33. Kapitel

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Meine Augen waren schwer als ich sie das nächste Mal öffnete, denn ich hatte nicht viel geschlafen.

Reece und ich waren selber ja erst spät wieder aus dem Krankenhaus zurück und bis wir im Bett gelegen hatten und zur Ruhe gekommen waren, hatte es zusätzlich noch einmal gedauert. Ich war schließlich eingeschlafen, weil ich dem gleichmäßigen Atem von Reece gelauscht und er mir mit seiner Hand immer wieder behutsam über meinen Rücken gestreichelt hatte.

Ich fing an mich sachte zu bewegen, damit ich mich unbemerkt aus Reece Armen befreien konnte, doch schon nach meinem ersten Versuch rührte er sich unter mir und brummelte leise vor sich hin.

»Lass uns doch einfach weiter schlafen«, murmelte er und verfestigte seinen Griff.

Ich zog die Stirn kraus und erinnerte mich daran, dass Freitag war und wir eigentlich beide Kurse hatten.

»Wieso? Wie spät haben wir es denn?«, entgegnete ich verwirrt und befreite mich doch aus seinen Armen, um auf die Uhr schauen zu können.

»Weiß nicht, eben war es kurz nach sieben...oder so...«, antwortete er mir, während ich nach seinem Wecker suchte.

»Und warum hast du mich nicht geweckt? Wir müssen doch zu unseren Kursen?!«, rief ich aus und krabbelte aus dem Bett.

»Aber es ist doch eh alles gelaufen und ich dachte, dass du vielleicht lieber zu Hause bleiben möchtest«, erwiderte er am Ende vorsichtig, weshalb ich in meiner Bewegung innehielt und ihn mir ansah.

Sein verschlafener Blick lag auf mir und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nichts mit mir gemacht hätte.

Denn nicht nur sein Blick brachte mein Herz aus dem Takt, sondern auch seine Haare, die nicht gemacht waren und in alle Richtungen standen, und sein nicht vorhandenes Schlafshirt.

Ich brauchte einige Momente, bis ich ihm antwortete: »Talia macht sich sonst Sorgen, da ich ihr gestern nicht mehr geschrieben hatte«.

Es war nicht ganz gelogen, denn Talia wusste ja von nichts, aber eigentlich wollte ich nur Ablenkung, die ich durch etwas Arbeit erhofft hatte.

Ich hörte wie Reece etwas grummelte und wieder zurück in die Kissen fiel.

»Ich geh rüber und mache mich schnell fertig, kommst du mit oder muss ich mit Fahrrad fahren?«, sah ich ihn fragend und flehend an, denn er wusste, dass ich kein Fahrrad fahren konnte.

»Klar, weil du ja momentan so gut Fahrrad fahren kannst«, antwortete er mir gleich und verdrehte gleichzeitig die Augen.

Doch meine Hundeaugen schienen geholfen zu haben, denn er drehte sich nun vollends von mir weg und stieg aus dem Bett.

»Ich hol dir deine Krücke, sonst kommst du nicht einmal mehr nach Hause«, murmelte er verschlafen und ich bekam jetzt doch ein schlechtes Gewissen. Reece fuhr mich ständig wohin und tat momentan alles, damit ich nicht eingeschränkt leben musste.

Als er wiederkam und mir meine Gehhilfe hinhielt, nahm ich sie vorsichtig an und murmelte ein leises »Danke«.

Er sah an mir herunter und ich bemerkte erst in dem Moment, dass ich noch seine Sachen trug.

Langsam schaute ich wieder auf und sah in seine funkelnd grünen Augen, die mir so viel Geborgenheit schenkten.

»Lass sie an, wenn du damit laufen kannst, ohne zu fallen«.

»Das müsste gehen. Danke. Ich gib sie dir auch wieder, versprochen«, lächelte ich leicht und griff danach nach meinen Sachen von gestern. Ich sah ihm wieder entgegen und es entstand eine merkwürdige Stille, die ich gerade irgendwie nicht als angenehm empfand.

Doch sie sollte nicht zerbrechen, stattdessen führte er mich durch die langen Flure, half mir bei der schmalen Treppe hinunter und öffnete mir die Haustür.

»Ich warte dann gleich am Auto«, entgegnete er nur und gähnte lange.

Ich schenkte ihm noch ein leichtes Lächeln, was er zum Glück erwiderte und ging schließlich die Einfahrt langsam entlang, denn seine Hose war mir viel zu groß und auch wenn ich es nicht zugab, hatte ich auch noch wahnsinnige Schmerzen.

Der Arzt im Krankenhaus hatte mir Schmerztabletten verschrieben, aber ich hatte das Gefühl, dass diese nicht halfen, weshalb ich einfach ein bisschen mehr nahm, als er mir empfohlen hatte.

Ich musste bald wieder zum Arzt, damit dieser die Fäden ziehen und die Naht kontrollieren konnte.

Ich wusste, dass Mama und Papa schon arbeiten waren, denn sie konnten wahrscheinlich nicht von jetzt auf gleich frei bekommen und da heute Freitag war, war das Wochenende auch nicht mehr weit.

Dies mussten wir auch nutzen, um füreinander da zu sein und so schwer mir der Gedanken auch fiel, brauchten wir die Zeit auch, um die Beerdigung zu planen.

Mein erster Weg ging in die Küche, damit ich schnell zwei Tabletten nehmen konnte. Ich erinnerte mich daran, wie Mama mir immer befohlen hatte, vor der ersten Pille zu essen, doch dafür hatte ich keine Zeit.

Wir hatten es schon reichlich spät und ich wollte eigentlich noch duschen, was mir jedoch schließlich als keine gute Idee vorkam, denn ich hätte erst meinen Verband wasserfest verschließen müssen und das hätte wahrscheinlich doch sehr lange gedauert.

Oben im Badezimmer zog ich nur sehr ungern seine gut riechenden Klamotten aus, bevor ich mich jedoch schnell mit einem Waschlappen wusch. Ich ging mir schließlich noch durch die Haare und versuchte ihr Aussehen mit etwas Trockenshampoo zu verbessern, ehe ich mir einen hohen Zopf band. Es war definitiv nicht mein bester Look, doch ich glaubte, dass ich besser aussah als ich mich fühlte.

Fast vergaß ich mir meine Zähne zu putzen, was mir im Laufe des Tages doch unangenehm geworden wäre und als ich zu meiner Zahnbürste griff, fragte ich mich, warum ich mir diesen Stress wirklich antat.

Natürlich hoffte ich auf Ablenkung und war froh, wenn ich meine beste Freundin gleich sah, aber gleichzeitig verlangte ich eine Menge von Reece und es ärgerte mich, dass ich mich so auf ihn verließ.

Ich schaute gar nicht richtig in meinen Kleiderschrank, sondern zog einfach das an, was noch hinter meiner Tür hing. Ich hatte es irgendwann mal an, als ich bei meiner Oma fürs Familienessen war und hatte es danach nicht mehr angezogen.

Jetzt ein Kleid anzuziehen, war für mich sogar die bequemste Lösung, denn so musste ich zusätzlich nur eine Strumpfhose anziehen und mich nicht in eine enge Jeans quälen.

Zumal ich immer noch den Verband um meinen Unterschenkel trug und es harte Arbeit erforderte, darüber noch eine enge Jeans zu ziehen.

Tatsächlich trug ich aus dem Grund, sogar ganz gerne Kleider, doch in der letzten Zeit eher weniger, denn meist fuhr ich nach dem College direkt zum Haus oder zum Training, somit lief ich überwiegend in Joggingsachen herum.

Als ich meine Armbanduhr umlegte, bemerkte ich wie spät es war und wurde hektisch. Ich hatte mir viel zu viel Zeit gelassen und wir mussten noch zum Campus fahren, weshalb ich schnell die Treppe herunter humpelte.

»Entschuldige, wartest du schon lange?«, rief ich herüber, als ich im Türrahmen stand. Reece wartete bereits auf der anderen Straßenseite an seinem Auto und tippte auf seinem Handy herum.

Erst als er mich hörte, schaute er herauf und sah zu mir herüber.

Ich glaubte, dass ich selbst aus dieser Entfernung seine Augenfarbe erkennen konnte, doch wusste, dass es Blödsinn war.

»Los beeil dich, sonst hat sich der Stress nicht gelohnt«, rief er grimmig zurück und überging damit meine Frage, doch sein Lächeln konnte er einfach nicht verstecken.

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