Kapitel 2 Westfall

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Der Weg nach Westfall war kaum mehr als ein Pfad aus blank getretener Erde, der sich durch Gras und Unterholz zog. Jemand, der nicht wusste, dass es diesen Pfad gab, hatte ihn vermutlich ziemlich schnell wieder aus den Augen verloren, aber Leif hätte den Weg im Schlaf gefunden. Einzelne Bäume, die hervorstachen und deren Blätter die Straße beschatteten, dienten ihm als Orientierung. Ein besonders auffälliges Exemplar markierte die Stelle, an der der Pfad teilweise völlig verschwand. Überspült von einem kleinen Bach blieben nicht einmal mehr die vereinzelten Wagenspuren zurück und Leif musste zum ersten Mal auf seiner Wanderung innehalten.

Der Baum, der die Stelle markierte, an der der Weg aufhörte, war offenbar schon lange tot. So lange wie Leif sich zurückerinnern konnte mindestens. Trotzdem war das Holz bisher nicht verrottet. Die Rinde jedoch war schon vor langer Zeit herunter geschält worden, sodass nur das ausgebleichte, fast weiße Holz zurückblieb. In den blätterlosen Zweigen hatte irgendjemand kleine Windspiele aufgehängt, die in der sanften Abendbriese aneinanderstießen und die Luft mit disharmonischen Glockenton erfüllten. An anderer Stelle hingen kleine Glastalismane, die das Licht der untergehenden Sonne einfingen. Angeblich war es gefährlich, zu lange in die Lichtreflexionen zu sehen. Und das nicht nur, weil es einen blendete.... Man wusste nie, was die Ahnen tun würden.

Ein Geisterbaum. Eine Tradition, der neben den Dörflern vor allen die ansässigen Gejarn- Clans nachgingen. Sie glaubten, die Geister ihrer Verstorbenen würden sich bis zu ihrer Wiedergeburt in solchen Bäumen manifestieren. Auch wenn er Leif vor allem als Wegpunkt diente, konnte er einen kleinen Schauer abergläubischer Ehrfurcht doch nicht ganz verbergen. Niemand, der bei klarem Verstand wäre, würde es je wagen, einen solchen Baum zu fällen. Selbst die Köhler ließen die Kultstädten in Ruhe, sodass die weißen Bäume meist als einzige unberührte Flecken auf den von den Holzfällern hinterlassenen Lichtungen zurückblieben. Es gab Magie. Sie war nicht ganz alltäglich, aber in den Städten bekam man sie zu sehen. Und dann gab es Dinge, die standen sogar noch darüber.

Leif wusste, dass er an dem Baum nach rechts musste, ein Stück weit den Bachlauf entlang, der den Pfad unkenntlich gemacht hatte um dann einige hundert Schritte weiter wieder einen Weg nach Westen einzuschlagen.

Rasch warf er noch einen Blick zu dem toten Baum, dann machte er sich wieder auf den Weg. Er war keine halbe Stunde mehr unterwegs, als Westfall langsam in Sicht kam. Die Siedlung war ein gutes Stück größer als Goldbrück. Zwei Dutzend großer Häuser gruppierten sich in einem Halbkreis um einen offenen Platz, auf dem normalerweise Märkte abgehalten wurden. Heute Abend jedoch war das Dorfzentrum verwaist, nur ein abgemagerter Hund scharrte im Dreck nach irgendetwas. Als das Tier Leif bemerkte, hob es kurz den Kopf, bellte einmal und rannte dann davon. Der Wald wich um das Dorf zurück und gab den Blick frei auf grüne Wiesen und goldene Felder, die nur noch einige Tage bis zur Ernte warten mussten.

Der Schmied trat auf den Platz hinaus und sah sich um. Eine alte Frau, die vor dem Eingang eines der Häuser saß, grüßte ihn kurz und er nickte respektvoll zurück. Er kannte die meisten hier zumindest vom Sehen her. Und die meisten kannten wiederum ihn, auch wenn oft nur als den „Schmied".

„Guten Abend. Ihr wisst nicht zufällig, wo ich Kornelius finden kann? Ich hab die Sense, die er wollte.", fragte Leif

„Ich habe ihn hier heute noch nicht gesehen, aber Ihr kennt ihn ja Schmied. Immer beschäftigt. Ist bestimmt noch auf seinem Hof."

Leif nickte. Das klang wirklich ganz nach Kornelius. Trotz seines schon fortgeschrittenen Alters war der Mann selten durch irgendwas zu bremsen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er bedankte sich kurz und machte sich dann auf den Weg, zwischen den Häusern hindurch zu den weiter außen liegenden Bauernhöfen. Breite ausgetretene Wege führten zwischen den goldenen Feldern eine sanfte Anhöhe hinauf zu Kornelius Hof.

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