Abgehauen

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Eine Berührung an meiner Wange weckte mich am nächsten Morgen. Als ich meine Augen öffnete und die Sonne mich blendete, wusste ich, dass es nicht nur ein böser Traum war. Meine Knochen schmerzten als ich mich aufrichtete und streckte.
Ich hatte definitiv schon besser genächtigt. Aber das war momentan nebensächlich. Adrian stand an einen Baum gelehnt im Schatten des Waldes und beobachtete jede meiner Bewegungen.
Müde fuhr ich mir mit den Händen übers Gesicht. Wortlos drehte ich mich um und ging zu den anderen, die den komischen Karren wieder beluden.
Ich stellte mich zu John und streckte genauso wie er die Nase in die Sonne. Da kam mir ein Gedanke.
„John?", wandte ich mich an ihn.
„Elizabell?", erwiderte er lachend.
„Warum stehst du hier so seelenruhig in der Sonne?", wollte ich wissen und blinzelte.
„Warum sollte ich denn nicht?", stellte er die Gegenfrage.
„Weil du ein Vampir bist und soweit meine Kenntnisse reichen vertragen sich Sonne und Vampire nicht so gut.", formulierte ich es aus und sah ihn abwartend an.
Einen Augenblick sah er mich ungläubig an, dann lachte er laut los.
„Was?" Erschreckt drehte ich mich gänzlich zu ihm. „Was ist denn?"
Er hielt sich den Bauch und atmete tief ein.
„Ein weiteres Opfer der Vorurteile der Menschenwelt.", kicherte er. „Das Vampire nicht in die Sonne gehen können, ist ein uralter Mythos, den wir vor Jahrtausenden selber in die Welt gesetzt haben um besser unter euch leben zu können.", erklärte er.
Aber was er sagte ergab Sinn. Mehr noch. Es war eine ziemlich intelligente Logik.
Also versuchte ich es weiter. „Was ist mit Knoblauch?"
„Wer mag den schon?" Er zuckte mit den Schultern.
„Weihwasser?", fuhr ich fort.
„Das einzige, das du damit erreichst ist, dass wir ganz schnell unter die Dusche flüchten."
„Kreuze?"
„Nicht schön, aber auch nicht wirklich tödlich."
„Feuer?"
Er schüttelte den Kopf.
„Silber?"
Er zögerte. „Kommt drauf an."
„HA!", rief ich triumphierend. „Dann schieß mal los."
„Ich werde dir mit Sicherheit nicht sagen, womit du uns schaden kannst." Er zeigte mir einen Vogel.
Schade eigentlich. Wäre auch wirklich zu schön gewesen.
„Hab ich auch nicht erwartet.", lächelte ich und hoffte, dass man mir meine Enttäuschung nicht ansah.
„Okay.", sagte er skeptisch.
Ich drehte mich um und setzte mich auf die Mitte der Lichtung.
Darian war fort. Lucas auch. John und Adam beluden noch immer den Wagen. Keiner achtete auf mich. Das war meine Chance. Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich langsam aufstand.
Rückwärts ging ich bis zum Waldrand und ließ die Vampire auf der Lichtung nicht aus den Augen.
Erst als ich Blätter an meinen Fingern fühlte, wagte ich es mich umzudrehen. Dann hielt mich nichts mehr.
Meine Beine bewegten sich von alleine. Immer weiter. Immer schneller. Immer tiefer in den Wald. Ich wusste nicht wie lange oder wo ich überhaupt hinlief.
Ich zählte nicht wie oft ich hinfiel oder umknickte. Ich ignorierte das Stechen in meiner Lunge und die Krämpfe in meinen Waden.
Als ich irgendwann innehielt stand die Sonne schon weit über meinem Kopf. Erschöpft sank ich in den Schatten der Bäume und war kurz darauf eingeschlafen.
Ein Knacken riss mich aus dem Schlaf. Erschreckt fuhr ich auf. Anstatt der erwarteten Dunkelheit brannte vor mir ein Feuer. Darum saßen Männer. Jedoch nicht die, die mich entführt hatten.
Als einer von ihnen bemerkte, dass ich wach war, machte er seine Kameraden auf mich aufmerksam.
„Guten Morgen, Rapunzel. Gut geschlafen?" fragte er und näherte sich mir vorsichtig, als wäre ich ein wildes Reh, dass er nicht verschrecken wollte.
Rückwärts kroch ich von ihm fort. Er war jung. Vielleicht fünf, sechs Jahre älter als ich. Genauso die anderen.
„Ich bin Chris und das sind Peter, Tobi und Eric.", stellte er sich und die anderen vor. Wobei ich Eric fast übersehen hätte. Er stand im Schatten, entfernt von den Anderen. Lange schwarze Haare umrahmten sein Gesicht und er musterte mich mit einem markerschütternden Blick. Nicht einmal Darian hatte es geschafft mir so eine Angst einzujagen.
Die anderen zwei, es mussten Tobi und Peter sein, saßen am Feuer und lächelten mir aufmunternd zu.
„Und wer bist du?", fragte Chris und streckte mir die Hand entgegen. Sie sahen freundlich aus. Zumindest freundlicher als Darian. Zögerlich ergriff ich seine Hand und ließ mich von ihm hochziehen.
„Elizabell Evans.", meinte ich. Als ich meinen Namen sagte, ging ein ungläubiges Raunen durch die Jungs.
„Du bist Elizabell?", fragte Chris. Bevor ich etwas erwidern konnte, preschte Eric dazwischen
„Natürlich ist sie es. Hast du ihre Augen nicht gesehen? Es sind die gleichen wie die ihrer Mutter. Töten wir sie bevor ihr Vater sie bekommt.", knurrte er, trat aus dem Schatten und musterte mich aus seinen kalten Augen feindselig. In seiner Hand glitzerte ein Dolch.
„Bist du übergeschnappt?", brüllte Peter, sprang auf und stoppte Eric. Die beiden sahen sich kalt an.
„Komm. Wir gehen ein Stück. Du hast bestimmt viele Fragen.", vermutete Chris und schob mich weg von den beiden Kontrahenten.
Als ich mich das letzte Mal umdrehte, sah ich wie Eric ausholte und auf Peter einschlug. Ich presste mir die Hand auf den Mund, fuhr herum und lief schnell hinter Chris her.
Ich fand ihn sitzend auf einem Baumstamm und ließ mich neben ihm nieder.
„Das heißt ihr seid praktisch der Feindesclan?", fragte ich mit belegter Stimme.
„Feindesclan?", echote er. „Wer hat dir denn solche Worte in den Mund gelegt? Feindesclan? Pah!" Er spuckte auf den Boden, als er mein erschrecktes Gesicht sah, beruhigte er sich etwas und sein Blick wurde weicher.
„Tut mir leid. Das ist alles ganz neu für dich. Ähm... fangen wir am besten mit ein bisschen Historie an." Er rieb seine Hände aneinander, atmete tief ein und schloss die Augen, als müsste er sich erst erinnern.
„Wie fangen Märchen meist an? Ach ja genau." Er öffnete seine Augen wieder. „Es war einmal vor wirklich sehr langer Zeit ein großes und mächtiges Königreich. Wir Vampire lebten friedlich und gemeinsam, mal unentdeckt in euer, mal offensichtlich in unserer Welt. Unser König hatte drei Söhne. Sein ältester Sohn hieß Sebastien und war ein oberflächlicher, egoistischer Vampir, dessen liebstes Gut die Frauen waren. Er war eine eifersüchtige Person, die nur sich selbst vertraute. Der zweite Sohn trug den Namen Maxim. Er war ein schüchterner, zurückhaltender Junge, der seine Nase am liebsten in Büchern vergrub. Schon früh beriet er seinen Vater in politischen Angelegenheiten. Nicht umsonst trug er in seinem Volk den Titel Maxim der Weise. Der jüngste Sohn ist dein Vater. Gabriel. Ein kluger Mann, der das Wohl seines Landes über das eigene stellte. Keiner konnte ihn besiegen. Weder in politischen Angelegenheiten noch in persönlichen. Gegen den Willen seines Vaters ließ er sich in seiner Jugend gemeinsam mit den Soldanten ausbilden. Er sagte, er wolle wissen wie es ist im Krieg zu stehen, bevor er seine Männer in aussichtslose Situationen schickte. Er war der Lieblingssohn des Königs und sollte nach dessen Abdankung den Thron besteigen. Sebastien kochte vor Wut, als er das erfuhr. Er schrie, dass das Geburtsrecht ihn als nächsten König bestimmte, nicht seinen kleinen Bruder. Er wandte sich von seiner Familie ab und kurze Zeit darauf zerbrach das Reich in drei Teile. Asis, Garanema und Trestian. Sebastian nahm sich Asis, das heutige Südreich. Maxim gründete Garanema, das Nord-Westliche Reich und Trestian, das Zentralreich blieb deinem Vater."
Er sah mich an und fragte ob ich noch mitkam. Ich nickte und wollte den Rest der Geschichte hören. Irgendwie faszinierte mich das was er erzählte, denn es war ja meine Vergangenheit. In gewisser Weise...
„Das Verhältnis von deinem Vater zu Maxim ist gut. Die beiden sind vor einigen Jahren über ihren Schatten gesprungen und aus diesem Grund sollst du auch die Verbindung mit dem Prinzen von Garanema eingehen."
„Aber das hieße ja..." unterbrach ich ihn. „Dass ich meinen Cousin heiraten soll!" Angewidert verzog ich das Gesicht. Die Vorstellung, dass ich meinen Cousin küssen oder gar noch mehr, sollte, war echt ekelerregend.
Ich streckte die Zunge raus und tat als müsse ich mich übergeben.
Chris lachte, ehe er fortfuhr. „Nein, ganz so krass ist es nicht. Du hast doch bestimmt schon von diesem Seelenverwandtendings gehört oder?", fragte er und ich nickte.
Sofort tauchte vor meinem inneren Auge ein bekanntes Gesicht auf. Ein Gesicht mit einer kleinen Narbe in der linken Augenbraue.
Schwer schluckte ich.
„Gut, denn das wäre echt kompliziert es zu erklären. Naja, jedenfalls heiratest du nicht wirklich deinen Cousin. Maxim hat seine Seelengefährtin noch nicht gefunden. Keiner der Könige. Das heißt sie haben keine leiblichen Kinder. Also hat jeder von ihnen einen Jungen adoptiert, wenn man es so nennen kann. Sie haben sich also einen Erben gesucht.", versuchte er zu erklären.
Die Vorstellung einen Jungen zu heiraten, der nicht mit mir verwandt war, aber trotzdem den Titel meines Cousins trug, war irgendwie verwirrend.
Verständlich oder?
„So andere Frage: Darian und seine Leute sind demnach Trestianer. Und ihr seid?", fragte ich, doch Chris unterbrach mich. „Prinz Darian?"
Ich nickte.
„Du bist dir sicher, dass es Prinz Darian Michael Antonius des ursprünglichen Landes ist, der dich hier her gebracht hat?", verlangte er zu wissen. Panik zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
Als ich erneut nickte, wurde er blass.
„Shit!", flüsterte er, sprang vom Baum und zog mich zurück zu den anderen. Tobias und Peter waren beide nicht zu sehen. Dafür aber Eric. Seine Iris war rot und seine Lippen dunkler als zuvor. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein.
Sein Blick haftete allerdings umso begieriger auf mir. Er lächelte diabolisch und entblößte seine ausgefahrenen Eckzähne.
Vorsichtig wich ich zurück, als er ein bedrohliches Knurren von sich gab.
„Chris?", flüsterte ich ängstlich und flüchtete langsam weiter zurück.
Chris erfasste die Situation sofort und stellte sich schützend vor mich. „Eric!", sagte er mit fester Stimme. Aber dieser ließ sich nicht beirren und kam auf uns zu.
„ERIC!", versuchte Chris es erneut. Dieses Mal lauter. Drohend. „Hör auf!"
Eric blieb stehen und starrte uns an.
„Es reicht. Spar dir deine Kräfte für später. Darian ist auf dem Weg hierher.", informierte Chris ihn.
Sofort wechselte seine Iris wieder zu einem kalten Schwarz. Auch das war unheimlich, jedoch nicht mehr ganz so erschreckend, wie das Rot.
„Was?", fragte er.
Chris nickte. Woraufhin Eric sich umdrehte, in den Wald lief und verschwand.
„Was ist los?", wollte ich wissen, als ich sah, dass Peter hektisch das Feuer löschte. Offenbar war er doch noch am Leben und war nur vor Eric geflüchtet.
„Wir müssen hier weg. Wahrscheinlich haben sie uns schon lange gesehen." Chris griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her in den finsteren Wald.
„Was? Wer?", presste ich leise hervor und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Er rannte wie ein Verrückter durch das Dickicht. Ich stolperte oft und fiel ein paar Mal. Jedes Mal half Chris mir auf die Füße und wir rannten weiter.
Meine Füße schmerzten und mehr als einmal knickte ich böse um. Wahrscheinlich war mein Knöchel bereits blau und angeschwollen. Eigentlich quälte ich mich mehr, als das ich lief.
Dann blieben wir plötzlich stehen.
Ich knallte in von hinten in Chris Rücken. Er zitterte.
Vor uns war eine große Lichtung.
„Was ist los?", fragte ich leise, total außer Atem. Er antwortete nicht. Seine Hand klammerte sich fester um meine.
Vorsichtig warf ich einen Blick an ihm vorbei und erstarrte. Dort stand er.
Das Mondlicht glitzerte auf seinen Haaren. Ganz entspannt lehnte er an einem Baum und hielt die Arme vor der Brust verschränkt.
Sein Blick lag auf mir und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
„Na sieh mal einer an. Wen haben wir denn da? Wenn das mal nicht unsere kleine Ausreißerin ist."

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt