Ich hastete mit meinen beiden Taschen die Treppen vor unserer Haustür herunter und vernahm die schweren Schritte von Reece direkt hinter mir. Ich war froh, dass Mama ihn so schnell wieder aus ihren Fittichen gegeben hatte, denn sonst wäre ich immer noch nicht auf den Weg zur Sporthalle gewesen. Mein Blick ging noch einmal zurück zu meiner Mutter, die winkend im Türrahmen stand, mir viel Glück bei meinem Wettbewerb wünschte und mich bat, Felix ebenfalls schöne Grüße auszurichten. Während Reece an mir vorbei ging, nahm er mir meinen vollen Rucksack ab und berührte dabei nur ganz leicht meine Hand. Wahrscheinlich auch eher unbeabsichtigt, doch wie automatisch wanderten meine Augen hinauf zu seinen, die ruhig auf mir lagen. Es war ein sehr merkwürdiger Moment, zumal Mama immer noch auf uns hinabsah und ich mich erst seit dem Vortag mit ihm unterhalten konnte. Ich wusste auch nicht, wie ich unseren plötzlichen Kontakt ein zuordnen hatte. Reece wurde entführt und ich konnte nichts gegen die Gefühle des Mitleids machen, denn er hatte mir seinen inneren Kampf teils gezeigt und das reichte mir. Doch ich wusste einfach nicht, ob sich zwischen uns auch Freundschaft entwickeln konnte, denn so wie ich ihn eingeschätzt hatte, waren wir sehr verschieden. Ich ließ die Schlaufe meines Rucksacks los, sodass Reece ihn hinten im Kofferraum verstauen und ich weiter meinen Gedanken nachgehen konnte.
Konnte ich überhaupt mit ihm zusammenarbeiten, wenn ich ihm nur Mitleid gegenüberbringen konnte? Ich konnte mir unsere Zusammenarbeit einfach schlecht vorstellen. Das war der Hauptgrund, warum ich nicht sofort zugesagt hatte. Denn sein Projekt übertraf voll und ganz meinen Leidenschaften. Doch wie sollte das funktionieren, wenn man nicht miteinander arbeiten konnte?
Ich stieg zügig auf der Beifahrerseite ein, winkte Mama vorher noch einmal flüchtig zu und hoffte, dass Reece sich ebenfalls schnell ins Auto begab. Dies tat er schließlich, wahrscheinlich auch, weil er gemerkt hatte, dass ich es wirklich eilig hatte. Kurz nachdem er saß, startete er seinen Wagen und lenkte ihn bereits in Richtung der Hauptstraße.
»Also wo muss ich dich hinbringen?«, fragte er mich und mir wurde wieder bewusst, dass ich jemanden neben mir sitzen hatte, der mich nicht so gut kannte, wie meine anderen Freunde. Ich überlegte kurz und antwortete schließlich: »Neben dem Soccer-Stadion ist ein kleines Tanzstudio«. Er lächelte leicht als er in die nächste Straße bog und kurz nickte, um mir zu verstehen zu geben, dass er verstanden hatte. Mein Blick glitt nach einem Moment wieder nach draußen auf die vorbeiziehenden Bäume. Der Sommer stand so gut wie vor der Tür, weshalb jeder Baum verschiedene Grüntöne zum Vorschein brachte. Ich mochte die Jahreszeit, denn es war noch nicht zu warm, um zu trainieren und generell, um herauszugehen. Natürlich genoss ich auch die wirklich warmen Tage, aber ich konnte sie nicht länger als zwei Wochen am Stück aushalten.
Die Stille im Auto wurde mir irgendwann zu drückend, weshalb ich Reece die erst beste Frage stellte, die mir einfiel. »Wie geht's dir mittlerweile?«, fragte ich ihn leise, um die Stille nicht zu plötzlich zu durchbrechen. Manchmal war ihm anzumerken, dass ihm die Entführung sehr zu schaffen machte. Ich erkannte, wie sehr er sich verspannte und seine Finger krampfhaft in das harte Leder seines Lenkrades drückte. Er riskierte keinen Blick auf mich sondern versuchte mit den Augen auf der Straße zu bleiben.
»Gut«, antwortete er nach einigen langen Sekunden durch zusammengebissene Zähne. Ich seufzte kurz, ehe ich eine leise Entschuldigung murmelte. Reece war mir keine Rechenschaft schuldig, also hätte ich nicht erwarten brauchen, dass er mir darauf ehrlich antwortete.
Die Fahrt dauerte nicht mehr allzu lange. Er warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er stillschweigend ausstieg und meinen Rucksack aus dem hinteren Teil des Autos holte.
Als ich mir meine Sporttasche vom Rücksitz nahm, hörte ich bereits, wie die quietschende Flügeltür des Tanzstudios aufging. Schuldig drehte ich mich um und sah direkt zu Felix, der wütend auf mich zukam.
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guardian angel I
RomanceReece Brown, Sohn des milliardenschweren Hotelkettenbesitzers Daniel Brown, hatte es in seinem Leben wohl oft nicht leicht. Es ist nicht immer ein Segen mit Popularität und Geld konfrontiert zu werden. Das muss auch Reece am eigenen Leib erleben. Es...