120 Sekunden

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Bei seinen Worten regte sich etwas in mir. Denn irgendwie hatte er ja Recht. Ich würde David noch eine Chance geben. Eine letzte.
„Du hast so Recht...", meinte ich und dachte an all die schönen Momente die er und ich gemeinsam hatten. Es wäre zu schade jetzt einfach aufzugeben.
„Warum hatte ich nur gehofft, du würdest das nicht sagen?", grummelte er leise und rückte sich die Brille auf der Nase zurecht.
Frech grinste ich ihn an. „Das kannst nur du wissen."
Schnell warf ich einen Blick auf meine Uhr. Es war jetzt kurz nach 7. Davids Schicht begann um 9. Bis ins 68 brauchte ich von hier mit dem Auto ungefähr 25 Minuten.
Im Kopf überschlug ich alles und stellte fest, dass ich es schaffen könnte in einer halben Stunde im Club zu sein. Vorausgesetzt ich gab Gas. Aber das sollte das kleinste Problem werden. Kompliziert werden würde es erst, wenn ich David gegenüber stand.
Was sollte ich sagen? Würde er mir so kurz vor seinem Arbeitsbeginn überhaupt zuhören?
Zügig verdrängte ich die Fragen. Ich war schon immer gut im Improvisieren. Das sollte also ein Klacks werden.
Damit ich nicht doch noch den Mut verlor, kippte ich den Rest der heißen Schokolade hinter, sprang auf und schnappte mir meinen Rucksack.
„Danke für den Kakao und die Paartherapie.", scherzte ich matt.
„Für dich immer wieder gerne. Einer muss dich ja auffangen, wenn Keegan dir das Herz bricht." Er lächelte und ich hätte dahinschmelzen können. Sein Lächeln brachte mich sogar dazu, dass zu überhören, was er gesagt hatte.
Eine Sekunde stand ich wie festgewachsen auf der Stelle und erlaubte mir ihn einfach nur anzusehen. Er sah schon verdammt gut aus...
Als ich mich an seinem Anblick genug erfreut hatte, drehte ich mich um und rannte zum Ausgang. In dem Moment in dem mein Kopf gegen die Glastür knallte, fiel mir wieder ein, dass Nathan ja abgeschlossen hatte.
Peinlich...
Irgendwie war es klar gewesen, dass ich mich noch blamieren musste. Wäre auch zu schön gewesen, wenn ich einfach mal einen normalen Eindruck hinterlassen hätte.
Mit geschlossenen Augen und hochrotem Kopf wandte ich mich um und bat ihn leise die Tür aufzuschließen.
„Oh Gott, alles in Ordnung?", fragte er und sah ernsthaft besorgt aus. Nicht das kleinste Lachen war in seinem Gesicht zu sehen. Er hatte ja keine Ahnung wie dankbar ich ihm dafür war. Das Schlimmste wäre nämlich gewesen, wenn er gelacht hatte.
„Tut mir leid.", krächzte ich nur und zog eine Grimasse, während ich mir an die Stirn fasste. Das würde eine mächtige Beule geben.
Er schnaubte. „Wenn sich hier einer entschuldigen sollte, dann bin ich das. Ich hätte mit so etwas rechnen müssen oder einfach die Tür offen lassen sollen."
„Schon gut.", winkte ich ab und biss die Zähne zusammen.
„Geht's?", wollte er wissen.
„Mal abgesehen von meinem Stolz, der sich gerade verabschiedet hat geht's mir prima.", brummte ich nur und rieb mir den Kopf.
Er lachte und öffnete die Tür.
Vorsichtig schlüpfte ich heraus und bedankte mich nochmal.
„Meld dich einfach, wenn du was brauchst.", verabschiedete er sich und zwinkerte mir zu.
„Mach ich.", versicherte ich und lächelte ehrlich.
„Versuch nicht unbedingt liegen zu bleiben, oder eine Panne zu haben.", riet er mir und sah mich eindringlich an.
Fragend blickte ich ihn an. „Warum denn das?"
„Bei so einem Wetter sieht man die Gefahr erst, wenn sie vor einem steht." Seine Stimme hatte einen komischen Beiklang und augenblicklich wich ich ein Stück zurück. Ein bedrohliches Funkeln lag in seinen Augen.
„Ich lasse mich schon nicht vom großen bösen Wolf überfallen.", beruhigte ich ihn und kramte meinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Ich meins ernst. Sieh zu, dass du schnell bei David bist. Hier draußen laufen nicht nur nette Leute rum." Danach lächelte er und schloss die Tür. Ich beobachtete wie er den Schlüssel herumdrehte und winkte noch mal kurz.
Seine Worte hatten einen bitteren Nachgeschmack und auf einmal kam mir der dunkle Parkplatz viel gefährlicher vor, als er eigentlich war.
Bedächtig ging ich die Treppe hinunter und behielt meine Umgebung genau im Auge. In der einen Hand mein Handy und die andere fest um meinen Schlüssel geklammert.
Unten angekommen blickte ich noch einmal zurück. Nathan war verschwunden und das Licht der Bücherei erloschen.
Seufzend wandte ich mich ab und wollte durch den Regen zu meinem Auto rennen, als ich ihn sah:
Der graue Transporter stand seitlich vor meinem C10.
Es war derselbe Wagen, der David und mir vor wenigen Stunden die Vorfahrt genommen hatte.
Sofort fing mein Kopf an Alarmzeichen zu senden.
Ich verharrte auf der Stelle und versuchte eine Person hinter der Windschutzscheibe auszumachen. Aber das Licht der Straßenlaterne drang nicht einmal bis zur Karosserie.
Es war still. Totenstill.
Der Regen schlug mir erbarmungslos ins Gesicht und der Wind jaulte in den Baumwipfeln. Alles in mir schrie panisch nach Flucht, aber es schien als wäre ich nicht mehr in der Lage auch nur einen Zentimeter meines Körpers zu bewegen.
Noch immer starrte ich auf die dunkle Scheibe des großen Wagens.
Es konnte einfach kein Zufall sein, dass genau dieser Transporter hier vor meinen Pick-Up stand. Nein, das war unmöglich.
Mein Puls schoss in die Höhe und die kleinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.
Ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören.
Dann ging alles ganz schnell.
Scheinwerfer blendeten mich und der Rucksack rutschte mir von der Schulter.
Im gleichen Moment warf ich mich herum und floh.
Hinter mir hörte ich wie die Reifen des Autos aufkreischten.
Mein Kopf war leer gefegt. Das einzige, das ich wusste war, dass ich laufen musste. Sie durften mich nicht bekommen. Ich musste hier weg. Einfach nur weg.
Panik kroch meinen Hals hoch.
Als ich vom Parkplatz rannte, wäre ich auf dem nassen Boden beinahe ausgerutscht. Das allerdings wäre ein Fehler gewesen, der mich Sekunden gekostet hätte, dabei brauchte ich jede Sekunde die ich kriegen konnte.
Die Straßen meiner sonst so belebten Stadt waren wie ausgestorben. Niemand war zu sehen. Keiner, der mir helfen konnte. Keiner, der die Polizei rufen konnte. Keiner, der Zeuge werden konnte, wie man mich verschleppte.
Plötzlich hatte ich eine Idee. Wenn auch eine ziemlich idiotische. Aber besser als keine.
An der nächsten Straßenecke bog ich ab und fixierte das große blaue U und die nach unten führende Treppe. Bis dahin musste ich es schaffen.
Ein Auto konnte nicht an die U-Bahn. Ich schon. Auch wenn die Station gesperrt war, musste ich es versuchen. Auf Grund von Wassereinbrüchen stoppte meine Stadt den Zugverkehr an Tagen wie diesem. Bis ans Gleis kam man aber trotzdem. Dort unten könnte ich mich verstecken.
Der Fahrer meiner Verfolger ahnte wohl, was ich vorhatte, denn er beschleunigte nochmals und schloss viel zu dicht auf.
Der Abstand wurde immer kleiner und kleiner.
Es waren nur wenige Meter die uns trennten. Doch genau diese wenigen Meter, waren genug.
Keuchend rannte ich in das Licht, das der Bahnhof ausstrahlte.
Irgendwo draußen hörte ich Schritte und das Schlagen von Autotüren. Sie waren also immer noch hinter mir her.
Meine gehetzten Schritte klangen selbst in meinen eigenen Ohren viel zu laut, als ich über den Bahnsteig rannte.
Der Hauptstrom war abgeschaltet worden und durch die nur wenig vorhandenen Anzeigenschilder, wurde die Station in ein dämmriges Licht getaucht.
Meine Lunge brannte fürchterlich, meine Beine schmerzten und in meinem Kopf drehte sich alles.
Während ich die anderen Treppen hinaufsprang, bemerkte ich, dass ich einen Gegenstand umklammert hielt. Mein Handy.
Ich holte tief Luft und suchte Schutz in einer dunklen Nische zwischen Fahrkartenautomat und Kiosk. Erschöpft ließ ich mich auf den Boden gleiten und zog die Knie an den Körper.
Regenwasser floss mir aus den Haaren ins Gesicht, mein Zopf hatte sich gelöst und vor meinen Augen flimmerte es verdächtig.
Nervös wählte ich Davids Nummer. Still betete ich, dass er ranging.
Beim zweiten Tuten nahm er ab.
„David?", flüsterte ich heiser. „Hier sind Leute. Sie verfolgen mich. Sie waren in dem Transporter von heute Vormittag." Ich spürte wie Tränen mir über das Gesicht flossen.
Angst beschrieb nicht einmal annähernd, das was ich fühlte.
„Liz? Okay. Bleib ganz ruhig. Wo bist du?", tönte seine Stimme durch das Telefon.
Ich nannte ihm den Namen der Station und musste ein trockenes Schluchzen unterdrücken.
„Ich bin in zwei Minuten da, hörst du? Zwei Minuten!" Im Hintergrund konnte ich seinen Chef brüllen hören.
Ich nickte und wischte mir über die Augen.
„Diese Männer sind gefährlich. Versteck dich und sei so still wie du kannst. Ich..." Nichts! Panisch sah ich auf mein Handy. Der Bildschirm war schwarz. Die Verbindung unterbrochen.
Zwei Minuten. David brauchte nur 120 Sekunden. Dann war er hier.
Mir wurde klar, dass ich nicht einmal mehr 60 Sekunden hatte, denn in diesem Moment tauchten drei große Schatten an der Wand gegenüber auf.

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt