Es war Sonntagmorgen.
Orientierungslos stand sie auf und torkelte zum Badezimmer.
Den Traum, den sie geträumt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Früher hatte sie sich mit solchen Sachen Zeit gelassen. Sie wäre einem Jungen, wie Aaron, nie so nah gekommen. Ihren ersten Freund hatte sie mit 15 gehabt, diese Beziehung hielt nur ein Jahr. Die nächste Beziehung... Na-ja konnte man das Beziehung nennen, wenn man zwischendurch Händchen hielt? Sie war sich nicht sicher.
Sie war nun 18 Jahre alt und hatte sehr wenig Erfahrung mit Jungs. Wie ihre früheren Freundinnen gesagt hatten: >Sie sei altmodisch und warte auf den Richtigen.< Aber was war falsch daran? Sie hatte das Leben doch noch vor sich.
Sie war gerade vom Frühstück gekommen und stand vor dem Badezimmerspiegel.
Ihr braunes Haar fiel ihr in Wellen bis zur Brust. Ihre grün-blauen Augen, eins etwas größer als das Andere, glänzten im Licht.
Sie hatte eine gute Figur, sie war schlank aber nicht so dürr wie die anderen Mädchen. Sie hatte Kurven und war nicht einfach ein Strich in der Landschaft.
Diesen Hungerwahn hatte sie noch nie verstanden.
Hatte ich bisher nicht so viel mit Jungs gehabt, weil ich nicht so dürr war, wie Nina? Sofort verwarf Vera diesen Gedanken. Sie war, wie sie war und wer sie mochte musste sie akzeptieren, wie sie war.
Das Spiegelbild wirkte Selbstbewusst, aber es war nur ein Bild. Man sah nie das Wesentliche eines Menschen. Das Lächeln verblasste und sie ließ die Schultern hängen.
Kevin erschien vor ihrem inneren Auge, der sofort von Aaron ersetzt wurde.
Angespannt glättete sie sich die Haare. Sie brauchte dafür eine Stunde.
''Vera bist du hier?'' fragte Luise. ''Im Bad, komm ruhig rein.'' Die Tür zum Bad öffnete sich. Fragend sah sie Luise an. Nervös tippelte diese auf der Stelle.
''Ich wollte dich was fragen.'' ''Was denn?'' fragte Vera neugierig. ''Willst du mit mir shoppen gehen?'' fragte Luise aufgeregt. Freudig nickte Vera.
Aber es ist doch Sonntag, die Geschäfte haben doch zu. Wieso fragte sie ausgerechnet mich?
''Haben die Läden nicht geschlossen?'' fragte Vera verwirrt. Luise schüttelte den Kopf und erklärte: ''Verkaufsoffener Sonntag.'' Hoffnungsvoll beobachtete sie Vera die, die letzte Strähne ihrer Haare glättete.
''Natürlich.'' Vera stellte das Glätteisen aus und huschte ins Zimmer. Sie warf Portmonee, Schlüssel, Deo und ihr Handy in die Handtasche. ''Können wir?'' fragte Luise lächelnd.
Sie liefen von Laden zu Laden, unterhielten und lachten miteinander.
Luise hielt Vera ein Sommerkleid vor die Nase ''probier das mal an,'' es war dunkelblau, hatte einen runden Kragen und war tailliert. Vera nahm es und hüpfte zur Umkleidekabine.
Luise kam gleichzeitig mit Vera aus der Kabine, sie hatte das Selbe an.
''Und? Wie sieht's aus?'' Vera drehte sich und blieb lachend stehen. ''Ich finde, es steht dir gut.'' ''Echt?'' zustimmend nickte Luise. ''Dir steht das Kleid viel besser als mir'', stellte Vera fest, aber Luise schüttelte den Kopf, ''wir sehen beide gut aus.''
''Ihr solltet es kaufen, Luise hat recht, es steht euch Beiden.''
Erschrocken drehte Vera sich um und sah Kevin, der frech grinsend, an ein einer der Kabinen lehnte.
''Bist du uns gefolgt?'' Luise funkelte ihn böse an. ''War in der Gegend und hab euch rein gehen sehen.'' Skeptisch zog Luise eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen hoch. ''Ihr solltet es wirklich kaufen'', forderte Kevin sie auf. ''Ja, das sollten wir.'' erwiderte Luise. Sie kauften das Kleid und dazu passende Accessoires.
Bei Luise untergehakt, schlenderte sie über den Bürgersteig. Sie alberten herum. Vera hatte soviel Spaß, wie schon lange nicht mehr.
So musste es, mit einer Schwester sein. Vera wurde nachdenklich.
''Was ist los?'' fragte Luise. ''So hab ich es mir immer vorgestellt. Zusammen mit meiner Schwester shoppen gehen und Spaß haben'', erklärte Vera. ''Schwester?'' neugierig war Luise stehen geblieben. Traurig nickte Vera. ''Ja. Ich hatte eine Schwester, aber ich hab sie nie kennengelernt. Sie ist zwei Jahre vor meiner Geburt, bei einem Autounfall gestorben.'' Tröstend nahm sie Vera in den Arm. ''Das tut mir so leid'', Tränen schimmerten in Luises Augen. ''Es wäre schlimmer, wenn ich sie gekannt hätte'', stellte Vera traurig fest, zustimmend nickte Luise.
''Lass uns den Tag einfach genießen, ok?'' lächelte sie Vera aufmunternd an.
Kevin stand plötzlich neben ihnen und beide Mädchen zuckten erschrocken zusammen. ''Habt ihr was dagegen, wenn ich euch die Tüten abnehme?'' ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er die Tüten an sich. ''Da hast du dir etwas eingebrockt'', zwinkerte Luise ihm zu.
Sie gingen in den nächsten Laden.
''Ich brauch dringend neue Shirts.'' Fragend sah Luise sie an, ''was für Shirts?'' ''Bunte. Hab beim Auspacken bemerkt, dass ich fast nur Schwarze und Weiße habe.'' Lachend lief Vera zu einem Wühltisch.
Luise zog ein zart orangenes Shirt aus einem Stapel mit der Aufschrift Dream Love Life, ''sowas? Oder eher sowas?'' Sie zog ein hässliches olivgrünes Oberteil heraus.
Angewidert schüttelte Vera den Kopf und deutete auf das T-Shirt mit der Aufschrift.
''Dann hätten wir ja schon mal Eins.'' Luise warf ihr das Oberteil zu.
Vera kramte in den Haufen reduzierter Ware herum und fand weitere farbige Shirts. Kevin folgte ihr wie ein Schatten, hin und wieder hustete er, wenn ihm etwas nicht gefiel. Jedes Mal sah sie ihn genervt an. Es musste ihr gefallen und nicht ihm.
Luise kam mit einem Rock in der Hand zu ihr.
''Schau mal.'' Luise fuchtelte mit dem Rock vor ihrer Nase herum. ''Der würde dir stehen'', bestätigte Vera. Aufgeregt lief Luise in eine Umkleidekabine.
Ungeduldig tippte Vera mit dem Fuß. Nach ein paar Minuten lugte Luise aus der Umkleide. ''Und?'' fragte Vera ungeduldig. Luise sprang hervor ''Klasse. Oder?'' Sie betrachtete sich im Spiegel. ''Ja, der ist super.''
''KAUFEN. KAUFEN. KAUFEN'', Luise sprang zurück und kam in ihren normalen Kleidung heraus.
Insgesamt kamen die Mädels jeweils mit 4 Tüten ins Internat zurück.
Kevin hatte während des ganzen Tages ihre Tüten getragen und kaum etwas gesagt. Wie ein Schatten war er ihnen gefolgt, hatte die Augen aufgehalten und ihnen jeden Wunsch, den sie äußerten, schnellstens erfüllt. Selbst Latte Macchiatos hatte er ihnen besorgt, damit sie nicht aus dem Laden mussten.
Luise und Vera verabschiedeten sich von Kevin, der ihnen widerwillig ihre Tüten gab. Vera nahm ihre Tüte und hatte das Gefühl Backsteine zu stemmen.
Nina lag auf ihrem Bett und hörte Musik. ''Ihr Miststücke habt mich nicht mitgenommen!'' rief sie, als Vera und Luise lachend in das Zimmer traten. Luise funkelte Nina einen Moment böse an. ''Komm mal runter, war doch nur ein Spaß'', lachte Nina.
Zuerst zeigten sie ihr die Partnerlooks. Bei jedem Outfit jaulte und applaudierte Nina.
Vera musste herzhaft lachen und sich an Luise festhalten, sonst wäre sie zusammen gesackt. ''Next'', gespannt wartete Nina auf das nächste. Luise präsentierte ihren Rock und eine schwarze, schlichte Bluse. Das Szenario war dasselbe.
Luise kugelte sich auf dem Boden. Vera war über die Tüten, die im ganzen Raum verteilt waren, gestolpert und wie ein nasser Sack auf ihr Bett gefallen.
Vera lachte so heftig, dass ihr der Magen weh tat. Nina schien es nicht anders zu gehen.
Sie beruhigten sich. ''Ihr versteht euch ja blendend'', stellte Nina fest. Vera kicherte, ''ja, wie Schwestern.''
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Vom Engel geküsst
ParanormalVera, 18Jahre alt, muss das Shadow and Light Internat besuchen. Verschlossen, wie sie ist, freundet sie sich nur langsam mit anderen an. Als sie dann 6Jugendlichen begegnet ist die Katastrophe schon im vollem Gang. Eigenartige Dinge geschehen. Träu...