1. Kapitel

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Reece Brown. Der Name hing wohl überall in der Schule, als ich diese betrat. Und ich wusste genau, um wen es sich handelte und warum so viele Zettel mit seinem Namen hier überall hingen. Ich wollte mich jedoch nicht hinter die Schlange stellen und Ewigkeiten warten, um mir die Vermisstenanzeige durchzulesen.

Auch wenn es für mich keinen Sinn mehr hatte zur Schule zu gehen, da ich meine Abschlussprüfungen bereits geschrieben hatte, quälte ich mich jedes Mal aus meinem geliebten Bett. Ich lief mit schnellen Schritten auf meinen Spind zu und erkannte das weiße DinA4 Blatt mit seinem Foto drauf daneben hängen. Ich studierte das Profil von ihm und stellte relativ schnell fest, dass das Bild schon älter sein musste. Die kurzen, glänzenden braunen Haare, die ich erkannte, trug er bereits viel länger. Lediglich die Seiten waren kurz rasiert. Zudem fehlte der leichte Bartschatten genauso wie sein Nasenpiercing. Aber die dunkelgrünen Augen strahlten genau den gleichen Scharm aus, wie sie es letzte Woche noch taten.

Ich hatte nicht viel mit Reece zu tun, denn ich versuchte ihm aus dem Weg zu gehen. Es lag vielleicht auch daran, dass er früher einige niveaulose Sprüche auf meine Kosten abgelassen hatte. Meine Akne war besser geworden, sodass irgendwann auch seine Kommentare weniger wurden. Doch das gehörte der Vergangenheit an. Mit einem leisen Seufzer nahm ich das Blatt in die Hand und überflog die Informationen.

Meine Eltern hatten mir schon erzählt, dass Reece Brown entführt worden war, doch ich zeigte mich anfangs relativ unbeeindruckt. Es war hart zu sagen, aber es war kein Wunder, dass ihm jemand etwas antun wollte. Reece war der Sohn des milliardenschweren Hotelkettenbesitzers Daniel Brown und früher ein großes Arschloch. Geld oder Rache. Meine Augen blieben an einem Teil der Vermisstenanzeige hängen. Daniel würde das Lösegeld nicht zahlen. Mir fiel nur ein Wort ein, welches die Familie am besten beschreiben konnte: Egoismus. Die Polizei hoffte jedoch noch auf die Unterstützung von Zeugen, denn sie konnten nicht einfach aufgeben und Reece sich selber überlassen. Er war zwischen Freitagabend und Samstagmorgen entführt worden und ich brauchte gar nicht lange überlegen, um mich daran zu erinnern, dass ich ihn noch gesehen hatte. Reece und ich waren Nachbarn, seit wir klein waren und redeten kein Wort mehr miteinander. »Bei Hinweisen melden Sie sich im Büro von Mr. Benson«, murmelte ich leise und schloss einen Moment meine Augen, ehe ich mir wirklich sicher war. Auch wenn ich Reece nicht ausstehen konnte, war er sicherlich nicht in erster Linie verantwortlich für seine Entführung. Als ich den Weg zu Mr. Benson Büro ansteuerte, fiel mir auf, dass ich so zumindest nicht die volle Mathematikveranstaltung besuchen musste.

Die Holztür erstreckte sich vor meinen Augen und ich hob zögerlich meine Hand, um leise anzuklopfen. Es dauerte keinen weiteren Moment, ehe man mich hineinbat. Zaghaft drückte ich die Klinke durch und schob die Tür auf, sodass ich den kleinen Raum betreten und mich drei Augenpaare aufmerksam mustern konnten. »Ich habe Reece am Freitagabend noch gesehen«, erklärte ich mich, als man nach dem Grund meines Erscheinens fragte. In der Mitte saß unser alter Direktor, wessen graue Haare in alle Richtungen abstanden, und mich mit einem freundlichen Lächeln bat, mich hinzusetzen. Zu seiner Rechten stand eine junge, braunhaarige Polizistin, die mich, genauso wie ihr Partner auf der linken Seite, aufmerksam musterte. Langsam ließ ich mich auf den grünen Polsterstuhl nieder und hoffte, dass ich überhaupt helfen konnte.

»Wann genau hast du ihn gesehen?«, fragte die Braunhaarige freundlich, doch man konnte ihr ansehen, dass sie die letzten Nächte nicht geschlafen hatte. »Ich wohne in Reece Nachbarschaft«, antwortete ich noch vorab und schob mir eine meiner blonden Strähnen hinter mein Ohr. »Als ich am Freitagabend vom Sport wiederkam, sah ich Reece mit einem weiteren Mann die Straße herunter gehen. Um ehrlich zu sein, hatte ich ihn zuvor noch nie gesehen.«, fügte ich schulterzuckend hinzu.

»Wenn du ihn sehen konntest, wie sah er aus?«, fragte mich der Polizist mit den blonden Locken und ich erkannte seinen überlegenden Ausdruck im Gesicht. »Er war relativ muskulös und groß. Hatte einige Tattoos an den Armen und wenn ich mich nicht irre auch am Hals. Zu dem Zeitpunkt hatte er glaube ich einen Drei-Tage-Bart und seine langen Haare schauten unter seiner Mütze hervor«, begann ich zögerlich, doch es war schon dunkel und die beiden männlichen Personen liefen auf der anderen Straßenseite. »War es einer von den Männern«", unterbrach mich die Polizistin und legte danach drei Bilder vor mir auf den Tisch. Meine Augen huschten über die unterschiedlichen Profile und blieben automatisch an einem Mann hängen. »Ich bin mir zu neunzig Prozent sicher, dass er es war!«, erklärte ich ihnen und zeigte zusätzlich auf das linke Bild. Die beiden Beamten tauschten einen undefinierbaren Blick aus, doch das störte mich nicht. Vielmehr erinnerte ich mich daran, wie Reece mir ins Gesicht sah, doch auch im Nachhinein konnte ich keine Angst in seiner Mimik erkennen. »Ich würde gerne etwas mit dir ausprobieren«, vernahm ich die ruhige Stimme des Blondhaarigen, weshalb ich meine Gedanken abschüttelte. Neugierig sah ich zu ihm auf und wartete darauf, dass er mir erklärte, was dieses etwas war. »Es ist eine Technik, damit du dich in die Situation zurückversetzt und dich an mehr Details erinnern kannst«, erklärte er mir und ging langsam um den langen Schreibtisch herum, um neben mir stehen zu bleiben.

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