29. Kapitel

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Reece

Emma zitterte am ganzen Körper, obwohl sie nach ihrem Zusammenbruch ganz still wurde. Ihre Mutter hatte mir nur ganz kurz erklärt, was passiert war und bat mich, ihre Tochter ins Krankenhaus zu bringen. Ich hatte keine Ahnung, wie alt ihr Cousin war, weshalb er im Krankenhaus gelegen hatte und warum er jetzt verstorben war. . So war sie damals schon gewesen und ließ sich von anderen und wahrscheinlich am Meisten von mir nicht aus der Bahn werfen. Dafür hatte ich sie schon immer bewundert. Ich war mit Sicherheit genauso überfordert wie sie, denn ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, um sie von ihren inneren Dämonen zu befreien. Auf dem Weg zum Auto griff sie selbstverständlich nach meiner Hand, welche sie so stark umklammerte. Ich konnte nichts sagen und drückte einfach nur leicht zu, damit sie wusste, dass ich für sie da war. Die Autotür öffnete ich ihr selbstverständlich und half ihr, sich hinein zu setzen, denn ich hatte das Gefühl, als hielt ich flüssiges Gold in meinen Händen und musste aufpassen, dass alles zusammen blieb. Selbst im Auto suchte Emma still nach meiner Nähe, denn sie bewegte sich immer unruhiger auf ihrem Sitz und starrte nur stumm nach draußen, bis ich meine Hand auf ihre legte. Ihre kalten Hände ruhten in ihrem Schoß und umklammerten blitzschnell meinen Annäherungsversuch. Meine Augen huschten immer wieder zwischen dem Straßenverkehr und der Schönheit neben mir, welche so in ihrer eigenen Welt gefangen war. Am liebsten hätte ich sie zum Lachen gebracht, doch ich konnte nicht, denn ich wusste, dass dieser Moment miserabel war. Emma hatte eben noch so glücklich auf der Treppe gesessen und wunderbare Bilder an die Wand gemalt. Ich beneidete sie für ihre kreative Ader, die sie überall ausleben konnte und für ihre positive Lebensart. Und jetzt saß sie neben mir und war am Boden zerstört. Gerade als ich auf den Parkplatz fuhr, spürte ich, wie sie ihre ganzen Emotionen in der Kraft ihrer Hände ausdrückte. Die ganze Fahrt über war ich froh gewesen, dass ich mich damals nicht für ein Schaltwagen entschieden hatte, denn ansonsten hätte ich nicht ihre kleinen Hände halten können. Ich stand noch nicht einmal auf dem Parkplatz in der Nähe des Eingangs, da sah ich Emmas Eltern mit einer älteren Frau auf dem Bürgersteig laufen und nicht nur ich hatte sie gesehen, denn Emma ließ meine Hände los und öffnete trotz meines rollenden Autos die Autotür und sprang hinaus. Ich rief ihr hinterher, konnte noch schnell genug auf die Bremse treten, doch sie rannte bereits zu ihrer Mutter, die sie mit geöffneten Armen erwartete. Ich erkannte die Tränenspuren auf allen Gesichtern und mir war bewusst, dass ich hier falsch war, dass ich nicht mit ihnen trauern konnte. Emma musste wahnsinnige Schmerzen leiden - nicht nur seelisch, sondern auch körperlich, denn sie war selber nicht einmal mehr eine Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden und rannte bereits jetzt schon wieder, als wäre nichts passiert.

Langsam lehnte ich mich herüber und schloss die Beifahrertür, damit ich vollends einparken konnte. Irgendwie bedrückt und mit dem Gefühl fehl am Platz zu sein, stieg ich aus und nahm mir Emmas Krücke, damit sie nicht die ganze Zeit ihre Schmerzen aushalten musste.

Zu sehen, wie ihre Mutter sie in den Armen hielt, erinnerte mich daran, dass ich gerne in einer solchen Familie aufgewachsen wäre. Einen Zusammenhalt, wie ich ihn gerade erlebte, habe ich selber kaum erfahren und in dieser Hinsicht nähere ich mich meiner Mutter auch eher an. Doch mir war bewusst, dass es uns sehr schwer fiel, da sie nicht gerade nebenan wohnte und wir uns in einer sehr verkorksten Lage befanden. Ich glaubte, mein Vater hatte mir sämtliches Glück und eine Chance auf ein normales Leben verdorben. Ich blieb an meinem Auto stehen und beobachtete beschämt die vor mir trauernde Familie. Doch eigentlich war ich eher in meiner Gedankenwelt, denn ich stellte mir vor, wie sich mein Charakter entwickelt hätte, wenn ich bei solch einer Familie gelebt hätte. Ich wurde aus dieser Welt gerissen, als ich bemerkte, dass sich vor mir etwas bewegte. Emma kam mit gesenktem Kopf langsam auf mich zu, wischte sich grob die Tränen aus dem Gesicht und blieb schließlich vor mir stehen.

Der Rest ihrer Familie schien bereits hinter den Türen des Krankenhauses verschwunden zu sein, denn ich konnte sie nirgends entdecken.

Meine Augen konzentrierten sich gerade wieder auf ihre Gestalt, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Oberkörper schloss und ihren Körper ganz nah an meinen drückte.

guardian angel IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt