4. Kapitel

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Ich bemerkte gar nicht, wo wir hinfuhren, denn ich starrte entweder nach draußen oder auf die Hand von Reece, welche beinahe verkrampft auf dem Schaltknauf lag. Ich sog jedes Detail der großen männlichen Hand auf und realisierte erst sehr spät, dass es sich bei den Striemen an seinem Handgelenk um eine frische Verletzung handeln musste. Ich war mir fast schon sicher, dass die rötlichen Kratzer von Handschellen kamen, doch es wäre nicht richtig gewesen, wenn ich ihn danach gefragt hätte. Zumal ich ihn nicht an seine Entführung erinnern wollte. »Was willst du mir eigentlich zeigen?«, fragte ich ihn irgendwann, denn eigentlich hätte ich schon längst gedehnt sein sollen. Naja, und ich wusste noch nicht so recht, wie ich meinen besten Freund milde stimmen sollte. »Warst du schon immer so ungeduldig?«, stellte er mir die direkte Gegenfrage, woraufhin ich mit meinen Schultern zuckte. »Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit!», erwiderte ich grinsend, woraufhin er mir einen kurzen Blick zuwarf. »Wir sind sofort da!«, antwortete er schließlich indirekt auf meine erste Frage, was meine Neugier natürlich nicht stillte. Er musste sich erst vergewissern, dass er mir trauen konnte. Und dies ließ mich zu einem Entschluss kommen, dass es ihm sehr wichtig sein musste und es nicht jedem anvertrauen konnte. Ich kaute noch eine Weile auf meiner Unterlippe herum und hoffte, dass wir bald da waren, denn mir fiel ein, dass ich vorm Training noch einmal nach Hause musste, da ich meine Sachen zuhause gelassen hatte.

Wir waren in einem schönen Neubaugebiet auf der anderen Seite der Stadt stehen geblieben. Verwirrt schaute ich zu Reece, der bereits dabei war, auszusteigen. Meine Hand fuhr langsam zum silbernen Türöffner, damit ich austeigen und weiter nach dem Etwas, was Reece mir zeigen wollte, suchen konnte. Doch außer ein paar neugebaute Häuser war hier nichts Außergewöhnliches. »Ok und was wolltest du mir zeigen?», Will ich misstrauisch wissen, da ich überhaupt keine Ahnung hatte, was hier sein sollte. »Wir stehen davor!«, lächelte Reece überzeugend, weshalb ich in die Richtung schaute, in die auch seine Augen blickten. Ein einfaches Einfamilienhaus, das gerade fertig gebaut worden war. »Willst du hier einziehen?«, fragte ich ihn immer noch verwirrt, woraufhin er laut auflachte. »Komm mit!«, forderte er mich schließlich auf und lief plötzlich den gepflasterten Weg zum Hauseingang entlang. Neugierig folgte ich ihm, doch konnte mir noch lange keinen Reim daraus machen. Das Haus bestand aus gräulichen Ziegelsteinen, einem schwarzen Dach und weißen Überständen. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel machte das Ganze sehr eindrucksvoll und wirkte auf einen sehr mächtig. Je näher wir kamen, desto mehr Details konnte ich erkennen. Auf der rechten Seite war das Erdgeschoss teils verglast, sodass ich einen kurzen Blick in das leere Innere erhaschen konnte. Doch es war nichts Außergewöhnliches, da es sich nur um ein leerstehendes Einfamilienhaus handelte. Doch für Reece musste es etwas Wichtiges sein. Mit schnellen Fingern fischte er einen einzelnen Schlüssel aus seiner Hosentasche uns steckte ihn ins Türschloss. Es musste ihm oder einem Bekannten gehören, da Reece die Befugnis zu haben schien, das Haus zu betreten. Aber es wunderte mich nicht, denn Geld besaßen sie ja genüge.

»Willkommen in meinem neusten Projekt!«, begann er und machte eine einladende Geste, weshalb ich meinen Kopf neugierig über die Türschwelle steckte. Dabei fielen mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, sodass ich sie verlegend wieder hinter mein Ohr schob. Mein Blick glitt durch den offenen Raum und entdeckte hinten links eine kleine Küche im hochglänzenden Weiß. Ich schaute kurz misstrauisch zu Reece, doch der lächelte nur auffordernd, sodass ich mich weiter hinein traute und meine Augen erlaubte, weitere Eindrücke aufzunehmen. Durch die deckenhohen Fenster erkannte ich den kleinen Garten, der in satten Grüntönen schimmerte. In mir keimte der Wunsch auf, hinauszugehen und einen tiefen Atemzug zu nehmen, doch ich riss mich zusammen und schaute mich weiter um. Da in dem Haus kaum Möbel standen, hörte man wie sich unsere Atemzüge vermischten. Es war beruhigend und gruselig zugleich, doch ich ließ mich nicht weiter stören und erkannte stattdessen eine große Treppe hinter einer Wand, die im hinteren Teil des riesigen Erdgeschosses stand. Jedoch ging ich nicht weiter nach oben, denn es interessierte mich mehr, warum ich hier war. Ich drehte mich wieder zu Reece um und sah ihn fragend an, weshalb er kurz nickte. War es ein Zeichen für mich oder versuchte er sich damit selbst Mut zuzusprechen? Ich wusste es nicht.

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