Belle
»Dad!«, rief ich lachend durch die Eingangshalle, rannte auf meinen Vater zu und schmiss mich in seine Arme. »Ich hab dich so sehr vermisst.«
Lachend ließ er seine Reisetasche fallen und drückte mich fest an sich. »Ich dich auch, Kleines.« Wohl seufzend legte er seinen rechten Arm auf meine Schulter und geleitete mich ins Wohnzimmer. »Wo ist deine Schwester?«
Genervt verdrehte ich die Augen und löste mich aus seinem Griff. »Sie ist nicht meine Schwester.«, erwiderte ich schnippisch und warf mich auf die Couch.
Mein Vater verließ den Raum kurz und kam dann mit Emily in den Armen zurück. »Ich habe Geschenke für euch.« Die Sicherheitsleute verließen das Zimmer und positionierten sich draußen, während eine Dienerin den Koffer mit den Geschenken brachte.
Neugierig beäugte ich die Geschenke, die er sogleich rauszog. »Emmy, das hier ist deins.« Die Vierjährige riss freudig das Papier ab. Zum Vorschein kam ein rotes Kleid. Sie kreischte auf, umarmte Dad stürmisch und verschwand mit ihrem Kindermädchen nach oben, um es anzuprobieren.
Erwartungsvoll sah ich zu meinem Vater und wartete nun auf meins. Lachend reichte er mir eine kleine Box. Auch ich riss das Geschenkpapier ab und betrachtete die Schmuckbox in meiner Hand. Aus dem Augenwinkel erkannte ich den neugierigen Blick meines Vaters.
»Es tut mir schrecklich leid, dass ich zu deinem achtzehnten Geburtstag nicht bei dir sein konnte, deswegen hoffe ich, das gefällt dir.«
Ich krauste die Stirn. Welches Geschenk würde mich dazu bringen, zu vergessen, dass ich alleine war? Schlagartig wurde mir bewusst, dass diese Kette es wieder gut machte. Ich war ihm sauer, ja, aber ich wagte zu behaupten, dass ich jedem alles dafür verzeihen würde.
Tränen kamen an die Oberfläche als Dad sie mir um den Hals hing. Meine Hand fand den Weg zum Anhänger, den kleinen silbernen Vogel. Diese Kette gehörte einst meiner Mutter. Und das machte es unbezahlbar.
»Woher hast du die Kette?«, fragte ich. Meine Stimme war nur ein leises Flüstern, mir fehlte die Kraft.
Warum hat er sie mir nicht früher gegeben? Er wusste, wie traurig ich war, nicht von meiner Mutter zu haben, dass mich jeden Tag an sie erinnerte.
»Deine Tante hatte sie.«, erwiderte er leicht abwesend. »Sie hat es mir gegeben als ich sie kurz bei den Grünen besuchen war. Ich wusste nicht, dass sie es hatte.« Er seufzte. »Deine Mutter hat diese Kette geliebt und bewahrt. Deswegen möchte ich sie dir anvertrauen. Gib darauf Acht, möge kommen was wolle.«
Lächelnd nickte ich. Natürlich würde ich alles für diese Kette tun. Sie war ab sofort das Einzige, das mir von meiner Mum geblieben ist. Sie ist vor fünf Jahren gestorben. Dad meinte, sie wurde von der schwarzen Landesgruppe ermordet, weil sie sauer waren, keine eigene Farbe zu haben. Deswegen nannte man sie auch die Farblosen.
Aber mal ehrlich, schwarz war keine Farbe. Das lernten wir in der Schule. Doch genau aus diesem Grund hassten wir Farblose. Sie waren egozentrisch und dachten nur an eine eigene Farbe. Dies zeigten sie uns mit Gewalt und meine Mutter wurde zu einem ihrer Opfer.
Sie waren nicht schwarz, aber sie trugen schwarze Armbänder, welche ihre ‚Farblosigkeit' zeigte. Wahrscheinlich trugen sie auch schwarze Kleidung. Da war ich mir jedoch nicht sicher, da ich nie einen zu Gesicht bekam. Nicht jeder trug die Farbe der Zugehörigkeit auch als Kleidungsstück, das wäre öde und zu monoton.
Stattdessen bekam jeder nach der Geburt ein Armband, welches die Farbe trägt, der man angehört. Nur die Regierung hatte die Kraft, Menschen Armbänder anzuschließen. Diese einfachen Armbänder zeichneten uns aus.
Es gibt die Möglichkeit, die Farbe zu wechseln, aber das kostete Geld. Eine Menge sogar. Aber das tat kaum jemand. Jeder war stolz auf die eigene Farbe. Man musste jährlich eine hohe Steuer für dafür zahlen. Rot und Blau waren am teuersten. Die anderen hatten den selben, niedrigeren, Preis.
Das Land ist aufgeteilt in insgesamt sechs Farben. Die mächtigste ist Rot, meine Farbe, die Anführer. Dann kommen die Blauen, Stellvertreter. Weitere Farben sind: Grün, Gelb, Orange und violett. Jedes davon spielt eine wichtige Rolle in Colouri. Es war jedoch ein Geheimnis, weshalb dieses Land Farbgruppen einführte.
»Schau mal!«, rief Emily plötzlich und drehte sich um ihre eigene Achse, weswegen ihr Kleid in hohem Bogen um sie schwang.
Kichernd lief sie auf Dad zu und dankte ihm noch einmal. Dabei warf sie mir einen komischen Blick zu, den ich nicht identifizieren konnte. Die Kleine hasste mich. Und das zeigte sie mir jeden gottverdammten Tag. Es ging mir tierisch auf die Nerven, aber ich konnte nichts dagegen machen. Sie war erst vier.
»Ich bin dann mal oben, Hausaufgaben machen.«, log ich, um endlich alleine zu sein.
Schnell huschte ich an den vielen Dienerinnen vorbei und betrat in Ruhe mein Zimmer. Hier durfte niemand rein. Weder Dad, noch eine Dienerin zum Aufräumen. Nur ich. Es war mein Territorium! Hier musste ich mich nicht verstellen.
Müde warf ich mich auf das Himmelbett, welches in der Mitte der Wand platziert war. Ich kroch unter die weinrote Decke und holte meine Zeichenutensilien hervor. Es war meine heimliche Leidenschaft. Früher zeichnete ich Mum und mich an Orten, die wir nie zusammen besuchen würden. Denn diese Erlebnisse hatten die Farblosen vor fünf Jahren geraubt.
Jetzt zeichnete ich wieder ein Bild von ihr. Das letzte mal ist zwei Jahre her. Ausnahmsweise musste war mir nicht nach weinen zumute, wie so oft. Es fühlte sich vertraut und angenehm an, was wohl an der Kette lag. Lächelnd skizzierte ich ihre Augen. Stolz konnte ich behaupten, dass ich meine strahlend grünen Augen von ihr habe.
Niemand wusste etwas von meinen Zeichnungen und so sollte es auch bleiben. Dad wollte unbedingt, dass ich sein Nachfolger im Hauptsitz der Roten werde, aber mein Herz gehörte der Kunst. Ich traute mich nicht, ihm die Meinung zu sagen. Er pflegte stets sein Image. Und die Tochter eines so starken Mannes durfte nicht nur eine einfache Künstlerin werden.
Man nannte mich bereits die Rote Prinzessin. Es war eine Metapher, aber ich fühlte mich unbehaglich, wenn mich fremde Menschen mit diesem Namen ansprachen.
Mein rotes Armband hatte einen kleinen Anhänger, auf dem ein Stern gekennzeichnet ist. Dies verdeutlichte, dass ich zur Familie der Anführer angehörte. Alle Anführer-Familien in den verschiedenen Farben trugen solche Anhänger. Dad war der an der roten Spitze und somit der mächtigste Mann im Land. Irgendwann würde ich in seine Fußstapfen treten müssen.
Allein die Regierung war fähig dazu, Leute zu Farblosen zu machen und sie zu verbannen. Das passierte nur, wenn man die Kosten nicht mehr zahlen konnte oder eine schwere Straftat begann. Diese Menschen bekamen keine Jobs, keine Mietwohnungen und wurden auf Straßen verspottet und verhauen. So vereinten sie sich und zogen von Ort zu Ort, um unentdeckt zu bleiben. Besonders extrem wurde die Lage nach dem brutalen Anschlag auf das schwarze Viertel.
Seufzend legte ich mein Zeichenblock weg und dachte ungewollt darüber nach, wie das Leben eines Farblosen wohl sein vermochte. Wie war deren Alltag, wenn sie doch keine Arbeit hatten? Wie verdienten sie Geld und sorgten für ihre Familien? Ich wusste es nicht. Plötzlich verspürte ich Mitleid aufkeimen, obwohl ich das nicht musste.
Sie waren größtenteils Verbrecher und waren schuld daran, dass ich mit dreizehn am Grab meiner Mutter stand und seit fünf verdammten Jahren ohne sie klarkommen musste. Und mit einem Mal verschwamm das Mitleid und Wut loderte in mir auf.
Ich hasste sie.
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Red Princess
Science FictionNEUE VERSION „Red Princess - Die Suche nach der Roten Prinzessin" AUF MEINEM ANDEREN ACCOUNT @RealNez ••• Jedes Land hat seine eigenen Sitten und Bräuche. Genau wie dieses Land. Dieses Land heißt Colouri, gegründet im Jahr 2050. Es ist wie sein Na...