doch kein Wort verließ seine Lippen.
„WARUM?" Mein Schrei hallte laut in der Dunkelheit wieder
„Weil ich dich geliebt habe.", flüsterte er.
„Was?", fragte ich stimmlos. Erschrocken taumelte ich ein wenig zurück.
„WEIL ICH DICH GELIEBT HABE, ZUFRIEDEN?!", donnerte er und fuhr sich durch die Haare.
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Teufelsherz
FantasyDies ist die Legende über eine verschwundene Prinzessin und eine längst vergessene Welt. Eine Welt, die unter der unseren existiert. Eine Welt in der Blut Macht bedeutet. Elizabell hat alles was sich eine junge Frau wünschen kann: Einen Fre...