35. Kapitel

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Die Tage, die Stunden, die Minuten, sogar die Sekunden vergingen in einem Moment quälend langsam, im anderem zu schnell. Wie sollte ich das je ertragen? Ich konnte weder meinen Eltern noch meiner Oma, geschweige denn dem Rest meiner Familie in die Augen sehen. Ich hätte gerne nur einen einzigen Tag, um mich von Caden zu verabschieden.

Mir wäre es sogar recht, wenn ich ihm nur ein einziges Mal sagen könnte, dass ich ihn liebe.

Ich fühlte mich gefangen. Hatte nicht mehr geduscht, denn meine Familie traf sich bei uns, um die Beerdigung zu planen und damit musste ich nicht mehr aus dem Haus. Ich war körperlich anwesend, aber sicherlich nicht geistig. Konnte am Ende des Tages nur sagen, welche Themen wir bezüglich der Beerdigung besprochen hatten, aber konnte nicht sagen, ob und für was wir uns entschieden hatten.

Jeder musste damit kämpfen, dass wir den kleinsten, den jüngsten der Familie verloren hatten. Er würde auf keinem Geburtstag mehr erscheinen, kein Feiertag mehr mit uns feiern können und auf keinem Familienbild mehr erscheinen. Er war immer Teil unseres Herzens, aber nicht mehr unseres Lebens und das wollte und konnte ich nicht akzeptieren.

Ich vernahm meine quietschende Tür und erinnerte mich daran wie ich Caden immer genervt berichtet hatte, dass Papa es nicht auf die Reihe bekam, irgendetwas zu reparieren. Dabei bräuchte Papa die Tür nur vielleicht etwas ölen.

Ich schaute nicht auf, denn ich hatte die Kraft nicht. Ich war müde, gerädert und entkräftet.

»Bist du schon wach?«, vernahm ich die leise Stimme meiner Mutter, die zaghaft und vorsichtig klang. Die letzte Nacht war schlimmer als die zwei davor. Ich habe kaum geschlafen, stattdessen habe ich alle Bilder von Caden und mir herausgesucht.

Ich habe jedes gemalte Bild, welches er mir geschenkt hatte, analysiert.

»Wir wollen jetzt gleich zu Mittag essen. Vielleicht hast du auch Hunger«, begann sie wieder als sie meine offenen Augen bemerkte.

Jedoch starrte ich nur auf den einen schwarzen Fleck an meiner Wand an. Dieser Fleck musste entstanden sein, als ich vom Stuhl gefallen war. Möglicherweise war genau dieser in die Wand gerollt, als ich bereits im Sturzflug zu Boden ging.

»Die anderen sind auch da. Oma würde es gut tun, wenn sie ihr Enkelkind zu Gesicht bekommt«

Aber war das die gleiche Höhe, wie von meinem Schreibtischstuhl? Ich glaubte, dass das unterschiedliche Höhen waren. Aber er war vorher noch nicht da und wo sollte er sonst herkommen?

Dass Caden und ich ihre einzigen Enkelkinder waren, versuchte ich zu ignorieren. Wie schwer musste das also gerade ihr fallen. Den eigenen Sohn, das eigene Enkelkind. Ich wäre normalerweise mit hinunter gegangen, aber ich traute mich nicht so unter die Augen von ihnen.

Mama musste wieder verschwunden sein, denn als ich mich aufraffte, war sie verschwunden und die Tür verschlossen.

Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen und blieb so sitzen, bis es wieder klopfte.

Mein Rücken tat bereits weh, doch ich konnte mich nicht bewegen, weshalb ich auch jetzt wieder so sitzen blieb. Ich glaubte, dass nun auch Papa sein Glück versuchte, denn ich hatte auch nicht gefrühstückt, geschweige denn am Vortag zu Abend gegessen.

»Willst du nicht aufschauen? Ich könnte jemand sein, der dich überfallen will?«

Mein Herz rutschte mir in die Hose und begann dann dort viel schneller, viel schmerzhafter weiter zu schlagen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er bei mir auftauchen würde. Ich wollte ihn darauf ansprechen, dass er die gleichen Parallelen zu ihm nahm, doch ich hatte keine Kraft. Ich wollte mich nicht einmal anders bewegen, zumal ich mich schämte, dass Reece mich so zu Gesicht bekam.

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