Kapitel 50

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Belle

Ein kleines Kitzeln an meinem Hals, weckte mich aus meinem Schlaf. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Ich sah an mir runter, ein Arm lag auf meiner Taille und zog mich fest zu sich. Langsam blickte ich hinter mir und sah Jack, dem der Arm gehörte. Er schlief noch tief und fest. Seine Beine waren mit meinen verschlungen. Hatte ich keine Mauer aufgebaut? Die Kissen lagen auf dem Boden verstreut. Toll.

Dennoch bestritt ich nicht das Gefühl der Geborgenheit. Das angenehme Kribbeln an meiner Haut kehrte zurück und ich wollte mich einfach nicht von ihm trennen. Aber das musste ich. Deswegen befreite ich mich vorsichtig aus seinem Griff und deckte ihn zu, da die Decke abgerutscht war.

Leise blieb ich auf der Bettkante sitzen und starrte ihn unbewusst an. Seine Haare waren verwuschelt und standen in allen Richtungen ab, was bei ihm richtig gut aussah. Seine Nasenflügel hoben und senkten sich in einem langsamen Rhythmus. Wie konnte jemand beim Schlafen so attraktiv sein?

Ich wollte mit der Hand durch seine Haare fahren, hielt mich aber davon ab. Ich wollte ihn nicht aufwecken. Er sollte ausschlafen.

Wann er wohl das letze Mal so friedlich schlafen konnte?

Als mein Blick auf seine wohlgeformten Lippen fiel, schüttelte ich den Kopf und stand auf. Das war absurd. Dann hatte ich aber eine Idee. Kurzerhand nahm ich mein Handy zur Hand und machte ein Foto von ihm. Dabei kam ich mir leicht vor wie ein Stalker, aber wer weiß, wann ich ihn das nächste mal sehen werde, wenn er weg ist?

Nach einem letzten Blick auf ihn, verließ ich schleichend den Raum. Lächelnd lief ich die Treppen runter und dann in die Küche. Es war erst neun Uhr morgens. Ich machte mir einen Früchtetee und setzte mich damit auf die Couch. Angeekelt warf ich die Kekskrümmel von meinem Sitzplatz, bevor ich mich darauf niederließ.

Ich zappte durch die Kanäle, aber schaltete den Fernseher letztendlich wieder aus. Nichts interessantes dabei. Ich entschied mich wieder ein Buch zu lesen. Die Tragödie Romeo und Julia war ein Klassiker, aber ich liebte es. Vor zwei Jahren hatte ich es das letzte mal gelesen. Es wurde also Zeit, dieses Buch zu lesen.

Nachdem ich es vom Regal rausgezogen hatte, machte ich es mir wieder bequem und verschlang regelrecht eine Seite nach dem anderen.

Ich war so vertieft, dass ich erst merkte, dass Jack wach war, als er hinter mir stand.

"Du liest?", fragte er in einer tiefen Tonlage, die ich bei ihm gar nicht kannte.

"Du bist wach?", erwiderte ich.

"Ist das nicht offensichtlich?", lachte er rau.

"Es ist ja auch offensichtlich, dass ich lese.", erwiderte ich grinsend und klappte das Buch zu, nachdem ich ein Lesezeichen dazwischen gesteckt hatte.

"Touché."

"Hast du gut geschlafen?", fragte ich ihn, während er sich rücklings auf die Couch fallen lies. Sein Kopf landete dabei auf meinem Schoß.

Reflexartig spielte ich mit seinen Haaren, während er die Augen schloss. "Zu gut. Warum hast du mich nicht geweckt?"

"Wann hast du das letzte mal so gut geschlafen?"

Ich spürte, wie sein Atem kurz stockte. "Als Kind.", seufzte er. "Jetzt habe ich Aufgaben und Pflichten. Und da nennt man es schon Ausschlafen, wenn man fünf Stunden geschlafen hat."

Verblüfft hielt ich inne. "Ernsthaft?"

"Nur wenn sehr große Aufträge anstehen, dürfen wir so lange schlafen. Damit wir genug Kraft sammeln."

"Das ist ja schrecklich.", murmelte ich.

Jack richtete sich auf. "So ist das Leben der Farblosen."

"Bist du als Farbloser zur Welt gekommen?", rutschte die Frage einfach aus meinem Mund.

Kurz starrte er mich merkwürdig an. Genau als ich mich entschuldigen wollte, antwortete er mir. "Nein, meine Mutter war eine Gelbe als sie mich bekam. Doch mein Opa war während dieser Zeit schon ein Farbloser. Sie hatte noch Kontakt zu ihrem Vater. Als sie mich ihm zeigen wollte, wurde sie erwischt. Man steckte sie in den roten Kerker.

Deswegen gab man mich meinem Vater, der finanziell schon knapp an der Kasse lebte. Als man mich ihm überreichte, konnte er sich meine Utensilien nicht mehr leisten und irgendwann konnte er seine monatlichen Farbkosten nicht mehr zahlen. Er hatte so große Angst verbannt zu werden, dass er sich dazu entschied, einen Laden im blauen Viertel zu überfallen. Man hat ihn erwischt, öffentlich ausgepeitscht und dann erschossen. Dies wurde meiner Mutter berichtet, die sich noch am selben Tag im Kerker erhängte." Er machte eine kurze Pause.

Ich schluckte und senkte den Blick. Das habe ich nicht erwartet.

"So wurde ich zum Waisen und niemand wollte mich aufnehmen. Automatisch bekam ich das schwarze Armband. Man setzte mich auf der Straße ab und kümmerte sich nicht um mich. Ich war erst zwei Jahre alt, als mein Großvater wie aus dem nichts auftauchte und mich heimlich mitnahm. Sonst wäre ich wohl verhungert, was das Ziel der Regierung war. Sie dürfen die Bürger nicht direkt töten, was so viel heißt wie, ihm nicht eine Kugel in den Kopf jagen sondern einfach verhungern lassen. Es ist eigentlich verboten uns Farblose umzubringen. Aber das tun sie trotzdem, solange das Volk nichts davon mitbekommt."

"Aber wenn man euch nicht umbringen darf, warum taten sie es bei deinem Vater auf der Straße in der Öffentlichkeit?"

"Er hatte eine Straftat begangen, das erlaubten sie sich also."

Ich war geschockt. Beschämt wand ich den Blick ab. Meine Farbe tat das alles. Mein Land ermordete die eigenen Bürger.

"Es tut mir leid wegen deinen Eltern.", hauchte ich traurig.

Er legte seine Hand auf meine und lächelte mich ehrlich an. "Deswegen werde ich alles dafür tun, dass Matthew da heil raus kommt."

Da war es schon wieder. Nur heftiger. Ein Stechen breitete sich in meiner Brust aus und das Atmen fiel mir schwer.

"Ich auch.", flüsterte ich mitgenommen.

"Gibt es Essen?", rief auf einmal Mason, der reinplatzte und sich den Bauch rieb.

Die Chance ergriff ich sofort und flüchtete in die Küche. Es war wahrscheinlich nicht schlau, die beiden alleine zu lassen, aber ich konnte die Last nicht mehr ertragen. Meine Lüge erdrückte mich. Der Tod des Unschuldigen brachte mich um.

Der allzu bekannte salzige Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Mit dem Rücken zum Wohnzimmer, wischte ich mir die Tränen weg. Sie konnten mich noch sehen. Ich musste stark sein. Aber leider war das eine offene Küche, verdammt.

Schnell bereitete ich ein großes Frühstück für uns drei zu. Im Hintergrund konnte ich hören, wie Mason Jack nach Rosie fragte. Zu seinem Bedauern kannte Jack so eine Person nicht.

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