Vergessen

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Wir saßen alle gemeinsam in unserem Esszimmer am Tisch. Arian, war damit beschäftigt all die Köstlichkeiten auf dem Tisch auszubreiten und zu jedem Gericht etwas zu sagen. Mein Vater saß neben mir und hörte aufmerksam zu Chito ihm gegenüber, auch sein Blick war auf die Gerichte gerichtet. Leander hatte neben seinem Onkel Platz genommen. Er starrte einfach nur an die Wand. „Wie unhöflich.“, dachte ich mir. Es gehörte sich nicht, wenn man bei fremden Leuten eingeladen war, ein solches Benehmen an den Tisch zu legen. „Du wirst mir dieses Essen nicht vermiesen.“, dachte ich mir.

Es war sehr schön. Wir saßen gemeinsam da und genossen das von Arian gekochte Essen, sie hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Aber das Beste bis her war die Tatsache, dass ich neben meinem Vater saß. Die ganze letzte Woche hatte ich ihn nur gesehen, wenn er für eine Minute mal aus seinem Büro herauskam. Und trotzdem stimmte mich das Ganze auch wieder ein wenig traurig, denn obwohl wir nebeneinander saßen konnten wir nicht miteinander sprechen. Da wir Gäste hatten war es nicht angebracht über persönliche Themen zu sprechen, doch auf seine Arbeit konnte ich ihn auch nicht ansprechen, ich wusste ja schließlich nichts über sie. Und hier am Tisch zu fragen, was eigentlich genau sein Beruf war auch keine gute Idee.

„Hioya, ich hoffe du denkst an das Treffen nächste Woche.“, Herr Black hatte die Gabel abgelegt: „Es ist äußerst wichtig. Wir haben so einiges zu besprechen. Und ich glaube, dass es effektiver ist wenn der Leiter höchstpersönlich mit ihnen spricht.“ Mein Vater legte auch seine Gabel ab: „Aber natürlich komme ich, es hängt schließlich einiges davon ab. Ich weiß nicht ob es mehr bringt, wenn ich selbst dabei bin, aber vielleicht bewirkt es ja doch ein wenig wenn der Chef des Ganzen mit ihnen redet. Sie kennen mich ja gut genug“ „Der Tag ist für alle Angestellten bereits im Kalender eingetragen: Freitag 10:00 Uhr im Hauptsaal.“ Ich horchte auf: Freitag. An dem Tag war meine Ehrung. Aber an dem Tag war etwas noch viel wichtigeres. Ich sah meinen Vater an. Hatte er es vergessen? Er hatte es tatsächlich vergessen. Nicht nur dass er dieses Jahr schon wieder nicht zu meiner Ehrung kam, nein, … „Dann ist ja gut. Aber was noch viel wichtiger ist, ist dass wir alle Unterlagen zur Verfügung stehen haben müssen. Wir müssen sie überzeugen können.“ Chito lachte: „Ach da mache ich mir keine Sorgen, wenn wir dich dabei haben. Du wirst das schon machen.“ Mein Vater lachte auch: „Es wird schon alles gut gehen. Sie haben auch keinen große andere Wahl.“ „Aber …“, ich wollte etwas sagen. Augenblicklich starrten mich alle am Tisch sitzenden Personen an. Ich schluckte. Dieses Mal würde ich mich nicht zurück nehmen, auch wenn wir Gäste hatten, es war mein volles Recht mein Vater an diesen Tag zu erinnern. „Aber an dem Tag ist doch meine Ehrung.“ Chito sah mich fragend an: „Welche Ehrung.“ „Meine Ehrung für besonderes Arrangement an dem Schulwohl.“, ich antwortete ihm sicher. „Das tut mir leid Emma, aber wir brauchen deinen Vater unbedingt bei uns. Ist es denn so schlimm, wenn er es dieses Mal ausfallen lassen würde?“, mein Vater saß ruhig da: „Es tut mir leid Emma, aber Chito hat Recht, wir haben eine wichtige Besprechung.“ In mir staute sich gerade einiges auf: „Wichtige Besprechung hier, wichtige Besprechung da, wann hast du denn bitte mal Zeit. Du hast nie Zeit, immer bist du am Arbeiten.“, meine Stimme wurde immer lauter. Mein Vater sah mich entgeistert an. Es war ihm peinlich, dass ich mich vor seinen Gästen so aufregte, aber das war mir egal. „Bitte Emma, beruhig dich doch.“ Ich sah ihn wütend an, jetzt reichte es mir endgültig: „Ich soll mich beruhigen? Nein! Ich habe mir das lang genug angetan. Ich habe keine Lust mehr. Wann verstehst du das endlich. Jedes Mal wenn ich dich gefragt habe ob du zu einem Schulfest kommst hast du nein gesagt, jedes Mal wenn ich dich gebeten habe zu meinen Ehrungen zu kommen hattest du keine Zeit. Hast du mal darüber nachgedacht, wie das für mich war. Zu den Geburtstagen meiner Freunde war immer ihre Familie da. Aber zu meinen Geburtstagen, hast du mir schöne Grüße über Arian zukommen lassen oder mir nur ganz kurz Gratuliert um dann zur Arbeit zu fahren. Ich hab es so satt. Ich bitte wirklich nicht häufig um irgendetwas. Ich lasse dich die ganze Zeit in Ruhe. Ich störe dich nie. Aber jetzt reicht es mir. Ich habe die Schnauze voll!“, ich schrie die Worte regelrecht: „Aber weißt du was das Schlimmste ist. Das schlimmste von allen ist, dass du nicht einmal mehr weißt was am Freitag ist.“, ich sah meinen Vater direkt an. In mir brannte immer noch ein kleiner Tropfen Hoffnung der mir sagte, dass ich mich vielleicht doch irrte. Doch als mein Vater mich fragend an sah wurde diese sofort zerschmettert: „Du hast es wirklich vergessen?“, Tränen liefen mir die Wangen herunter: „Der fünfzehnte Juli, was war an diesem Tag?“, ich blickte meinen Vater verzweifelt an. Der einzige Tag im Jahr den er sich für mich frei nahm. „Warum hast du dir letztes Jahr an diesem Tag frei genommen, warum das Jahr davor, und das davor?“ Im ganzen Raum war es still. Alle schauten auf mich und meinen Vater. Als mein Vater immer noch nicht antwortete sprang ich auf: „Der fünfzehnte Juli! Der fünfzehnte Juli war der Tag als ich vor fünf Jahren das erste Mal dieses Haus betrat. Und du hast es vergessen. Der Tag an dem für mich ein neues Leben begann. Und du weißt es nicht mehr. Du bist so in deine Arbeit vergessen, dass du den wichtigsten Tag im ganzen Jahr für mich vergessen hast. Du hast es sogar gewagt einem Termin zuzusagen, genau auf diesem Tag.“. Die Augen meines Vaters weiteten sich: „Emma ich …“ Doch ich unterbrach ihn: „Nein, ich will es nicht hören. Ich will deine doofen Entschuldigungen nicht hören.“ Heulend lief ich aus dem Zimmer, ich rannte hinaus in den Garten, rannte zu meinem Lieblingsplatz und versteckte mich hinter den Felsen. Die Beine an den Körper gezogen und den Kopf zwischen den Knien saß ich einfach nur da und weinte. Die Tränen wollten nicht aufhören zu fliesen. Ich hatte es tatsächlich getan. Ich hatte meinen Vater vor seinen Gästen bloß gestellt. Beinahe tat es mir leid, aber es war mein Recht. Wie hatte er es vergessen können. Alle Termine an denen er versäumt hatte zu kommen, hatte er mir wenigstens ein Geschenk da gelassen um zu sagen: Es tut mir Leid, aber ich denk an dich. Und jetzt, jetzt hatte er den wichtigsten Termin den er für mich gab vergessen. Nächst Woche waren es genau fünf Jahre. Vor fünf Jahren bin ich aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ohne auch nur das Geringste zu wissen bin ich hier eingezogen. An diesem Tag hat für mich mein Leben begonnen.

Der rote MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt