Kapitel 5 ✔️

3.7K 170 15
                                    

Belle

»Treib es nicht zu weit.«, knurrte der Farblose und bohrte regelrecht seine Finger in meinen Oberarm. Ich presste die Lippen fest aufeinander und sah ihm weiterhin in die braunen Augen. »Wir gehen jetzt zu meinem Großvater. Er möchte dich sehen.«

Sein Großvater?

Widerwillig gab ich nach und ließ mich mitziehen. Währenddessen sah ich mich in der Gegend um. Gerade verließen wir das kleine Häuschen, in dem ich verarztet wurde. Nur zu gerne würde ich wissen, was mit meinem Kopf eigentlich passiert ist.

Ich schüttle den Kopf und sah auf die Straße, die wir gerade entlangliefen. Überall standen oder saßen dreckig gekleidete Menschen auf der Straße. Kinder rannten Bällen hinterher und kicherten. Es war mitten in der Nacht, was taten sie auf den Straßen? Manche deuteten mit dem Finger auf mich, andere schauten mich neugierig oder verachtend an.

Eigentlich war ich ja wohl diejenige, die sie hassen sollte und nicht umgekehrt. Sie waren hier die Kriminellen, nicht ich. Sie waren die Bösen und ich die Gute. Aber wie sonst hätte ich es erwarten können. In ihren Augen war ich die Tochter des schrecklichsten Menschen der Welt. William Night. Der Mann, der die Macht hatte, sie zu verbannen.

Das war wohl das schwarze Viertel. Hier lebten also die Farblosen.

Es hatte mich bis jetzt brennend interessiert, wie deren Alltag wohl aussehen mochte. Und jetzt hatte ich sie vor meinen Augen, aber wollte es nicht wahrhaben. Lieber wäre ich jetzt zuhause in Sicherheit und verschwendete weitere sinnlose Gedanken an dieses Viertel.

Mein Blick wanderte weiter von den kaputten Straßen zu den alten Häusern. Manche davon hatten eingeschlagene Fenster und die Hauswände hatten schwarze Brandflecken. Es war eine Katastrophe.

Meine Aufmerksamkeit zog jedoch ein Mann auf sich, der laut Beleidigungen nach mir rief: »Was hat diese Hure hier verloren, huh?«

Ich zog eine Augenbraue hoch und blieb stehen.

»Steckt die in den Kerker und ihren Drecksvater gleich mit!« Er stampfte wütend auf uns zu und fing lautstark mit Jack zu diskutieren an. »Was hat sie hier verloren?!«

»Sie wird eine Zeit lang hier unterkommen.«, erwiderte Jack ruhig und hielt mich weiterhin fest, wobei er mich leicht hinter sich drückte. »Ich bringe sie zu meinem Großvater, er wird entscheiden, was mit ihr passieren wird und solange wird ihr niemand etwas tun.«

Diese Aussage beruhigte mich mehr als sie sollte. Sie würden mir vorerst nichts tun. Leider wusste ich nicht wie viel Vertrauen man einem Farblosen schenken konnte.

»Sollen wir sie auch noch wie eine Prinzessin behandeln, oder was?!« Spottend hob er einen Zeigefinger und deutete auf mich. Seine Augen funkelten mich giftig an. »Hör zu. Ihr werdet es noch büßen. Es wird der Tag kommen, an dem ihr verkorksten Mistviecher all eure Taten bereuen werdet.« Seine Worte schockierten mich. Welche Taten sollten wir bereuen? Und wieso nutzte er solch vulgäre Ausdrücke? »Was wird dein Großvater mit ihr machen? Sie foltern lassen?«

Bei dem Wort 'foltern' zuckte ich automatisch zusammen. Nein, das würden sie nicht tun. Ich konnte mich nur noch sehr schwer auf den Beinen halten, da diese auf einmal wackelig wurden. Panik überkam mich. Erst jetzt, wurde mir bewusst, was man hier mit mir alles anstellen könnte. Ich war nicht mehr sicher.

Jack drehte sich zu mir, schien meine Angst bemerkt zu haben. Mit angestrengter Stirn und den strengen Blick auf mich gerichtet, antwortet er dem Mann: »Wenn Bill das so verlangt, dann selbstverständlich.«

Ich hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzuklappen. Meine Atmung beschleunigte sich mit einem Mal, als ich den Eisbeutel fallen ließ und nach Jack schlug. »Lass mich los!« Hysterisch trat ich nach ihm und spürte Schmerzen an den Handgelenken. »Wenn mein Vater davon hört, dann wer-...«

»Verdammte Scheiße, hör endlich auf!«, brüllte Jack mich plötzlich an und zog seine Waffe aus dem Hosenbund. »Hier hat dein Vater keinen Wert! Hier würde dieser Bastard auf der Stelle eine Kugel durch sein mickriges Hirn gejagt bekommen und wenn du ihn auch nur ein einziges Mal noch erwähnst, fange ich gleich mit dir an!«

Er drückte den Lauf der Pistole an meine Stirn. Meine Augen wurden größer und mein Kinn fing auffällig an zu beben. Wie erstarrt starrte ich in diese dunklen rücksichtslosen Augen und betete innerlich, dass er sie wegsteckte.

Erst als er die Waffe wieder senkte, traute ich mich weiter zu atmen. Mit tränenverschleierter Sicht schluckte ich den Kloß im Hals runter und wand den Blick ab. Jeder hatte das soeben mitbekommen.

»Haben wir uns verstanden?«, fragte er nun mir einer ruhigeren Stimme. Er war krank! Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären.

Ich ignorierte diese Frage, was er als Bestätigung auf seine Frage aufnahm und mir zufrieden den Eisbeutel reichte. Eingeschüchtert nahm ich diesen entgegen und wich weiterhin seinem Blick aus.

Der alte Mann, der mich beleidigt hatte, grinste zufrieden und ging wieder ins Haus. Schnell wischte ich mir die Tränen weg, die mir ungewollt über das Gesicht liefen. Ich schniefte. Die ganze Aufmerksamkeit lag auf uns, was die Situation zehnfach schlimmer machte. So eine Demütigung hatte ich nicht verdient. Das hatte niemand verdient.

Jack nahm mich diesmal am Handgelenk und führte mich zu einem schwarzen Haus. Es war etwas größer als die anderen und stach aufgrund der dunklen Farbe extrem hervor. Ich vermutete, dass ich hier auf den Anführer treffen würde. Jack führt mich ins Wohnzimmer, welches von grauen Wänden eingegrenzt war. Die drei Sessel, welche im Raum verteilt lagen, sahen ziemlich mitgenommen aus. In einer Ecke stand ein großer Esstisch mit schwarzen, teilweise kaputten Stühlen rundum.

Ich fühlte mich auf Anhieb unwohl hier.

»Setz dich hin. Er wird jeden Moment hier sein.«, wies Jack mich an und deutete auf die Couch, dessen Federn bereits rausstachen.

Ich verzog das Gesicht und zögerte. Das schien ihm aufzufallen, denn er gab mir einen kleinen Schubs. Ich biss mir auf die Innenwangen und nahm an der Kante Platz. Dann wartete ich und faltete nervös die Hände auf meinem Schoß.

Nach der Zeit kamen immer mehr Menschen dazu. Insgesamt waren es nun acht weitere Leute, die unbeirrt fernsahen. Ich verstand nicht, was man an so einem kleinen alten Fernseher so amüsant finden konnte.

Seufzend dachte ich nach, was mich jetzt erwartete. Man hatte mir erzählt, dass ich ihm auf keinen Fall widersprechen sollte, aber ich wusste bereits ganz genau, dass ich mich nicht daran halten würde.

»So, wo ist sie?«

Erschrocken starrte ich zur Tür, konnte aber noch niemanden ausmachen. Die Stimme erklang aus dem Flur und ich würde meine Hände und Füße darauf verwetten, dass das der Mann war, auf den alle Farblose hinaufblickten.

Mein Herz schlug mit einem Mal schneller.

Ich würde gleich den Mann treffen, der für all das verantwortlich war.
Ich würde dem Mann gegenüberstehen, der die Schuld an dem Tod meiner Mutter trug.

Unsicher, ob ich überhaupt dafür bereit war, stand ichauf.

Red PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt