Sie klappt einfach vor seinen Augen zusammen, nachdem sie aufschreit und sich an die Stelle fasst, an der er sie verbunden hat.
„Kaleihrah!", er springt auf sie zu und hebt sie vom Boden auf.
Um besser nachschauen zu können, legt er sie wieder auf die Couch und hebt langsam ihr T-Shirt, das er gewaschen und ihr vor zwei Tagen wieder angezogen hat, da dieses voller Blut war.
Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht.
Nach und nach entwickelt er den Verband. Unter der letzten Schicht kommt die Verletzung zum Vorschein. Eine hässliche Fleischwunde, die sich über die halbe Seite erstreckt. Er dachte erst, dass die Wunde selber kleiner wäre und das meiste Blut sei, aber als er die Wunde säuberte, wurde er eines besseren belehrt.
Zum Glück eitert es nicht.
Er atmet tief durch, geht ins Bad, füllt eine Schüssel mit heißem Wasser und geht zurück ins Wohnzimmer. Mit einem Waschlappen tupft er vorsichtig erst den Rand und dann die Wunde ab. Zum Schluss verbindet er ihre Hüfte mit einem frischen Verband.
Wie hat sie das überlebt? Wie hat sie überhaupt die Wunde bekommen? Und diese Narben.
Die Narben sind ihm auch direkt aufgefallen. Sie sind über ihren ganzen Körper verteilt. Sehen aber nur nach Schnitten aus.
Noch nie hatte er solch vielen Wunden an nur einem Körper gesehen.
Wie auch? Ich habe ja auch noch nie einen echten Hybriden getroffen.
In der Küche stellt er einen Topf mit Wasser auf den Herd und schmeißt den blutigen Verband rein. Das ist schon der fünfte allein in den zwei Tagen.
In Gedanken starrt er in den Topf, in dem sich das Wasser blubbernd rot färbt. Er fragt sich immer noch, wie er dazu kommt, sie aufgenommen zu haben.
Doofe Gutmütigkeit!
Aber er kann eigentlich nichts dafür, schließlich hat er es von seinen Eltern. Und dem Umstand zu verdanken, dass er eben ein Mensch ist.
Nach 5 Minuten wechselt er das Wasser und macht das ganze nochmal. Während der Verband kocht, schleicht er nochmal zum Wohnzimmer und lugt durch die Tür. Sie liegt ruhig auf dem Sofa, wie die meiste Zeit.
Er reinigt den Verband fertig, hängt ihn auf und gesellt sich zu ihr. Da er sie nicht wecken will, liest er ein bisschen. Kann sich allerdings nicht konzentrieren und legt die Zeitschrift schon nach nur zwei Seiten wieder weg und schaut sie an.
Kaleihrah, was für ein interessanter Name. Woher sie ihn wohl hat? Ob sie auch einen zweiten hat, wie in den Geschichten?
„Wie lange willst du mich noch anstarren?", murmelt sie, ohne die Augen zu öffnen.
„Wahhh?", verlegen schaut er auf den Boden.
Sie hebt die Arme auf Kopfhöhe und reibt sich die Augen.
„Und wer bist du überhaupt?", fragt sie weiter, während sie sich hinsetzt.
Ihre Augen wandern erst durch den Raum und ruhen schließlich auf ihm.
„Ich...äh...also..."
„Wie heißt du?", augenrollend verschränkt sie die Arme.
„Äh...Myro.", antwortet er, nachdem er nochmal tief Luft geholt hat.
„Und wie lautet dein kompletter Name?", skeptisch mustert sie Myro weiter.
„Myro Ferngully."
„Nein, ich meine deinen kompletten Vornamen.", wieder verdreht sie die Augen.
„Äh...nur Myro. Was soll ich denn noch für einen Namen haben?", unbehaglich kratzt er sich am Arm.
„Nicht sowas wie Myrontia, Mythorik oder Mythirol?"
„Nein."
„Was bist du?", neugierig beugt sie sich näher zu mir.
„Äh...äh...ein..."
„Ein Hybrid kannst du nicht sein,", unterbricht sie ihn einfach, „es sei denn, du bist der Regierung nicht gemeldet. Ein Dämon nicht, du hast nicht diese gruseligen, schwarzen Augen."
Sie schüttelt sich am ganzen Leib. Offensichtlich hat sie Angst vor Dämonen...was nicht unbedingt überraschend ist.
„Also musst du ein Mensch sein!", triumphierend stützt sie die Hände in die Hüfte, zieht sie direkt ins Gesicht und ihre Augen weiten sich.
Wie schnell sich ihr Ausdruck ändern kann. Langsam rutscht sie von ihm weg, zum anderen Ende der Couch.
„Nein, nein, NEIIIN!", schreit sie durch ihre Hände.
„Ja, ich bin ein Mensch. Würdest du bitte nicht so rumschreien, ich hab keine Lust, dass meine Nachbarn die Regierung rufen.", versucht er sie zu beruhigen.
Er steht aus dem Sessel auf und setzt sich an das Ende der Couch, wo ihr Kissen liegt.
„Du...du hast sie nicht informiert?", ihre Hände sinken.
„Nein, ich musste mich um deine Wunde kümmern."
Plötzlich bleibt ihm die Luft weg. Händeringend versucht er, Kaleihrah aus der Umarmung loszubekommen. Diese merkt, was sie gerade da tut und rückt wieder zurück ans andere Ende.
„'Tschuldigung. Ja ich weiß, sei ruhig.", sie redet mit sich selbst.
Sie redet mit sich selbst? Nein, das wird ihre Dämonenseite sein, die mit ihr redet.
„Sooo, du bist also ein Hybrid."
Wie sollte er ein normales Gespräch auch sonst beginnen?
Dummes Hirn, natürlich ist sie ein Hybrid!
„Ja und du bist ein Mensch, ein MENSCH!", wieder schreit sie.
„Shhhh!"
„Hey, 'shhhh' mich nicht, Myro.", seinen Namen spricht sie mit soviel Abfälligkeit, wie sie nur kann.
„An meinem Name ist nichts falsch und es tut mir leid, dass ich ein Mensch bin, aber wenigstens bist du noch am Leben und nicht in dieser dreckigen Straße gestorben.", beim Reden steht er auf.
Wild die Arme fuchtelnd, macht er einen Schritt auf sie zu.
„Na und? Dann wäre ich eben in der Straße verreckt. Nur wegen deinem bescheuerten Menschenherz existiere ich noch.", auch sie steht auf.
Die Wolldecke fällt zu Boden. Ihre Augen flackern. Ihre Augenbrauen berühren fast ihre Augen und ihre kürzeren Haare vorne, fallen vor diese.
Erst jetzt fällt ihm auf, dass sie nur einen halben Kopf kleiner als er ist.
„Wieso ist dir das so egal?"
Als Antwort zieht sie ihren linken Handschuh aus und streckt mir ihren blanken Handrücken entgegen.
Über den kompletten Handrücken erstreckt sich ein Tattoo. 'Kaleihrah, nr. 20557443,' ist deutlich darauf zu erkennen. Darunter sind drei Zeichen, die er weder kennt noch entziffern kann. Alles ist mit schwarzer Tinte gestochen. Mit einem Rahmen drumherum und dem metallenen Look erkennt man das Siegel der Regierung.
„Trotzdem ist das doch kein Grund, den Tod herzuwünschen.", seine Stimme wird lauter.
„Ach nein? Du", sie tippt mit einem Finger auf seine Brust, „hast keine Ahnung, was ich durchgemacht hab, keine Ahnung, wie es ist..."
„Allein zusein? Niemanden zu kennen und Angst zu haben?", seine Stimme ist so laut, wie seit Jahren nicht mehr.
Sie denkt sie wäre die Einzige, die alleine ist? Die Einzige, die keine Freunde hat? Da kennt sie Myro nicht.
„Warum, solltest du die Einzige sein, die sowas fühlt?", erstaunt zuckt sie zurück und stolpert dabei fast über die Couch.
Er sieht ihren Gesichtsausdruck und atmet tief durch, bevor er sich direkt neben sie setzt.
„Es tut mir leid, ich hätte dich nicht anschreien sollen.", sie blickt ihn immernoch verwirrt an.
„Naja, wenn ich mir das Zimmer so ansehe, dann verstehe ich es. Aber wie meintest du das mit dem fühlen?", sie blickt sich im Raum um und dann wieder ihn an.
„Ich hab meine Eltern verloren."
„Sie sind tot?!", es klingt wie eine Feststellung.
„Nein, verloren.", wieso erzählt er ihr das?
Er schleißt die Augen. Vor seinem inneren Auge taucht ein Bild von seinen Eltern auf. Eng umschlungen und angsterfüllt. Sie knien auf dem Boden und sehen ihn an. Der Mund seiner Mutter bewegt sich zwar, aber er hört nichts. Eine Träne bildet sich im linken Auge seines Vaters, bevor sie über seine Wange rollt. Die Umgebung ist schwarz. Myro hasst dieses Bild. Aber es ist das einzige, an das er sich erinnert.
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Einmal Dämon, immer Dämon
FantasyBellendra. Eine Welt in der es Menschen, Dämonen und Hybride gibt. Jeder Mensch trägt einen Dämon in sich, bei manchen kommt er nie zum Vorschein, bei anderen übernimmt er die Kontrolle. Manchmal kommt es vor, dass Dämon und Mensch in einem Körper v...