Verlassen

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Das war es also was Hyo und Leander mir verschwiegen hatten. Still stand ich neben den beiden. Dann riss ich mich zusammen, ich hielt diese Stille nicht aus: „Wie lange wusstet ihr es schon?“ Hyo senkte den Kopf: „Ich habe es vermutet, als ich eure Geschichte gehört habe, aber sicher war ich mir erst, nachdem ich in deine Gedanken eingedrungen bin. Ich muss mich noch dafür entschuldigen. Aber da waren einfach zu viele Sachen bei denen ich mir über dich im Unklaren war.“ Ich verzog das Gesicht. Zu viele Dinge über die er sich im Unklaren war? Und was war mit mir? „Warum hat es mir keiner gesagt?“ Hyo hob den Kopf: „Ich wollte es ja, aber jemand hat mich davon abgehalten.“ Er sah zu Leander herüber. Ich drehte den Kopf zu ihm. Doch er sah mich nicht an. Den Kopf gesenkt beichtete auch er: „Ich habe es mir schon auf der Erde gedacht.“ Er hatte gerade mal den ersten Satz gesprochen, da durchfuhr mich schon eine Welle der Enttäuschung. Und was folgte, sollte sie nicht verschwinden lassen. „Als ich damals das erste Mal gesehen habe, dachte ich mir, dass du sehr große Ähnlichkeiten mit der Prinzessin hattest, aber ich habe es mir ausgeredet. Ich hielt es für unmöglich. Je mehr Zeit ich jedoch mit dir verbrachte des so weniger konnte ich es mir selbst verleugnen. Ich war mir eigentlich schon sicher als Hyo mir erzählte was er gesehen hatte.“ Leander machte eine Pause. Für einen Moment sah er nur still auf den Boden. Alleine die paar Sekunden machten mich schon ungeduldig. Ich fühlte mich alleine gelassen, wie sie dort standen und schwiegen: „Und warum habt ihr es mir da nicht gesagt?“ Leander sah nicht auf: „Ich dachte es wäre besser wenn du es nicht wüsstest. Wenn du dich selber daran erinnert hättest, hätte ich daran nichts ändern können. Aber ich dachte, es würde dir leichter fallen auf die Erde zurück zu kehren, wenn du es nicht wüsstest.“ Ich verzog das Gesicht: „Du glaubst also ich finde es toll, wenn Leute meine Vergangenheit kennen, ich sie aber selber nicht? Und woher willst du überhaupt wissen, dass ich noch zurück auf die Erde will, jetzt wo ich weiß wer ich bin und dass meine Mutter hier lebt?“ Leander schien überrascht für einen winzigen Moment hob er den Kopf und sah mir ins Gesicht: „Willst du das?“ „Nein!“, meine Stimme wurde lauter: „Aber du hast auch nicht das recht zu beschließen was ich will.“ Sofort wendete Leander wieder den Blick ab: „Ich wusste dass du sauer sein würdest.“ Für einen Moment stand ich nur starr da. Meine Hände waren angespannt. Dann sah ich ihn beherrscht an: „Ich bin nicht sauer, ich bin nur enttäuscht.“ Angestrengt blickte ich in die Runde: „Glaubt ihr, ich hätte nicht schon lange gewusst, dass ihr mir etwas verschweigt? Was glaubt ihr denn wie das für mich war? Ich stehe hier auf meinem Heimatplaneten ohne Erinnerungen, mit Leuten die vorgeben meine Freunde sein.“ Auch Hyo hatte entschuldigend seinen Kopf gesenkt, hob ihn bei meinen Worten jedoch ruckartig an und sah mir verletzt ins Gesicht: „Was soll hier heißen vorgeben?“ Doch ich starrte ihn nur an: „Freunde vertrauen einander. Nennst du das hier vertrauen?“. Erneut senkte Hyo den Kopf. Ich war aufgewühlt und langsam stieg die Traurigkeit in mir auf: „Wie soll ich mir sicher sein, dass ihr nicht nur so tut als wärt ihr meine Freunde, da ich die Prinzessin bin. Ihr habt beide gesagt, dass ihr es von Anfang an vermutet habt.“ Es war wie ein Stich ins Herz als weder Hyo noch Leander mir wiedersprachen. Meine Lippen fingen an zu beben und ich spürte wie die Tränen sich langsam den Weg zu meinen Augen bahnten. Es war schmerzhaft sie zu unterdrücken. Aber ich wollte nicht als die Verletzte schwache von ihnen gehen. Ich wollte nicht, dass sie sahen wie sehr es mich traf, also spielte ich Wut. „Also hatte ich Recht!“, schrie ich. Wieder war keine Reaktion von ihnen zu erkennen außer einem kurzen Zusammenzucken. Ich drehte mich schnaufend auf der Stelle und stampfte eilig davon. Als ich am Ende der kleinen Gasse stand drehte ich mich noch einmal u. Als ich mir sicher war, dass sie mich nicht mehr sehen konnten rannte ich davon. Meinen Arm hielt ich schützend vor mein Gesicht um es und die Tränen vor den wenigen Passanten in den Straßen zwischen den Häusern zu verstecken. Ich rannte durch die halbe Stadt bis ich das Gefühl hatte weit genug entfernt zu sein. Meine Füße wurden langsamer und bebend schlich ich in eine dünne dunkle Gasse zwischen zwei Häusern. Eingekesselt von den Wänden fühlte ich mich geschützt. Warme Tränen überströmten mein Gesicht. Weinen lehnte ich mich an eine der Wände und ließ mich zu Boden sinken. Schluchzend griff ich nach dem Medaillon. „Und ich hatte sie als meine Freunde angesehen. Hatte mir gedacht, dass Leander nett war. Von wegen! Nur weil sie wussten wer ich war hatten sie sich so verhalten. Ich hatte Recht. Ich hatte Recht.“ Mit jeder Träne wurde es mir bewusster und mit jeder wurde der Schmerz in meiner Brust größer. „Was bin ich bloß für ein Idiot?“ Einsam klemmte den Kopf zwischen die Knie. Ich wollte nur noch von hier weg. Mit falschen Freunden wollte ich nichts zu tun haben. Ich wollte nur noch zurück zu Marlin und Laurin. Wollte zu meinen Freunden, zu Arian. Zurück in das Leben das ich vor diesem ganzen Chaos hatte. Was hatten sie sich bloß dabei gedacht? Wie hatten die beiden mich nur so anlügen können? Ich konnte die Tränen nicht mehr stoppen. Schluchzend saß ich da, entfernt von dem ganzen Geschehen. Ich nahm um mich herum nichts mehr war. Mit der Zeit tauchte die untergehende Sonne den Himmel sogar in ein orangenes Licht und schließlich brach die schwarze Nacht herein. Pausenlos strömten Wachen auf der Suche nach der Prinzessin, mir, durch die Stadt. Was sollte ich tun? Den einzigen Weg den ich noch sah führte mich zu meiner Mutter. Doch ich wollte diese Rolle nicht spielen, aber hatte ich eine andere Wahl? Wenn ich jetzt aus meinem Versteck heraustreten würde, würde ich dann meine Mutter wieder sehen? Wahrscheinlich, aber wollte ich das wirklich? … Ja, ich wollte sie treffen, doch wenn ich sie träfe könnte ich sie dann auch wieder verlassen? … Ich müsste. Ich wollte nicht weiter an diese Lügen erinnert werden mit der hier alles seinen Anfang genommen hatte. Ich wollte nicht wieder auf Leander treffen. Nicht auf Hyo. Auf niemanden von ihnen. Ich schluchzte. Was sollte ich nun bloß tun? Ich zog die Beine enger an mich heran. Plötzlich meinte ich ihn nach mir rufen zu hören. Leander war ganz in der Nähe. Er suchte nach mir. Ich antwortete ihm nicht. Ihm nun wieder ins Gesicht zu blicken schaffte ich nicht. Er sollte nicht wissen, dass ich weinte. Er sollte glauben ich wäre sauer auf ihn. Ich wollte nicht, dass er wusste, wie sehr mich sein Verhalten verletzt hatte. Er sollte nicht wissen wie gerne ich an seine Worte geglaubt hatte. Erinnerungen an unserer Reise durchstreiften meine Gedanken. Er hatte mich sogar gewarnt, hatte mir erzählt, dass er mir etwas wichtiges verheimlichte. Hätte ich vorher gewusst, was es war, dann hätte ich ihm nie versprochen, dass ich mich nicht verändern würde. Was sollte ich denn nun bloß tun? Ich konnte doch nicht einfach zu ihnen zurückkehren, als sei nichts gewesen. Wieder hörte ich ihn nach mir rufen. Regungslos saß ich in meinem Versteck, den Kopf ängstlich in Richtung der Straßen gedreht. Sollte ich hier bleiben? Noch hätte ich die Zeit zu fliehen, aber vielleicht würde er mich entdecken. Er würde mich festhalten, so wie er es immer tat. Und wenn ich einfach still hier bliebe? Vielleicht würde er dann einfach an mir vorbei gehen. Vielleicht würde er mich übersehen. Ich wollte ihm nicht begegnen aber meine Wünsche wurden nicht erhört. Ich sah ihn wie sein Schatten meine Gasse betrat. Wie er auf mich zukam: „Emma?“, wieder diese ruhige Stimme. Diese falsche Sorge. Ich ertrug das nicht. „Emma, ich … lass es mich erklären.“ Ich sprang auf und riss mich zusammen um nicht zu schluchzen: „Nein!“, schrie ich ihn an: „Lass mich einfach in Ruhe, hau ab. Ich will dich nicht wieder sehen.“ Ich konnte ihn nicht ertragen. All die Male in denen er sich um mich gesorgt hatte, sollte das alles nur gespielt und Pflicht gewesen sein? Ich wollte es nicht wahr haben. „Hau ab!“, ich schrie ihn an. Doch er kam immer näher: „Emma, lass es mich erklären …“ Ich wich einen Schritt zurück. Ein schmerzlicher Zug huschte über sein Gesicht. „Nein!“, ich griff nach Rosenblut. Für einen Moment blieb er stehen, starrte auf meine Hand am Schwert. „Lass mich in Ruhe. Ich will dich nie wieder sehen, nie wieder!“, die Tränen liefen mir nur so das Gesicht herunter. Hatte ich das gerade wirklich gesagt. Mein Herz schlug bis zum Hals. So wollte ich ihn nicht sehen nein. Nicht unter diesen Umständen. Aber es tat weh. Es tat so weh. Mit einem Mal war die einzige Person, von der ich jemals dachte sie könnte mich verstehen verschwunden. Selbst meine innere Laurin weinte. Ich wollte die Zeit zurück drehen, wollte wieder in den Glauben fallen, er wäre ein Freund. Wollte wieder glauben, dass all seine Worte ernst gemeint waren. Wie hatte er noch letzte Nacht bei mir sein können? Wie hatte er es wagen können? Ich sah wie sich Leanders Hände zu Fäusten ballten: „Emma, bitte las mich …“ „Nein!“, ich schrie ihn an. Wieso verstand er nicht? Wieso konnte er mich nicht in Ruhe lassen. Ich schloss die Augen und rammte Rosenblut in den Boden: „Nie wieder!“, mit diesen Worten beschwor ich das Schild herauf, lies es wachsen und immer größer werden. So groß wie noch nie. So dass es ihn von mir warf. Mir meinen Schutz meine Ruhe gewährte. Ich spürte wie Rosenblut mich beschütze, über mich wachte. Ich schloss die Augen und flüchtete mich in die Seelenwelt. Ein Schwert ist ein Schwert, aber es hat eine Seele, also zählte es doch als Lebewesen, oder? Ich wollte mich an das einzige klammern was mir noch blieb. Ja, Rosenblut war an mich gebunden, aber ich hatte nicht das Gefühl das es Pflichtgefühle mir gegenüber empfand. Es hatte seinen eigenen Willen und ich war ihm so dankbar dafür, dass es Leander von mir hielt. Sein warmes Licht gab mir das Gefühl in Sicherheit zu sein. Ich spürte wie sich seine Seele sanft um die meine legte. Ich lehnte mich an das Ende der Sackgasse und lies mich wieder zu Boden sinken. Den Kopf zwischen die Knie geklemmt und die Beine fest von den Armen umschlungen saß ich da. Mein Schwert steckte vor mir im lehmigen Boden.

Der rote MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt