17. Kapitel

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»Wir sind bereit für morgen und es gibt kaum noch etwas, das uns aufhalten könnte!«, verkündete Felix stolz, als wir uns das Video ansahen, welches uns kurz vorher in unserer Choreo zeigte. Es war der Wahnsinn, uns so zu sehen. Wenn wir tanzten, waren wir nicht mehr Teil dieser Welt. Fee und ich bauten uns unsere eigene Welt auf, in der wir alle unsere Sorgen vergessen konnten.

»Wir sind wirklich gut und so etwas habe ich selbst bei den anderen noch nicht gesehen!«, murmelte ich schließlich zustimmend, weshalb er mich stürmisch von der Seite umarmte. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, mich in seiner Gesellschaft heißen zu dürfen.

»Ich bin so froh, dass wir das hier zusammen rocken!«, erklärte er mir, weshalb ich lachte, denn es war ungefähr genau der Gedanke, der sich gerade in meinen Kopf geschlichen hatte.

»Wir haben morgen noch genug Zeit, um sentimental zu werden, spätestens wenn wir den Pokal in den Händen halten!«, schob ich hinterher und es war eine der wenigen Momente, in denen ich nicht an uns zweifelte. Ich hatte das Gewissen, das es kaum etwas gab, welches uns vom Gewinnen abhalten konnte. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass wir die ersten Durchgänge wirklich flott hinter uns gebracht hatten, weshalb wir es noch relativ früh hatten.

»Arbeiten wir jetzt an unsere Ausstrahlung, damit das für morgen auch sitzt und dann können wir in vierundzwanzig Stunden sorgenlos im Zug sitzen!«, begann ich schließlich, weshalb mich mein bester Freund los ließ und sich mit seinem Gesicht wieder dem Spiegel zu wandte. »Ein letztes Mal«, dachte ich mir und atmete geräuschvoll aus. Es war nicht schwierig, den Ausdruck zu perfektionieren, wenn man sich die Situation verinnerlichte. Und Felix und ich hatten bereits Übung darin, wenn man bedachte, dass wir bereits einige Wettbewerbe hinter uns hatten. Auch die Weltmeisterschaft, aber damals waren wir noch nicht so weit entwickelt wie jetzt und ich wiederholte mich in dem Punkt ganz gerne: dieses Mal schaffen wir das ganz sicher! Ich ging in meine Anfangsposition und wartete bis die Musik einsetzte und ich seine warmen Hände an meinen Beinen spürte. Kurz nach der ersten Ausführung konnte ich mir im Spiegel wieder in die Augen schauen und ich bemühte mich meinem Ausdruck der Musik anzupassen.

»Willst du gar nicht hier duschen?«, fragte mich Fee erstaunt, als ich mit meinem kleinen Handtuch um meinen Hals samt Taschen zurück in den Tanzsaal kam. Ich schüttelte leicht den Kopf und rief mir ins Gedächtnis, dass ich in letzter Zeit nur noch mit ihm getanzt hatte und wir uns im privaten nie wirklich ausgetauscht hatten.

Es fiel mir erst sehr spät auf, dass ich meine Freundschaften schleifen ließ, weil ich so viel zu tun hatte. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir die Zeit noch zurück wünschen würde.

»Reece hat mich heute Abend zum Essen eingeladen, daher wollte ich zuhause duschen!«, erklärte ich ihm schließlich, weshalb er mich verwirrt musterte.

»Es wird Zeit, dass wir wieder was unternehmen, damit ich dich nicht nur hier sehe und endlich mal wieder etwas aus deinem Leben erfahre!«, schob er hinterher, was mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte.

»Auf jeden Fall! Momentan fühle ich mich, als müsste ich nur funktionieren!«. Erschöpft schob ich eine meiner schweißnassen Haarsträhnen hinter mein Ohr und fuhr mir abermals mit meinem Handtuch durchs Gesicht.

»Ich wollte mit Talia noch einmal ausgelassen feiern gehen, bevor sie das Ausland erkundet. Komm doch mit, dass würde doch bestimmt Spaß machen!«, verkündete ich ihm, woraufhin auch er sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. »Das könnte mit euch beiden definitiv lustig werden. Schreib mir, wann und wo und ich werde da sein«, erwiderte er, »Aber vielleicht fangen wir nächste Woche mit einem Sieger-Abendessen an!«.

Daraufhin nahm er sich seine Tasche und ging mit mir zum Ausgang.

»Und jetzt sag mir mal, was zwischen dir und Mister Mein-Vater-ist-steinreichpassiert ist«, wollte Felix schließlich von mir wissen und lenkte das Gespräch auf meine vorherige Aussage. Dass er Reece dabei auf seinen Vater reduzierte, passte mir nicht ganz. Denn ich erkannte mittlerweile, dass Reece so viel mehr verdiente. Reece Vater war zwar super reich, aber sie hatten keine typische Vater-Sohn-Beziehung und soweit ich das mitbekam, verband sie eigentlich gar nichts, bis auf ihr Blut und der Nachname. »Nenn ihn nicht so«, erwiderte ich und sah ihm flehend entgegen. Als sich auf seinem Gesichtsausdruck nichts änderte, beantwortete ich seufzend seine Frage: »Wir arbeiten zusammen und er hat mich heute zum Essen eingeladen«. Ich spürte, wie er mir seinen Ellbogen leicht in die Seite stupste. »Ein Date, also?«, fragte er nach und ich zuckte als Antwort mit meinen Schultern. Ich wusste es ja wirklich nicht, denn ich konnte Reece Absichten schlecht einschätzen. Ich wollte mich ihm nähern und ich wollte wissen, was bei ihm im Inneren los ist; wollte, dass es ihm gut ging. Und ich wollte diesem Kribbeln nachgehen; wissen, was daraus werden könnte.

»Na dann, wünsche ich der Dame heute einen charmanten Abend!«, grinste mein bester Freund und zog mich noch einmal an seine Brust, um mir einen liebgemeinten Kuss auf die Stirn zu setzen. Ich genoss seine Aufmerksamkeit und schloss entspannt meine Augen. Seine Nähe wollte ich nie missen und ich wusste, dass es ihm ähnlich ging. Wir waren immer schon irgendwie passende Gegenstücke gewesen.

»Danke, den wünsche ich dir auch«, erwiderte ich und löste mich aus seiner Umarmung. Ich befestigte meine Sporttasche auf meinem Gepäckträger, als ich ihn wieder reden hörte.

»Wir sehen uns morgen in aller Frische und denk dran, dass du heute vielleicht nicht deine gesamte Ausdauer auf die Probe stellen solltest«, zwinkerte er mir zu und es dauerte ein wenig, bis in den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte.

»FEE!«, rief ich aus und sah ihn anklagend an, woraufhin er nur lachte und sich mit einem kurzen Winken von mir verabschiedete.

Als ich auf mein Fahrrad schwang und los fuhr, zogen die Straßen nur so an mir vorbei; meine Augen nahm die parkenden Autos am Rand zwar wahr, doch ihre Farben verschwammen im Inneren meines Augenwinkels. Ich beeilte mich; wollte nicht, dass es noch später wurde. Den Abend konnte ich sowieso kaum noch abwarten.

Mein Gehirn hatte sich bereits alle Möglichkeiten über den bevorstehenden Abend zurechtgelegt, sodass es schwierig war, einen neutralen Gedanken zu fassen. Ich war aufgrund des Trainings nicht ganz ausgepowert, doch als ich zuhause ankam, war ich definitiv aus der Puste und hatte eine Dusche dringend nötig. Mein Fahrrad stellte ich an seinen gewohnten Platz und bevor ich die Haustür aufschloss, drehte ich mich aus Reflex um, damit ich das Haus der Browns betrachten konnte.

Das Licht brannte in der unteren Etage, ich konnte dem Raum dahinter aber keinen Namen nennen, da ich nicht oft bei ihnen zu Hause war. Die obere Etage war dunkel, nur das Licht von unten erhellte ein wenig die Fenster. Bis auf das von Reece. Seines lag versteckt hinter den Rollladen - schon seit einigen Tagen. Um genau zu sein, verschlossen sie mir seit seiner Entführung den Blick in Reece Zimmer.

Ich hoffte, dass er irgendwann seine Jalousie wieder hochzog und mir damit den Blick ins Innere gewährte.

Ich wandte meinen Blick ab, überrascht über meine eigenen Gedanken, und ging schnellen Schrittes durch die Tür, sprintete die Treppe hinauf und warf achtlos meine Sporttasche auf mein Bett.

Da ich kein Auto in der Einfahrt gesehen hatte, schaltete ich mit einem Knopfdruck meine Musikbox ein, die sofort Töne von sich gab. Ich bewegte mich im Takt der Musik zu meinem Kleiderschrank und war mir nicht bewusst, dass ich anfing zu lächeln.

Meine Finger flogen über die verschiedenen Stoffe und ich schaute kurz aus dem Fenster. Eine merkwürdige Angewohnheit, denn obwohl ich bis gerade noch draußen war, schaute ich hinaus, um das Wetter zu checken. Ich wollte mich nicht zu schick machen, denn ich wusste nicht, wie Reece gekleidet war. Ich entschied mich für meine schwarze Jeans, die einen hohen Anteil an Stretch besaß, damit ich auch einiges essen konnte. Da ich mich jedoch für kein Oberteil entscheiden konnte, nahm ich mir nur meine Unterwäsche aus meiner Kommode und verschwand mit tanzenden Bewegungen im Badezimmer, um endlich duschen gehen zu können. Meine dreckigen Sportsachen schmiss ich den Wäschetunnel herunter und stieg im nächsten Moment unter die warmen, entspannenden Wasserstrahlen. Ich entspannte mich nach und nach, sang die Lieder mit, die meine Box im Hintergrund spielte und versuchte, meine Gedanken über Reece und mich zu verdrängen. Es war einfach eine merkwürdige Situation, die ich noch zu verstehen versuchte. Viel zu schnell musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich die Dusche nicht länger genießen konnte, da ich wusste, dass er wahrscheinlich schon nebenan wartete. Ich band mir ein Handtuch um meine nassen Haare, damit ich auch den Rest meines Körpers abtrocknen und anschließend in meine Sachen schlüpfen konnte. Ich hüpfte gut gelaunt hinüber in mein Zimmer, um mir meine Bürste zu schnappen und mir die Haare zu kämmen. Summend ging ich wieder zurück und kam mir etwas bescheuert vor, da ich gefühlt nicht still stehen konnte und ich musste ehrlich sein, dass es der Wahrheit entsprach. Ich war viel zu nervös und obwohl ich meine Nervosität kannte, war diese anders. Da es draußen relativ warm war und ich meine Naturlocken seit kürzester Zeit wieder mochte, entschloss ich mich spontan dazu, sie nur etwas trocken zu föhnen und sie nachher an der Luft weiter trocknen zu lassen.

Ich brauchte nicht lange, bis ich schließlich wieder vor meinem Schrank stand und mir ein lockeres olivgrünes Shirt überwarf. Da es ja schließlich warm war, ich jedoch nicht wusste, wie die Browns ihre Zimmertemperatur am liebsten hatten, zog ich noch meinen grauen Cardigan aus dem Schrank und legte sie mir über den Arm. Ich war fertig; bereit für den Abend. 

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