Primrue Mellark 2 | Kapitel 17

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Es war mir nicht mehr möglich, mich auf die anderen Diplomaten zu konzentrieren. Ich wusste, dass es zwischen mir und Finn nicht mehr so war, wie früher. Aber hier vor ihm zu stehen war so viel schlimmer, als die Vorahnung. Ihn nicht einmal ansehen zu können, ohne an Dillian erinnert zu werden und das er ihm zu seinem Tod geholfen hatte, konnte ich ihn einfach nicht verzeihen. Mir war klar, dass es auch die Entscheidung von Dillian gewesen war, aber Finn hatte es ihn eben möglich gemacht, überhaupt darüber nachzudenken. Wenn er ihm nicht die Pille geschickt hätte, wäre vielleicht alles anders ausgegangen? Hätte ich es geschafft, mich selber umzubringen, bevor Dillian mich aufhalten hätte können? Ich würde es nie erfahren. Den Jungen aus Distrikt zwei, der mein Herz vor seinem Tod gestohlen und einen Teil davon mit sich, in den Tod, mitgenommen hatte. Nur Finn war noch da gewesen. Also musste er meinen Frust und meine Wut alleine tragen. Jetzt aber zu spüren, wie groß die Kluft zwischen uns wirklich geworden war, machte mir klar, dass ich auch ihn vor vier Monaten verloren hatte. Da war nichts mehr von den älteren Jungen, zu den ich immer aufgeschaut und der mich vor jeglichen Problemen geschützt hatte. Ich hatte damals nicht nur meinen kleinen, sondern auch meinen großen Bruder verloren...
„Alles okay?“ Ich schreckte zusammen, als ich die sanfte männliche Stimme vor mir hörte. Verwirrt schaute ich in dunkelbraune Augen, die mich mit echter Sorge anschauten. 
Der Junge aus Distrikt Neun.
Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wie alle Tänze vergangen waren. Zwar hatte ich immer nach Händen gegriffen und mich mit bewegt aber weder hatte ich die Männer wirklich gesehen, noch nach ihren Namen gefragt. Erst jetzt spürte ich auch die Blicke dieser Diplomaten auf mir. Hatten sie vielleicht mit mir gesprochen und ich hatte nicht reagiert?
„Primrue?“, fragte der Junge noch einmal besorgt und ich schaute ihn endlich wirklich an. Er trug an sich einen schlichten schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Mehr brauchte er aber auch nicht. Seine Ausstrahlung brauchte keine Unterstützung. Selbst jetzt wirkten seine kupferfarbenen Haare noch leicht zerstrubbelt. Entweder sein Stylist wollte seinen Charme auch nicht unterdrücken oder er hatte sie einfach nicht unter Kontrolle gebracht.
„Mir geht es gut.“, brachte ich endlich hervor, was ein Lächeln auf seine Lippen zauberte. 
„Dann bin ich ja beruhigt.“ Das war alles. Er versuchte, nicht herauszufinden was los war oder irgend etwas anderes über mich herauszuquetschen, wie alle anderen. Vorsichtig griff er einfach nach meiner Hand und begann mit mir zu tanzen. Zumindest wollte er dies, als wirklich langsame Töne erklangen. 
Fast schaute er mich entschuldigend an, als er mich etwas näher an sich heranzog. Innerlich bereitete ich mich schon darauf vor, dass es unangenehm wäre, einen Fremden so nah zu sein. Ich hatte so etwas noch nie gemocht aber seine Arme waren stark und sanft gleichzeitig. Er zog mich nah genug, um Selbstbewusst zu wirken aber hielt mich nicht zu fest, um mir Freiheit zu lassen. Um mir zu zeigen, dass ich selber mit entscheiden konnte.
„Danke...“, begann ich und bemerkte, dass ich seinen Namen vergessen hatte. Fragend schaute ich ihn an.
„Karlic.“; half er mir aus und schmunzelte.
„Tut mir Leid.“, entschuldigte ich mich peinlich berührt. Ziemlich sicher stellte ich mich nicht so gut an, als Diplomatin.
„Warum denn?“
„Ich habe mich nicht wirklich mit irgendeinen von euch beschäftigt. Keine gute Gesprächspartnerin.“
„Dein Name lässt sich auch leichter merken, als meiner. Schließlich hab ich noch nichts geleistet.“
„Ich auch nicht Karlic. Das einzige was ich geschafft habe, war es zu versagen.“ Der Satz war schneller heraus, als ich darüber nachdenken konnte. Seine Reaktion war jedoch anders, als ich sie erwartet hätte. Die Meisten hätten wahrscheinlich empört die Luft angehalten. Nicht Karlic. Kurz schaute er mich an, bevor er leise erklärte: „Aber du hast es geschafft, trotzdem weiter zumachen, auch wenn du eigentlich nicht wolltest. Aber du hast weitergemacht, weil dein Bruder und Dillian es wollten.“
Mir blieb keine Zeit darauf zu antworten, da in dem Moment, das Lied zu Ende war und er von mir weg trat. Mein Blick folgte dem jungen Mann und meine Gedanken blieben auch die restlichen Tänze bei ihm.
Ich war froh, als die Runde herum war und ich endlich Cato wieder gegenüber stand. 
Trius hielt noch einmal eine kurze Rede. Dankte uns, das wir unsere Distrikte verlassen hatten, um hier mit ihm und seinen Beratern zu arbeiten. Als wenn wir eine Wahl hätten. Aber immerhin eröffnete er danach das Büfett. 
Zwar beschwerte sich mein Magen lautstark darüber, dass er seit so langer Zeit nichts mehr bekommen hatte aber die Gesellschaft schlug mir stark auf den Appetit. Ich musste das Essen nur anschauen und mir wurde übel, wodurch ich mich von der anstürmenden Menge eher fern hielt. 
Ein Fehler, den ich erst später bereuen konnte.
Gerade als ich gehofft hatte, wenige Sekunden für mich zu haben, hörte ich eine Stimme hinter mir, die mir mein Blut in den Adern gefrieren ließ
„Willst du nichts essen? Nicht das du dich dann auf einen Teller von jemanden anderen stürzt.“ 
Die emotionslose und eiskalte Stimme würde ich unter tausenden wieder erkennen. Deswegen konnte ich auch meine Miene unter Kontrolle halten, als ich mich umdrehte und in eisblaue Augen hinaufschaute. Geier, wie ich den Hauptspielmacher immer nur genannt hatte. Sein graues Haar war etwas weißer geworden, seine Falten etwas tiefer. 
„Was machen sie hier?“ Stolz stellte ich fest, wie kalt und und gefasst meine Stimme dabei klang. 
„Warum bin ich wohl hier? Der Präsident möchte eben, dass seine Berater, die Diplomaten kennen lernen.“
Dieses mal schaffte ich es nicht, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Er war einer der Berater? Er?!?!
„Das hast du wohl nicht gewusst.“, vermutete er mit einen schmierigen Lächeln. „Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit.“ Als er mir seine Hand entgegenstreckte, konnte ich ein schaudern nicht unterdrücken. Bevor ich ihm ins Gesicht schlagen konnte, kam eine Hand hinter mir hervor und griff nach seiner Hand.
„Ganz unsererseits.“, gab Cato ruhig von sich.
Geiers Blick verrutschte für eine kurze Sekunde, bevor sein gestelltes Lächeln wieder zurück kam. Er nickte meinen Distriktpartner steif zu und verschwand wieder in der Menge. 
Ich starrte ihn einfach hinterher und wusste nicht, wie ich mit dieser Information umgehen sollte. Dieser Mann hatte die Mutationen erschaffen, die meinen Bruder getötet hatte. Allein deswegen hatte ich ihn schon für immer und ewig gehasst und gehofft, dass ich ihn nie wieder sehen müsste. Nun aber auch noch zu wissen, dass er sicher einer derjenigen war, der Trius überhaupt auf die Idee gebracht hatte, die Spiele als Bestrafung, wieder zurück zu bringen. Er war daran beteiligt, dass mein Bruder, Dillian, ich und alle anderen Jugendlichen vor vier Monaten, in die Arena mussten. 
„Primrue...“
„Wie kann er das tun?“, fragte ich mehr mich selber, als Cato. „Wie kann er einen Menschen wie ihn, als seinen Berater haben?“
„Primrue, das bringt nichts.“, versuchte mein Distriktpartner mich zu beruhigen. Wütend wirbelte ich herum.
„Was bringt nichts? Das ich mich darüber aufrege, dass dieser Mensch hier ist? Das ich mit ihm im gleichen Raum sein muss?“
„Es bringt sie nicht zurück.“ Catos Stimme war leise und doch fühlte es sich an, als hätte er mir eine Ohrfeige verpasst. Ich konnte ihn nur anstarren. Am liebsten hätte ich gebrüllt, geweint und um mich geschlagen. Alles zu gleich. Aber er hatte Recht. Es würde nichts bringen. Ich konnte mich so viel darüber aufregen wie ich wollte. Äußerlich und innerlich. Es würde sie nicht zurück bringen. 
Anscheinend schien mein Gesicht, meine Gedanken wieder zu spiegeln. Zumindest zog Cato mich an sich, ohne das ich etwas sagen musste. Kurz legte ich meine Stirn gegen seine Schulter und versuchte, alles zu ordnen. Natürlich hätte ich dafür etwas Zeit gebraucht...
Die man mir nicht gönnte.
Ich lehnte gerade gefühlte zwei Sekunden an Catos Schulter, als irgendjemand an meinem Kleid zupfte.
Ohne mich von meinem Distriktpartner zu trennen, schielte ich nach unten auf Navet, der mich mit großen Augen anschaute.
„Du wolltest mit mir tanzen.“, erinnerte er mich vorsichtig.
Als ich nicht gleich antwortete, wollte Cato mir wieder zur Hilfe springen. 
„Gib ihr noch ein paar Minuten.“
„Nein.“, unterbrach ich ihn und löste mich von seiner Schulter. „Jetzt wäre genau richtig.“
Ein breites Lächeln überzog das Gesicht des kleinen Jungen und ließ meine eigenen Welt für einen kurzen Moment etwas heller erscheinen.

Primrue Mellark 2 | Ungewolltes SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt