Kapitel 65

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Vera lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu Aaron und ihrem Streitgespräch.
   Seit ihrem Streit war Aaron nicht zurückgekehrt und auch Vanessa war verschwunden.
   Sie drehte den Kopf, sodass sie auf Luises Bett schauen konnte. Wärst du nur hier... Sie vermisste ihre Schwester.
   Plötzlich ging die Tür auf und Kevin trat mit einem Tablett herein. ''Kleine Stärkung gefällig?'' grinste Kevin und stellte das Tablett ab. Sie sah auf. Kevin hatte Sandwiches und Tee gemacht. ''Ich hoffe der Tee schmeckt'' lachte er. ''Ich hab keine guten Erfahrungen mit Tee'' gestand er.
   Sie setzte sich auf und nahm ein Sandwich. Genüsslich verspeiste sie es und nahm einen Schluck Tee. ''Er ist ok'' grinste Vera und stieß ihn leicht an.
   ''Willst du reden?'' fragte er, nachdem sie die Sandwiches vertilgt hatten. ''Worüber?'' seufzte sie und ließ sich auf den Rücken fallen. Langsam legte er sich neben sie. ''Alles?'' Sie tastete nach seiner Hand und schüttelte den Kopf. ''Es reicht, dass du da bist'' lächelte sie und kuschelte sich an Kevins Brust. Zärtlich streichelte er ihren Arm.
   ''Brechen wir morgen auf?'' fragte sie und sah zu ihm auf. ''Ja'' nickte er und stützte sich auf den Arm. Vorsichtig beugte er sich zu ihr, strich ihr über die Wange und küsste sie leicht.
   Ein warmes Prickeln ergriff ihren Körper und sie erwiderte den Kuss. Zärtlich zog er sie zu sich und streichelte ihre Hüfte. Unter seiner Berührung erschauderte sie.
   Bilder von Aaron, wie er sie küsste, wie er sie berührte, zerstörten diesen Moment. Ruckartig stieß sie ihn von sich. Fragend sah er zu ihr herab. ''Was ist los?'' fragte er verwirrt. ''Ich kann das nicht'' flüsterte sie und rutschte zur Seite. Seine Küsse brannten auf ihren Lippen.
   Wie schafft es Aaron, selbst wenn er nicht da ist, alles kaputt zu machen? ''Es tut mir leid'' sagte sie, stand auf und lief aus dem Raum.

Aaron und Vanessa unterhielten sich angeregt, als Vera ins Wohnzimmer stürmte.
   ''Wir müssen los, sofort'' befahl Vera. Verwirrt sahen Aaron und Vanessa zu ihr auf.
   ''Was ist los?'' fragte Vanessa besorgt. ''Ich halte es keine Minute mehr aus! Ich muss sie finden'' sagte Vera verzweifelt. Doch es war nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit, wollte sie vor allem davon rennen.
   Kevin betrat den Raum. ''Wo kommst du denn her?'' fragte Aaron gereizt. ''Aus Veras Zimmer'' gestand er und setzte sich auf einen Sessel. Wütend schnaubte Aaron.  ''Das ist echt der falsche Zeitpunkt'' mahnte Vanessa und trat zu Vera. ''Geht´s dir gut?'' fragte sie ernst und Vera nickte.
   ''Ich muss hier raus'' gestand Vera und begann am ganzen Körper zu zittern.
''Ok'' Kevin ergriff das Wort, ''Vera geht mit Aaron und wir beide gehen zusammen.'' Er deutete auf Vanessa, die zustimmend nickte. Aaron stand wortlos auf und verschwand aus dem Raum, gefolgt von Vanessa.
   ''Wieso tust du mir das an?'' fragte Vera, als sie sich sicher war, dass die Beiden weg waren. ''Weil du ihn liebst, auch wenn du dich dagegen wehrst'' sagte er und stand auf. ''Ich tu das nicht, um dich zu quälen. Im Gegenteil ich tu es, weil ich dich...''
   Vera ließ ihn nicht ausreden, sie schnellte nach vorne und küsste ihn. Behutsam erwiderte er ihren Kuss, doch sie spürte den Schmerz, der darin lag. Verzweifelt zog  sie ihn an sich und er hob sie leicht an.
   Plötzlich räusperte sich jemand und sie zuckte erschrocken zusammen. Aaron stand mit verschränkten Armen in der Tür und beobachtete alles.
   ''Können wir los? Oder soll es doch erst morgen los gehen?'' fragte er grimmig. Lächelnd löste Kevin sich von ihr. ''Wir sehn uns'' grinste er und küsste sie ein letztes Mal. ''Das werden wir'' lächelte Vera zuversichtlich.

Aaron ließ sich Zeit, was Vera rasend machte.
   ''Wann sind wir da?'' fragte sie genervt. ''Bei dem Tempo? Halbe Stunde'' antwortete er nüchtern. ''Würdest du vielleicht etwas schneller laufen?'' fragte sie giftig. ''Nö.''  Na super, dass kann was werden...
   Nach einer halben Stunde erreichten sie ihr Ziel. Sobald er angehalten hatte, sprang sie von seinem Rücken und sah sich um.
   ''Wo sind wir?'' fragte sie. ''In Polen?'' antwortete er, als würde sie schwer von Begriff sein. ''Ach, was du nicht sagst'' entgegnete sie wütend. ''Wir sind in Lubin'' sagte er. ''Es ist der bedeutendste Industrieort in ganz Niederschlesien'' erklärte er und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Langsam lief sie ihm nach.
   ''Und was machen wir hier?'' fragte sie verwirrt. ''Einen fahrbaren Untersatz besorgen'' erklärte Aaron.
   ''Und wie wollen wir sie finden?'' fragte Vera. ''Ich weiß es nicht'' sagte er gereizt. ''Hör zu'' begann er und drehte sich zu ihr. ''Ich weiß nicht, wo sie sind und wo wir anfangen sollen. Das Einzige, was ich weiß ist, dass sie damals einen Stützpunkt in irgendeiner Kirche hatten'' sagte er und fuhr sich durchs Haar. ''Genauer?'' forderte Vera bissig. ''Mensch! Ich war seit 100 Jahren nicht mehr hier, ich weiß es nicht'' gestand er verzweifelt.
   Vera setzte sich auf einen Stein und legte ihre Gesicht in die Hände. Sie wollte nicht streiten. Sie wollte nicht Denken. Sie wollte alles hinter sich lassen.
   Starke Arme umschlossen sie und Vera lehnte sich gegen den kalten Körper. Tränen rannen ihr über die Wangen. Schluchzend schlag sie ihm die Arme um den Hals.
   ''Ich will das Alles nicht'' flüsterte sie. ''Ich weiß'' behutsam strich er ihr über den Rücken. In Vera herrschte eine Chaos, dass sie nicht mehr kontrollieren konnte. Immer wieder hörte sie Kevins Stimme in ihrem Kopf: Du liebst ihn. Auch wenn sie sich weigerte, es stimmte. Automatisch drückte sie ihn von sich. Ich kann es nicht zulassen! Ermahnte sie sich selbst.
   ''Geht´s?'' fragte Aaron fürsorglich. ''Ja, ich glaube schon'' murmelte Vera.
   Vorsichtig half er ihr auf. ''Hast du dein Handy bei?'' fragte Aaron und sie griff in ihre hintere Hosentasche. Sie reichte es ihm, sofort ging er ins Internet und googelte.
   ''Also es gibt 10 Ruinen und circa 30 entweihte Kirchen'' berichtete er. ''Gib mir mal bitte den Plan'' forderte er und Vera kramte in ihrem Rucksack. Erwartungsvoll überreichte sie ihm die Karte. Er kreiste die Orte mit den Kirchen ein und steckte die Karte zurück in die Tasche.
   ''Und jetzt?'' hakte Vera nach. ''Auf zum Motorrad-Haus'' grinste er.

Sie waren zehn Minuten gelaufen, bis sie den Laden erreichten.
   Aaron stand zwischen mehreren Motorrädern und wirkte wie ein kleines Kind. Seine Augen leuchteten erfreut und er begutachtete jede Maschine. Angeregt unterhielt er sich mit dem Verkäufer. Sein polnisch war perfekt. Vera verstand kein Wort.
   Nach fünf Minuten kam Aaron zu ihr. ''Na, auch mal fertig?'' fragte Vera und starrte die Motorräder an. ''Klar'' grinste er. ''Und welches soll´s sein?'' fragte sie neugierig, doch Aaron brauchte nicht antworten. Der Motorradhändler fuhr eine große, schwarze Maschine vor. Entgeistert starrte sie das Höllenfahrzeug an.
   ''Und da soll ich mich drauf setzen?'' fragte sie. ''Jap'' grinste Aaron und ging zu dem Händler. Sie verschwanden in einem kleinen Büro und kamen nach ein paar Minuten wieder heraus.
   Zielgerichtet lief Aaron auf seine neue Errungenschaft zu und stieg auf. Über den Anblick musste Vera lachen.
Seine Lederstiefel, seine Lederjacke und selbst seine Haare passten zu dem Motorrad. Er sah aus wie ein Biker. Grinsend setzte er eine Sonnenbrille auf und sah sie auffordernd an.
   Verunsichert lief sie zu ihm, nahm den Helm entgegen und stieg auf. ''Ready?'' fragte er und sie umklammerte ängstlich seine Hüften. ''Bereit'' murmelte sie unsicher und er fuhr los.

Der erste Tag brachte nur Enttäuschungen und Vera war erschöpft.
   ''Können wir morgen weiter machen?'' fragte sie und lehnte sich gegen die vierte Kirche, die sie durchsucht hatten. ''Du wolltest sofort los, ich dachte wir suchen?'' fragte er und stellte sich neben sie. ''Ja, aber ich bin müde'' murmelte sie. ''Lass uns ein Hotel suchen oder so'' bat sie. ''Ok'' stimmte er zu und lief zu seinem neuen Bike.

Vera wartete vor dem Motel, dass sie nach einer Stunde gefunden hatten.
   Die Zimmer waren rechts und links vom Hauptgebäude verteilt und die Türen wirkten alt.
   Plötzlich stand Aaron vor ihr. ''Erledigt'' sagte er und hielt ihr den Schlüssel hin. An einem silbernen Ring stand die Zimmernummer L20. ''Der Kerl meinte, es wäre links'' erklärte Aaron, nahm Vera den Rucksack ab und ging auf die Suche.
   ''Habs!'' rief er und Vera lief zu ihm. Müde schloss sie die Tür auf und trat ein.
Das Zimmer war klein und roch modrig. Angewidert hielt sie sich die Nase zu. ''Ist das ekelig'' würgte sie. ''Das kannst du laut sagen'' stimmte Aaron zu und ging zum Fenster um es zu öffnen.
   Vorsichtig setzte sie sich aufs Bett, das unter ihrem Gewicht knarrte. Erschrocken sprang sie auf.
   ''Das wird ´ne Nacht'' lachte Aaron. Vorsichtig roch sie an den Laken. ''Wenigstens sind die frisch'' meinte sie und legte sich hin. Mit den Füßen streifte sie sich die Schuhe ab und versuchte sich in die Kissen zu kuscheln. Doch sie fand keine gemütliche Position und hampelte im Bett herum.
   ''Was machst du da?'' fragte Aaron skeptisch. ''Eine gemütliche Position finden'' murmelte Vera verzweifelt. ''Und das macht man so?'' fragte er und setzte sich aufs Bett. ''Ich weiß nicht'' grinste Vera und legte sich auf den Rücken. ''Soll ich mich zu dir legen? Früher bist du immer gut eingeschlafen, wenn ich da war'' sagte er zögerlich. ''Ja, dass wäre toll'' lächelte sie und rückte zur Seite.
   Vorsichtig legte er sich neben sie und breitete den Arm aus. Zögernd rutschte sie zu ihm und legte sich an seine Seite. Unentschlossen legte sie ihm die Hand auf die Brust. ''Ist das ok?'' fragte sie leise. ''Ja'' sagte er mit einem schwachen Lächeln.
   In seinem Arm liegend, beruhigte sich Vera. Aus Gewohnheit kuschelte sie sich näher an ihn und schlief ein.

Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt