Kapitel 36

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Kevin und Vera liefen am Haus entlang, Richtung Park. Die Straßen waren verlassen,  kein Lebewesen hielt sich draußen auf.  
   Der Park war riesig und in der Mitte, war ein Teich angelegt worden. Bänke waren darum verteilt und verschiedene Steinwege führten dahin. Bäume, Rosenbüsche und verschiedene Blumenbeete verliehen dem Park etwas himmlisches.  Kevin steuerte auf den Teich zu, Vera folgte ihm leise. Als sie zu ihm aufschloss sah er sie an.
   ''Ich habe nachgedacht'' verkündete er ernst. Das bedeutet nichts Gutes... flüsterte eine Stimme in Vera.
   ''Worüber?'' fragte Vera und setzte sich auf eine Bank. ''Du hattest Recht'' gab er zu und setzte sich neben sie. ''Ich schaffe es nicht, mich von dir fern zu halten.'' Vera war es unangenehm darüber zureden. Zuvor hatte er sie angeblafft und jetzt war er zu dem Schluss gekommen, dass seine Gefühle zu stark waren. Sie wusste, dass er ihr weiterhin Avancen machen würde, gerade dann, wenn Aaron nicht Vorort war. Plötzlich sehnte sie sich nach Aaron, jede Faser ihres Körpers schrie nach ihm. 
   ''Kevin,'' begann sie, doch ihre Stimme brach weg und ihr Kehle schnürte zu. Wie soll ich ihm klar machen, dass ich ihn brauche, aber nicht so wie er es möchte, fragte sie sich und suchte nach einer Möglichkeit ihre Gefühle in Worte zu fassen.  ''Ja?'' hakte er nach. Vera räusperte sich, um den Klos in ihrem Hals zu vertreiben.
   ''Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll...'' setzte sie an. ''Du weißt, dass mir deine abweisende Art weh tut, aber... aber ich weiß auch, dass du nicht aufhören kannst mich zu...'' traurig schüttelte sie den Kopf. Bedächtig nickte er.
   ''Ich weiß, dass du weiterhin versuchen wirst, Aaron auszustechen, aber das wird nicht funktionieren''
flüsterte sie leise. ''Hör auf'' flehte er.
   Überrascht sah sie auf und sah sein schmerzverzerrtes Gesicht. Egal was ich tue, ich verliere ihn. ''Kevin, du bist mein bester Freund und ich will dich nicht verlieren'' sagte sie schließlich und wartete auf eine Reaktion von ihm. Doch er schwieg. 
   ''Du weißt nicht, wie schwer es ist, dich zu sehen, aber nicht berühren zu dürfen. Du weißt nicht, wie sehr es weh tut, mich von dir fern zu halten und du weißt nicht, wie weh es tut, in deiner Nähe zu sein'' flüsterte er. Ein Teil von Vera, wollte ihn umarmen, ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde. Doch ein anderer Teil wollte schreien und weglaufen.
   ''Ich werde versuchen, deine Wünsche zu erfüllen'' sagte er lächelnd. Dankend umarmte sie ihn und löste sich nach wenigen Sekunden von ihm. Vera stand auf, bereit zum Gehen, doch er nahm ihre Hand und sah sie an.
   ''Wartest du noch einen Augenblick? Ich möchte dir etwas zeigen.'' Vera blieb verunsichert stehen und nickte kaum merklich. 
   Kevin stand auf und begann am ganzen Körper zu zittern. Erschrocken wich zurück. Um ihn herum begann die Luft zu tosen und ein plötzlich auftretender Nebel hüllte ihn vollkommen ein. Im nächsten Moment erhitzte sich die Luft und der Boden begann zu beben. Kevin war vollkommen verschwunden und Vera hatte große Mühe, bei diesem Wind die Augen offen zu halten. Das Beben verebbte und Kevin stand wieder sichtbar vor ihr. Ein strahlend weißes Licht waberte um ihn herum. Langsam verblasste dieses Leuchten und Kevin stand als Geflügelter vor ihr. Seine Flügel ragten über ihn hinaus und die Federspitzen streiften den Boden. Sie strahlten Macht, Kraft und Stärke aus.
   Als das Licht verebbt war, konnte man die Farben erkennen. An seinem Rückenansatz waren die Federn schwarz und wurden immer heller, bis sie am äußeren Rand blütenweiß waren. 
   Beeindruckt ließ Vera ihre Finder darüber gleiten. Sie spürte, dass jede Federfarbe eine andere Eigenschaft besaß. Bei der behutsamen Berührung der schwarzen Feder, floss Kraft und Stärke durch ihren Körper. Überrascht keuchte sie auf.  
   ''Was ist das?'' hauchte sie und betrachtete weiterhin seine Flügel. ''Was meinst du?'' fragte er skeptisch. ''Deine Flügel sie...'' flüsterte sie, brach aber ab, da ihr die Worte fehlten. ''Kannst du sie etwa spüren?'' fragte er geschockt, verwundert hob sie die Augenbrauen hoch.
   ''Klar spüre ich sie, sie sind weich und...'' sie strich über die dunkel grauen Federn und zuckte zurück. ''Mächtig'' beendete sie ihren Satz. ''Heißt das, dass du ihre Energie spüren kannst?'' fragte er erstaunt. ''Ich glaube schon.''
   Nervös legte er seine Flügel an. ''Die Schwarzen verleihen Kraft und Stärke'' erklärte er, ''die Grauen bedeuten Vergebung. Damals konnte ich jedem Lebewesen verzeihen. Durch meinen Sturz ist mir diese Eigenschaft genommen worden. Oftmals kann ich mir selbst nicht vergeben, ebenso wie Anderen. Das Eigenartige ist, wenn du bei mir bist, habe ich das Gefühl, einen Teil dieser Eigenschaft wieder zu erlangen.
Die hellgrauen Federn stehen für Liebe und Hoffnung'' sagte er und spielte mit einer schwarzen Feder, die ausgefallen war. ''Und die Weißen... sie stehen für Wissen und Macht. Es ist gefährlich für Menschen, diese zu berühren'' erklärte er. 
   Ein Ruck fuhr durch seinen Körper und die Flügel waren verschwunden. Einzelne Federn schwebten dabei zu Boden. Langsam hob er sie auf. Prachtvoll glitzerten sie im Sonnenlicht.
   ''Es ist unmöglich, dass du ihre Kraft spüren kannst'' murmelte er und drehte die schwarzen und hellgrauen Federn zwischen seinen Fingern. Vollkommen in Gedanken, überreichte er Vera eine Schwarze und eine hellgraue Feder. Behutsam nahm Vera sie an sich.      
   Sofort floss die Kraft der Federn durch ihren Körper. Überwältigt schloss sie die Augen. Sie spürte, wie ihr Körper entspannten, wie die Sehnsucht nach Aaron anschwoll und ihre innere Erschöpfung verschwand.   
   ''Es...'' sagte sie atemlos, ''es ist wundervoll.''     

Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt