3. Kapitel

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Am nächsten Morgen konnte ich nur mit sehr viel Mühe aufstehen. Ich schaffte es noch gerade so zu meiner ersten Veranstaltung und bekam sogar die Gespräche der anderen vor Unterrichtsbeginn noch mit. Überrascht lauschte ich den anderen, die sich wild darüber unterhielten, dass Reece wieder in der Schule war. Er hatte am Vortag noch so verkrampft versucht, seine Gefühle zu verstecken, dass ich mir vorstellen konnte, wie distanziert er nun sein musste, um nicht die wahren Emotionen zur Schau zu stellen.

Der Unterricht zog sich wie immer wieder unendlich lang und ich hatte das Gefühl, dass ich kurz davor gewesen war, einzuschlafen. Die Schulklingel befreite mich aus einen meiner Tagträume und dirigierte mich im Anschluss indirekt in den Flur. Dort blieb ich noch kurz an meinem Spind stehen und begrüßte Talia, die bereits auf mich wartete. »Hast du ihn schon gesehen?«, fragte sie mich neugierig und so leise, dass ich sie verstehen konnte. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und musterte ihr schmales Gesicht, welches von ihren wilden, rötlichen Locken umrahmt wurde. »Na Reece. Er sah so aus wie immer. Kein Anzeichen einer Entführung oder so etwas«, berichtete sie mir auf meinen fragenden Blick. Ihre Aussage ließ mich leise seufzen. »Talia lass es. Die Entführung ist wirklich passiert; die Polizisten waren da und haben nach ihm gesucht. Ich glaube, so etwas ist nicht einfach und man braucht lange bis man so etwas überhaupt realisiert! Und würdest du allen deine wahren Gefühle zeigen, die dich noch angreifbarer machen?«, entgegnete ich und nahm ihr somit jeglichen Wind aus den Segeln. Es gab schon wieder viel zu viele Gerüchte und nachdem ich Reece gestern so niedergeschlagen und fertig gesehen hatte, dachte ich einfach, dass er so etwas nicht auch noch brauchte. Talia schüttelte langsam und schien zu überlegen, denn sie strich sich gedankenverloren über ihre Anziehsachen. »Seit wann nimmst du ihn in Schutz?«, wollte sie wissen und ich rollte deutlich mit den Augen, um ihr im Anschluss mit zu teilen, dass ich das nicht tat. Meine beste Freundin hob nur kurz die Schultern, ehe sie ihre Stimme wiederfand. »Ist dir sonst noch etwas aufgefallen?«, fragte sie mich so leise, dass ich Mühe hatte, sie überhaupt zu verstehen. »Nein. Talia, ich habe nur geholfen. Niemand will mich entführen, zumal man seine Entführer auch noch in Haft hält!«, versuchte ich sie abermals zu überzeugen, doch ich glaubte kaum, dass das in naher Zukunft klappen würde. »In Ordnung«, kapitulierte sie lächelnd, bevor ihr leichtes Lächeln plötzlich verrutschte und sie auf einen Punkt hinter mir sah. Verwirrt drehte ich mich um und blickte direkt in die grünen Augen von Reece. Meine Mundwinkel zogen sich etwas nach oben, ehe ich ihn aufrichtig fragte, wie es ihm ging. Daraufhin verdrehte er nur seine Augen, ließ das unechte Lächeln auf seinen Lippen und kam scheinbar zum eigentlichen Thema.

»Kann ich dir vertrauen?«, fragte er mich und auch wenn seine Miene eine Leichtigkeit aufwies, wusste ich wie ernst ihm diese Worte waren, weshalb ich verwirrt zurückzuckte. Ich erinnerte mich an seine Worte, als er mir indirekt von seiner Entführung erzählt hatte. Denn scheinbar mussten es Freunde gewesen sein, die ihn entführt und somit sein Vertrauen missbraucht hatten. »Ja, natürlich. Was ist denn los?«, kamen die Worte schneller über meine Lippen, als ich sie überhaupt denken konnte. Er brauchte scheinbar wirklich eine Person, die er vertrauen konnte. Und obwohl wir nicht eine ganz so schöne Vergangenheit teilten, sah er in mir eine Art neue Vertrauensperson. Doch in meiner Antwort spiegelte sich auch Mitleid, denn ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, wie schlimm es für ihn wirklich gewesen sein musste. »Gut, dann will ich dir nachher etwas zeigen. Warte nach Unterrichtsende auf der Westseite auf mich«, sprach er und setzte seinen Weg schneller fort als ich schauen konnte. »Aber ich habe keine Zeit!«, rief ich ihm hinterher, doch dies bekam er gar nicht mehr mit. Als ich mich wieder umdrehte, schaute mir eine verwirrte Talia entgegen, doch ich wusste, dass ich vermutlich keine ihrer Fragen beantworten könnte, denn ich konnte es selbst nicht einmal.

Ungeduldig wartete ich nach Unterrichtsende auf Reece, denn ich hatte Felix, meinem Tanzpartner und bestem Freund versprochen, pünktlich zum Training zu kommen. Doch auch nach weiteren fünf Minuten tauchte der großgewachsene Junge nicht auf. Ich hätte einfach gehen können, doch etwas in mir ließ mich warten. Immer wieder lief ich im Kreis, wippte auf meinen Fersen, bis ich Reece schließlich durch die grüne Flügeltür kommen sah.

»Na endlich!«, rief ich erleichtert aus, als er mit einem charmanten Lächeln bei mir stehen blieb. »Ich habe eigentlich gar keine Zeit, Reece!«, erklärte ich meine Ungeduld, was sein Lächeln aber nicht verblassen ließ. »Aber doch hast du hier auf mich gewartet!«, sagte er nüchtern, weshalb ich meine Augen verdrehte. Auf meiner Zunge lag ein fieser Kommentar, den ich aber bitter herunterschluckte. Wenn ich mich jetzt aufregte, dann war ich in einer Stunde nicht einmal beim Training. »Entweder jetzt oder wir müssen das verschieben!«, entgegnete ich stattdessen und wartete darauf, dass wir unseren Weg zu seinem Auto fortsetzten.

»Gut, dann beeile ich mich«, antwortete er mir noch während er seine Autotür öffnete und sich auf den mit Lederbezogenen Sitz gleiten ließ.

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Hoffe, euch hat es gefallen und man liest sich im nächsten Kapitel ❤️😊

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