5: Entschlüsse

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,,Oh, habt ihr euch seit dem schon mal getroffen?", fragte Madison's Mutter erstaunt. Ich konnte nichts sagen, sondern starrte Madison einfach weiter an. Diese wandte langsam den Blick von mir ab und schaute zu ihrer Mutter. ,,Ja, Mum. Wir gehen auf die gleiche Schule und sind in einer Klasse. Er ist das Oberhaupt der Clique, von der ich euch erzählt habe.", erwiderte sie. Ich schluckte schwer. Je nachdem, was sie ihrer Mutter von der Clique erzählt hat, war ich gleich mächtig am Arsch. ,,Oh, das ist ja toll! Es freut mich, dass ihr euch wieder angefreundet habt.", meinte Madison's Mutter und auch meine Mutter lächelte. Doch ich würde dieses Lächeln wahrscheinlich gleich wieder verschwinden lassen. ,,Angefreundet ist vielleicht das falsche Wort.", warf ich leise ein, nachdem ich mich geräuspert hatte. ,,Was denn dann?", fragte mein Vater mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ich kannte diesen Blick. Er vermutete, dass ich etwas im Schilde führte. ,,Es ist sehr kompliziert. Ich weiß nicht, ob es ein Wort dafür gibt.", nahm mir Madison das Reden ab. Mein Vater, meine Mutter und Madison's Eltern schauten mich prüfend an, während Madison auf den Boden starrte. Ich merkte, wie mir gerade alles zu viel wurde. Automatisch griff ich in meine Jackentasche und meine langen Finger umschlossen die Zigaretten Packung. ,,Entschuldigt mich kurz.", murmelte ich, drehte mich um und verließ das Haus. Ich setzte mich vor der Tür auf die Treppen und zündete mir eine Zigarette an. Mit einem befreienden Stöhnen bließ ich meinen ersten Zug aus. Ich hörte das leise Klicken des Schlosses, als die Tür aufging. Doch ich drehte mich nicht um. Jemand ließ sich neben mir auf den Treppen nieder. Dünne zarte Finger nahmen mir die Zigarette aus den Fingern. Madison zog auch daran. Doch ich nahm sie ihr sofort wieder ab. ,,Fang bloß nicht wegen mir mit dem Rauchen an. Das ist nicht gesund.", sagte ich streng. ,,Für mich ist es genauso ungesund, wie für dich, also.", schnaubte sie und nahm mir die Zigarette wieder ab. Mit einem leisen Seufzen ließ ich sie gewähren. ,,Schon schräg, nicht?", fragte sie leise. ,,Ja. Irgendwie schon.", murmelte ich. ,,Hast du irgendwas geahnt?", fragte sie und ich schüttelte den Kopf. Dann schaute ich sie fragend an. ,,Ich habe nicht direkt was geahnt. Aber als ich dich das erste Mal ohne Sonnenbrille gesehen habe und diese Augen gesehen habe, hatte ich irgendwie das Gefühl, deine Augen zu kennen.", meinte sie. ,,Tja, da lagst du wohl komplett richtig.", seufzte ich und starrte auf einen Punkt auf dem Gehweg. ,,Ist es für dich sehr schlimm?", fragte sie. ,,Nein, nur verwirrend. Meine Eltern haben mir immer gesagt, dass wir damals unzertrennlich waren und wir beide uns gegenseitig besser kannten als unsere Eltern. Und jetzt zu wissen, dass du mich so gekannt hast, ist echt seltsam. Es fühlt sich seltsam an und ich bin verwirrt, aber trotzdem gibt es mir auch das Gefühl, dir voll und ganz vertrauen zu können. Weißt du, was ich meine?", erwiderte ich leise. ,,Ja, ich verstehe dich. Mir geht es genauso. Und irgendwie ist die Vorstellung witzig, wie ich bei den Mädchen angeben könnte, dich besser zu kennen als jeder andere.", meinte sie und ich musste leicht grinsen. ,,Dann würdest du dich ziemlich schnell, ziemlich unbeliebt machen.", erwiderte ich. ,,Ich bin doch schon unbeliebt. Schließlich verbringe ich mehr Zeit mit euch als andere Mädchen. Von Cindy mal abgesehen.", meinte sie dann. ,,Ja, weil jeder weiß, dass Cindy die kleine Schwester von Seth ist und Seth uns Anderen verboten hat, auch nur einen Finger an sie zu legen.", erwiderte ich. ,,Cindy ist so wunderschön. Mit ihren elfenartigen Gesichtszügen, den schwarzen Haaren und diesen leuchtenden grünen Augen.", seufzte Madison. ,,Jedes Mädchen ist auf die ganz eigene Art wunderschön. Manche mehr, manche weniger. Es sei denn natürlich, sie klatschen sich so viel Make Up ins Gesicht wie Britney.", meinte ich. ,,Das stimmt schon, was du sagst, aber es trifft nicht auf alle zu...", murmelte sie. Ich wusste, dass sie sich selbst meinte. Also schaute ich sie nun an und zwang sie mit einer Hand unter ihrem Kinn, mich ebenfalls anzuschauen. ,,Du bist auch wunderschön.", flüsterte ich und schaute sie dabei streng an. Sie lächelte leicht, schüttelte aber dennoch den Kopf. ,,Doch, Madison. Du bist wunderschön.", wiederholte ich. ,,An mir gibt es zu viele Macken, dass ich wunderschön wäre.", meinte sie. Und ich wusste, was sie meinte. Aber sie wusste nicht, dass ich von ihren Narben wusste. Dass ich sie gesehen habe. Langsam nahm ihr ihre Unterarme in meine Hände. Sie war so dünn und zierlich. ,,Ich weiß nicht, was der Grund war, dass du das gemacht hast. Aber jede Narbe hat ihre eigene Geschichte und sie machen dich nicht hässlich. Sie erzählen deine Geschichte und zeigen, dass du trotz all diesen schlimmen Sachen in deinem Leben, weitergemacht hast.", murmelte ich und strich mit dem Daumen über die Innenseite ihrer Arme. ,,Du weißt davon.", stieß sie geschockt hervor. ,,Ja...", murmelte ich. Sie entzog mir ihre Arme. ,,Wieso weißt du es?", fragte sie und ich hörte an ihrer Stimme, dass sie etwas histerisch wurde. ,,Weil ich sie gesehen habe.", antwortete ich leise. ,,Wer weiß es noch alles?", fragte sie und war nun richtig histerisch. ,,Niemand.", erwiderte ich. ,,Ja, klar. In eurer Clique erzählt ihr euch doch alles! Wer weiß es noch?", fuhr sie mich an. ,,Niemand! Ich habe niemandem etwas gesagt! Weder Seth, noch Jason, noch Riley! Selbst Derek habe ich nichts gesagt und er ist mein bester Freund.", entgegnete ich. ,,Das glaube ich dir nicht.", flüsterte sie, stand auf und ging wieder rein. ,,Madison!", rief ich ihr schwach hinterher, aber sie ignorierte es. Seufzend zündete ich mir eine neue Zigarette an, da die Andere schon abgebrannt war. Nach ein paar Zügen trat mein Vater aus der Tür. ,,Das Essen ist fertig.", sagte er. Ich nickte nur, trat meine Zigarette aus und folgte ihm ins Esszimmer. Dort setzte ich mich neben meine Mutter. Madison saß mir gegenüber und starrte auf ihren Teller. Ich tat es ihr gleich. Unsere Eltern schienen zu merken, dass zwischen uns eine seltsame Stimmung war. Wir beide fingen schweigend mit dem Essen an. ,,Wie kommst du eigentlich zur Schule, Madison?", wendete sich meine Mutter direkt an sie. ,,Ich laufe.", antwortete Madison und setzte ein bezauberndes Lächeln auf, bei dem ich sah, wie gespielt es war. Auch mir war nicht nach Lächeln. Am liebsten würde ich einfach meine Sachen einpacken und Reiß-aus nehmen. ,,Ist das nicht zu weit?", fragte mein Vater erstaunt. ,,Es ist schon eine halbe Stunde zu laufen, aber das geht schon.", meinte Madison lächelnd. ,,Ach du meine Güte, aber das muss doch nicht sein.", sagte meine Mutter. Ich nahm mein Glas und fing an das Wasser zu trinken. ,,Genau, Jamie könnte dich ja mit seinem Auto mitnehmen.", meinte plötzlich mein Vater. Ich verschluckte mich und spuckte das Wasser wieder ins Glas. Meine Mutter schaute mich ermahnend an. ,,Bitte?", fragte ich entsetzt, als ich wieder zu Luft kam und mein Hustanfall verebbt war. Madison war käseweiß im Gesicht geworden. ,,Nein, das ist wirklich nicht nötig.", meinte sie nun wieder engelsgleich. Ich starrte meine Eltern immer noch voller Entsetzen an. ,,Doch, das geht schon, nicht wahr, Jamie?", meinte sie und schaute mich streng an. ,,Aber, Mum, du weißt, wie das bei mir ist mit Mädchen und wenn wir beide dann zusammen auftauchen, könnte es...", fing ich an. ,,Jamie, keine Widerrede!", unterbrach mich meine Mutter. ,,Sicher, Mum.", murrte ich und stocherte lustlos in meinem Essen. Mein Appetit war mir gründlich vergangen. Als wir mit dem Essen fertig waren, erwartete ich, dass wir jetzt gehen würden. ,,Ihr könnt ja noch ins Zimmer gehen, während wir noch etwas quatschen, oder Madison?", meinte Hoffnung starb. ,,Natürlich, Mum.", meinte Madison. Widerwillig folgte ich ihr in ihr Zimmer. Ich sah eine kleine Holzkiste unter ihrem Bett und zog diese hervor. Sie war so groß,wie ein Handy. ,,Jamie, nicht...", fing Madison an, doch ich klappte sie schon auf. Dort drinne war ein kleines Taschenmesser. ,,Die ist jetzt konfisziert.", meinte ich und ließ die Kiste in die Innentasche meiner Jacke gleiten. Dann setzte ich mich neben ihr auf's Bett. ,,Darf ich deine Nummer haben, damit wir das mit dem Fahren klären können?", fragte sie schüchtern. Ich zögerte. Normalerweise gab ich niemandem meine Nummer. Lediglich die Clique hatte sie. Nicht mal Cindy hatte sie. Ich hatte einfach keinen Bock darauf, dass meine Nummer an die ganzen Mädchen gelangt und ich mit Anrufen und Nachrichten volgespammt werde. Doch dann holte ich mein Handy hervor und streckte ihr meine Nummer hin. Sie tippte diese ein. Ich wusste, dass sie mein Zögern bemerkt hatte. ,,Keine Sorge, ich werde sie an niemanden weitergeben.", murmelte sie, während sie mir mein Handy zurück gab. Ich nickte erleichtert. Es reichte mir schon, dass jeder mein Instaprofil kannte und ich täglich hunderte von Nachrichts-Anfragen bekam. Unsicher saßen wir schweigend nebeneinander. ,,Genießt du das eigentlich?", fragte sie. ,,Was? Jedes Mädchen haben zu können und der König der Schule zu sein?", erwiderte ich. Sie nickte leicht. ,,Naja. In manchen Dingen mehr, in manchen Dingen weniger. Mir jede nehmen zu können die ich will, ist schon eine gute Sache daran. Aber man wird zum Beispiel nie in Ruhe gelassen. Ich kann  mich nie einfach mal ruhig in die Cafeteria setzen und zu Mittag essen. Immer werde ich angestarrt. Immer will jemand was von mir. Und wenn die Lehrer ein Projekt oder so machen wollen, bekomme ich die Aufgabe das allen einzutrichtern, da mit zumachen. Auf mich hören ja alle.", meinte ich nachdenklich. Klar, hatte es gewisse Vorteile der Beliebteste zu sein, aber es gab auch haufenweise Nachteile. Die Stimmung zwischen uns war immer noch seltsam. Nach zwei Stundne ging die Tür auf und meine Mutter steckte den Kopf in den Raum. In diesen zwei Stunden hatten Madison und ich ein bisschen geredet. Aber ich wartete eher darauf, dass Madison sagte, weil ich wegen vorhin nicht wusste, was ich zu ihr sagen konnte und was nicht. ,,Jamie, kommst du? Wir gehen.", meinte meine Mum. ,,Ja.", erwiderte ich und stand auf. ,,Na dann, bis Montag.", murmelte ich in Madison's Richtung. ,,Ja, bis Montag.", meinte sie leise, bevor sie sich noch von meinen Eltern verabschiedete. Dann fuhren wir nach Hause. ,,Was sollte das am Tisch?", fuhr mich meine Mutter im Auto auch schon an. ,,Ihr wisst ja gar nicht, was ihr uns beiden damit antut.", zischte ich nur, bevor ich dann stumm aus dem Fenster starrte. Zu Hause rannte ich sofort in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Frustriert schnaubend beschloss ich, dass es Zeit für ein neues Tattoo war. Auch wenn das Tattoostudio morgen zu hatte, würde mein Freund für mich wahrscheinlich eine Ausnahme machen.

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Jamie hat ihr alle Tattoos schon, außer die Spinne mit dem kleinen Totenkopf untendrunter. Also alle bis auf sein Neustes.

It's been a little while now, since I last saw your face Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt