Kapitel 6 ✔️

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Belle

Ein alter dürrer Mann kam zum Vorschein. Mit seinem Gehstock schritt er langsam auf mich zu und musterte mich von oben bis unten. Auch ich betrachtete ihn.

Er hatte graue Haare, viele tiefe Falten im Gesicht und war fast so groß wie ich, 1,65 m. Deswegen konnte ich ihm direkt in die braunen Augen sehen. Also reckte ich mein Kinn und setzte einen selbstbewussten Gesichtsausdruck auf.

»Du bist also die Rote Prinzessin?« Schmunzelnd ging er um mich herum und setzte sich auf den schwarzen Sessel neben dem Fenster. Er lehnte sich zurück, seufzte entspannt und deutete auf den Platz gegenüber von sich. Verwirrt sah ich ihn an. »Setz dich doch.«

Zögernd setzte ich mich auf den Platz und nahm meinen Blick nicht von ihm. Sein dauerhaftes Grinsen verunsicherte mich ein wenig, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

»Erzähl mir doch was von dir. Wie läuft deine Schule so?«

Leises Gelächter erfüllte den Raum, was er mit nur einer Handbewegung verstummen ließ.

Er nahm sich eine Erdnuss aus der Schüssel, die ihm gerade einer hinhielt und stellte seine Beine auf dem kleinen Holztisch vor uns ab. Jack stand unmittelbar hinter ihm und sah uns unberührt zu. So hatte ich mir das Gespräch definitiv nicht vorgestellt.

»Ich wüsste nicht, was es Sie angehen sollte.«, antwortete ich so ruhig wie möglich.

Innerlich sah es bei mir nämlich ganz anders aus. Am liebsten würde ich ihn anschreien, dass er mich in Ruhe lassen solle, dass schwarz niemals eine eigene Farbe sein würde und dass er niemals mit so einer Nummer durchkommen würde. All dies behielt ich für mich.

Doch als er plötzlich anfing laut zu lachen, ballte ich die Fäuste. Er sollte aufhören. Es war ein abscheuliches Lachen.

»Wie geht es deiner Familie?« Sein Lachen verstummte für einen Augenblick. »Wie geht es Sierra, deiner Schwester oder deinem Vater? Hab gehört er ist wieder zurück aus...?« Er schnippte kurz mit den Fingern und blickte nachdenklich weg. »Hm wo war er noch einmal?«

»Schweden.«, warf einer lachend ein.

»Ach ja Schweden!« Wieder lachte er lauthals los und schlug sich sogar belustigt auf die Oberschenkel. »War er denn wirklich dort?«

Ich biss mir auf die Zunge, um meine Beherrschung nicht zu verlieren. Was dachte er sich überhaupt?

»Nicht so gesprächig, was?«

Mein Geduldsfaden wurde mächtig auf Probe gestellt, als er mir seine gelben Zähne präsentierte. Ich würde untergehen, wenn ich ihm auch nur ins Gesicht spuckte. Alle Farblose warteten regelrecht auf einen Fehler meinerseits, um sich auf mich zu stürzen.

»Hörst du mich?!«

Ich sagte nichts.

»Er hat dich etwas gefragt!«, rief eine Frau, die im Schneidersitz au dem Boden saß. Ihr Blick war zornig auf mich gerichtet.

»Ja.«, sagte ich schließlich und senkte meinen Blick.

»Gut gut.«, schmunzelte er.

Wieder schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch, um meinen schnellen Atem unter Kontrolle zu kriegen. Dabei scheiterte ich kläglich.

»Wie geht es deiner Mutter?« Amüsiert sah er mich an, beugte sich vor und stützte gespannt seine Ellenbogen auf den Knien ab.

Jeder hat eine Schwachstelle und dieses Thema war meine. Jeder hat auch eine Grenze, aber der alte Mann vor mir, kannte wohl keine. Es war sein Befehl, das dem Leben meiner Mutter ein Ende setzte. Und jetzt sprach er mich darauf an. Jetzt ging er zu weit.

Ruckartig stellte ich mich auf die Beine, warf die Schüssel mit den Erdnüssen quer durch den Raum und wollte auf ihn losgehen. Aber schon war jeder auf den Beinen, um mich daran zu hindern. Noch griffen sie nicht ein.

Trotzdem blieb ich sicherheitshalber nur stehen und brüllte den Anführer an. »Du bist ein erbärmlicher Mistkerl, der es nie zu irgendwas bringen wird! Deine aussichtslose Lage zwingt dich dazu, Falsches zu tun. Aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass der Tod meiner Mutter nichts an dieser Lage ändern wird.«

Ich hob meinen Finger, senkte die Stimme und trat näher. »Farblose sind und werden für immer ein Niemand bleiben. Menschen ohne eine Farbzugehörigkeit. Ihr werdet nie eine Rolle in diesem Land spielen.«

Dies reichte, um ihn an seine Grenzen zu bringen. Auch er stand abrupt auf und kam mir zornig näher. »Weißt du was? Du hast recht. Aber eins kann ich dennoch tun.« Seine Mundwinkel zuckten. »Deine Mutter habe ich bereits, dein Vater wird folgen.«

Ich schnaubte und erhob meine Hand. Im nächsten Augenblicke hatte mir jemand diesen Arm umgedreht, sodass ich unfähig war, diesen zu bewegen. Stöhnend trat ich mit meinen Füßen um mich und versuchte den Farblosen von mir zu rütteln. Ich schaffte es einigermaßen alleine zu stehen.

Keuchend starrte ich den jungen Mann böse an, der lässig dastand, bereit wieder einzugreifen. Deswegen blieb ich vorerst ruhig.

»Beruhigt sie.«, sagte der schwarze Anführer, worauf eine Frau mit einer Spritze auf mich zukam.

Panisch trat ich zurück und schlug auf die Hand der Frau, die mir gefährlich nah kam. Das Mittel fiel ihr aus der Hand, was ich ausnutzen wollte, um wegzurennen. Doch diesmal stellte sich Jack mir in den Weg und packte mich ohne große Bemühungen an den Handgelenken. Mit dem Knie traf ich ihn auf dem Oberschenkel, als sich diese Frau wieder mir widmete.

»Lasst mich los!«, schrie ich. Was wollten sie mir geben? Angst kroch in mir hoch. »Bitte, das muss nicht sein!«

Mein Verstand setzte aus, als ich mich weiterhin gegen die Farblose wehrte. Doch ich versagte. Ich verspürte ein kurzes Piksen am Oberarm. Sekunden später wurde mir flau um den Magen und meine Sicht fing an sich zu drehen. Jack stand vor mir, hielt mich fest, damit ich nicht umfiel. Auch als meine Knie einknickten, hielt er mich, diesmal sanfter.

Meine Atmung wurde ruhiger und meine Augenlider schwerer. Ich wehrte mich mit ganzer Kraft gegen die Wirkung.

Irgendwann gab ich auf und ließ mich ins Schwarze ziehen.

Red PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt