Kapitel 51 - So egoistisch

3K 257 36
                                    

Allyssa

Daphne hockte auf dem Boden, ihre Hände zu festen Fäusten zusammengepresst. Ihr ganzer Körper zitterte, Tränen liefen stumm ihre Wangen hinab.

„Oh Gott Daphne!" Ich stürzte zu ihr und nahm ihr Gesicht in meine Hände.

„Ich hab was gefunden", wisperte sie zwischen zwei Schluchzern und hielt mir ein zerknülltes Papier hin.

Langsam nahm ich es entgegen und faltete es auseinander. Ein Brief von Jace.

Ich schloss die Augen. Wollte ich das wirklich lesen? Es war erst eine Woche her, seit Jace ermordet wurde.

Den Brief zu lesen wäre wie Salz in die Wunde zu streuen... Ich ließ ihn auf den Boden fallen. „Ich les ihn mir später durch", flüsterte ich ihr zu und schloss sie in meine Arme. Sie weinte an meine Schulter. Lange.

Aber irgendwann hob sie ihren Kopf um mir in die Augen zu sehen.

„Wie hältst du das aus? Wie hast du den Tod deiner Schwester und deines Vaters überlebt? Wie kannst du damit leben?" Ihre Stimme war ein raues Flüstern. In ihren Augen sah ich, dass sie verzweifelt auf eine hilfreiche Antwort von mir wartete.

Aber die gab es nicht.

„Ich hab nie damit abgeschlossen. Wenn du wüsstest was mich für Schuldgefühle plagen. Wenn du wüsstest was ich nachts sehe..." Ich ließ meinen Kopf sinken und atmete tief ein. Dann starrte ich ihr wieder in ihre wunderschönen blauen Augen. „Es tut mir Leid, Daphne. Es tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann. Ich kann nicht mal mir selbst helfen. Aber ich werd für dich da sein. Ich versprechs!" Meine Stimme zitterte.

Daphne nickte stumm und ließ ihren Kopf nach hinten an die Mauer fallen. Ich setzte mich neben sie.

„Jetzt weiß ich, dass es die große Liebe war", wisperte sie nach einiger Zeit.

Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah sie von der Seite an.

„Sonst würde es nicht so weh tun." Eine letzte Träne lief ihre Wange hinunter, dann stand sie auf und ging nach draußen.

Ich folgte ihr nicht.


~*~


Zwei Wochen später bekam ich einen neuen Brief.  Von Avery.

Eigentlich war ich ja ganz erleichtert, denn Avery war mir von allen, die ich bis jetzt begleiten musste, der Liebste. Was natürlich nichts daran änderte, dass ich ihn tot sehen wollte.

An einem lauen Aprilabend machte ich mich auf den Weg nach Hogsmeade. Ich hatte nur Daphne Bescheid gesagt. An Draco kam niemand mehr ran. Er saß den ganzen Tag mit starrem Blick im Gemeinschaftsraum, blass und mit schwarzen Augenringen. Er antwortete mir wenn ich Fragen stellte, aber er lachte nicht. Er erzählte mir keine blöden Geschichten die mich immer so abgelenkt hatten, die ich immer so geliebt hatte.

Jaces Tod hatte uns alle verändert. Aber hatten wir etwas anderes erwartet?

Ich war sicher dass Daphne auf mich warten würde, denn sie schlief seit Wochen fast nichts mehr. Genauso wie Draco und ich.

Am Brunnen erwartete mich Avery. Sein Gesicht war nicht wütend wie sonst. Es war neutral. Ich konnte nicht verstehen, was er gerade fühlte oder dachte.

„Hey, Lane", sagte er als ich meine Augen schloss und ihm meinen Arm zum Apparieren hinhielt. Alarmiert sah ich ihn an.

„Das mit deinem Freund tut mir leid."

The Slytherin Girl - Kalte AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt