Primrue Mellark 2 | Kapitel 33

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Meine Füße trugen mich wie von alleine. 
Mein Kopf schien wie leer. Jeder Gedanke zählte nur Cato.
Der Mann aus Distrikt Eins war hinter ihm her. 
Karlic hatte mit ihm ein paar mal geredet und auch trainiert. Sein Name war Rage, seine Familie schon immer Verfechter der Hungerspiele. In seiner Ahnenreihe gab es mehrere Sieger der Spiele, wodurch es seine Familie immer gut gehabt hatte. Wenn einer von ihnen in die Spiele gegangen war, kam er als Sieger wieder. Als die Spiele abgesetzt wurde, hörte seine Familie nicht auf, ihre Kinder darin zu drillen und trainierte sie selber weiter. 
Er hatte anscheinend immer ruhig gewirkt, aber auch Karlic hatte schon im Kapitol dieses gefährliche Glänzen in seinen Augen gesehen. Rage wollte nicht einfach nur hier raus, um zu überleben. Er wollte diese Spiele gewinnen und niemand hielt ihn davon ab.
Außer Cato. 
Cato hatte ihn davon abgehalten, Karlic zu töten, wodurch sein Hass nun auf meinen Distriktpartner lag. 
Die Sorge und Angst um ihn schnürte mir fast die Kehle ab. Ich wusste, dass mein ehemaliger Mentor kämpfen konnte, aber laut Karlic hatte auch er keine Waffe gehabt, als sie zusammen aufgewacht waren. 
Im ersten Moment hatte der Junge aus Distrikt Neun gedacht, der andere Mann würde ihn einfach den Hals umdrehen. Stark genug wäre er dafür. Aber er hatte ihn nur kurz angestarrt und ihn dann befohlen, ihm zu Folgen. 
Ich war Cato dankbar dafür, dass er Karlic gerettet hatte, aber gleichzeitig wüsste ich lieber ihn nun hier bei mir, als meinen Freund, was zu meinen ganzen Gefühlschaos auch noch schlechtes Gewissen hinzufügte.
Um es einfach zusammen zu fassen; ich war ein Nervenbündel. Ein bewaffnetes Nervenbündel. 
Vielleicht hatte mich deshalb noch keiner der Anderen aufgehalten. 
Zwar hatte Nex leise meinen Namen gesagt, als ich einfach aufgestanden und gegangen war, aber er hatte mich nicht aufgehalten. 
Bis jetzt noch nicht. 
Als jedoch mein Arm von hinter mir gegriffen wurde, wollte ich einfach nur angreifen. 
Knurrend riss ich das Messer nach oben, als ich herumgewirbelt wurde. Im nächsten Moment umfassten starke Finger jedoch mein Handgelenk und hielten es an Ort und Stelle über meinen Kopf.
Meinen Kopf in den Nacken legend, um überhaupt zu Nex aufsehen zu können, hätte ich ihn am liebsten an gekeift aber kein Ton kam über meine Lippen. Zumindest konnte ich aber versuchen ihn zu Tode zu starren.
„Jetzt bleib verdammt noch mal stehen und beruhige dich.“, befahl der Mann aus dem Kapitol. 
„Nein“, gab ich stur zurück. Cato ist da draußen. Unbewaffnet. Er braucht mich.“
„Und in dem du planlos hier herum rennst, meinst du ihn helfen zu können?“
„Besser als nichts zu tun!“
„Das einzige was du damit bezweckst ist in eine Falle zu treten oder unseren neugewonnen Verbündeten da hinten umzubringen.“
„Was ist mit Karlic? Ist er verletzt? Wie geht es ihm?“, meldete sich mein schlechtes Gewissen zu Wort. Er hatte nicht gesagt, das er getroffen wurden wäre und ich hatte auch nicht schlimmes gesehen. 
„Wie es einem halt geht wenn man unbewaffnet gegen sechs Mutanten kämpfen durfte. Er braucht Ruhe Primrue. Mit deiner Geschwindigkeit kann er nicht mehr mithalten. Wenn wir hier angegriffen werden, ist er verloren. Und du wahrscheinlich auch.“
„Ich kann gut auf mich selber aufpassen.“ 
„Das glaube ich dir sogar. Aber selbst der beste Kämpfer gerät irgendwann in Unterzahl. Was willst du machen, wenn mehrere dich angreifen und wir zu weit zurück liegen.“
Frustriert gestand ich mir ein, dass er Recht hatte. Trotzdem war die Sorge um Cato übermächtig.
Langsam, als wäre er sich nicht sicher ob ich doch noch zustechen würde, ließ Nex meine Hand los. 
Ich senkte sie genau so vorsichtig und steckte die Klinge wieder weg. 
„Wir finden ihn. Nicht in Panik geraten.“, riet mir mein Verbündeter, „Das hat hier drin schon den ein oder anderen umgebracht.“
„Okay.“, gab ich leise zurück und ging an ihm vorbei, zurück zu Karlic. 
Er hatte sich ein paar Meter weiter hinten gegen die Wand gelehnt und die Augen geschlossen. 
Mein schlechtes Gewissen meldete sich lautstark wieder zu Wort, als ich sah, wie fertig er wirklich war. 
„Alles in Ordnung mit dir Karlic?“, fragte ich leise.
Ohne die Augen zu öffnen, verzog er den Mund zu einem grinsen.
„Alles bestens, sieht man das nicht?“
Ich musste ebenfalls schmunzeln, als Nex sich hinter mir wieder einschaltete.
„Lasst uns ein paar Minuten Pause machen. Dann gehen wir weiter.“
Karlic stimmte seufzend zu und rutschte an der Wand hinunter. 
Vorsichtig setzte ich mich neben ihn. 
„Tut mir Leid, dass ich die so hetzte.“
„Schon gut. Glaub mir, Cato war schlimmer.“ Wieder lächelte er mich an, aber dieses mal konnte ich es nicht erwidern.
„Im geht es gut.“, versuchte Karlic mich zu beruhigen, „Er war vielleicht nie auf der Akademie aber er ist genau so gut, wie jeder von da, wenn nicht sogar besser. Die Straßen sind hart und dort hat er gelernt zu überleben.“
Ich nickte zustimmen, auch wenn ich mich nicht entspannte. Das würde ich wohl erst wieder tun können, wenn ich Cato in meine Arme schließen konnte und es ihm gut ging. 
Der Junge aus Distrikt Neun schien dies auch zu sehen, wodurch wir einfach schweigend neben einander sitzen blieben. 
Nex hielt wie immer angespannt wache. Ich fragte mich, ob er überhaupt einmal schlief. Seine Augen huschten die ganze Zeit konzentriert hin und her. Man sah ihm an, dass er es gewohnt war, gejagt zu werden und ich fragte mich wieder einmal, was genau es damit auf sich hatte. 
Geier war sein Vater aber er hatte selber gesagt, dass er viele Namen hatte. Wenn wir einen ruhigen Moment hatten, würde ich heraus finden müssen, welches sein richtiger Name war. Wer er wirklich war. Nex schien jedoch nicht sehr stolz auf seine Herkunft, wodurch es schwer werden könnte, es aus ihm herauszubekommen. 
Während ich meinen Gedanken nach hing, konnte sich auch mein Körper ein wenig beruhigen. Vielleicht war die Pause doch keine schlechte Idee gewesen. 
Ich bereute sich trotzdem sofort in der nächsten Sekunde, als ein Kanonenknall ertönte.
Viel zu nah. 
Cato!
Innerlich schrie ich seinen Namen, während mein Körper, sich wie von alleine erhob und los rannte. 
Selbst Karlic schien durch den Knall wieder oben auf und folgte mir nur einen Bruchteil später, genau wie Nex. 
Meine Gedanken kreisten jedoch nur um meinen Distriktpartner.
Es durfte nicht er sein. Irgendjemand, aber bitte nicht er. 
Ohne ihn hätte dies alles keinen Sinn mehr. Warum sollte ich dann hier weiter kämpfen, wenn draußen nur Schmerz auf mich wartete?
Schlitternd kam ich vor einer riesigen Halle zum stehen. 
Das halbdunkel machte mich langsam wahnsinnig und ich kniff die Augen zusammen, um irgendetwas zu sehen. 
Im ersten Moment schien die Halle leer. Nur hier und da gestapelte Kartons. 
Doch dann sah ich es.
Eine Gestalt lag am Boden. Eine Blutlache um sich herum.
Blondes Haar. Groß
„NEIN!!!!“ Ich wusste nicht, dass so ein Schrei überhaupt aus meiner Kehle kommen konnte, aber er tat es. 
Mit tränenverhangenen Augen rannte ich auf die Leiche zu, auch wenn ich am liebsten davon weg gerannt war.
Cato durfte nicht tot sein. Bitte nicht. 
Neben den breiten Schultern der Leiche, brach ich in die Knie. 
Ich traute mich nicht ihn umzudrehen. Zu sehen, dass es vielleicht er war. 
Mit zitternden Händen griff ich trotzdem danach. Ein letztes mal atmete ich zittern ein, bevor ich ihn umdrehte und die Wahrheit sah. 
Im gleichen Moment griffen starke Arme nach mir und rissen mich in die Höhe, wodurch tiergleich aufschrie.
Strampelnd versuchte ich mich zu befreien, doch das einzige, was dadurch passierte war, dass die Gestalt hinter mir noch fester zugriff.
„Primrue!“ 
Ich erstarrte augenblicklich. 
Diese Stimme. Überall würde ich sie erkennen. 
„Cato?“, flüsterte ich hoffnungsvoll und fragte mich welch grausames Spiel hier getrieben wurde. 
Der Mann hinter mir setzte mich ab und drehte mich gleichzeitig zu sich um. 
Da stand er. Blondes, halblanges zerzaustes Haar. Dunkle Augen. 
Verwirrt schaute ich zu der Gestalt am Boden zurück. 
Dort lag nicht Cato, sondern ein vielleicht achtzehnjähriger Junge. Sein Haar war etwas heller als Catos und auch ein wenig länger. Seine Schultern nicht so breit.
Zitternd atmete ich ein, als ich wieder zu Cato schaute.
„Du bist okay?“, meine Stimme klang so verletzlich, dass ich mich selber erschrak.
„Ich bin okay. Rage hat anscheinend keine Lust mehr mich zu jagen, dafür war der Junge hier davon überzeugt, mich umzubringen.“
Ich hörte seine Worte kaum. Das einzige was zählte war, dass er hier bei mir war. Lebendig. 
In der einen Sekunde stand ich noch vor ihm und in der nächsten hatte ich meine Arme schon um seinen Nacken geschlungen. 
Die Töne die beim weinen, aus meinen Mund kamen, waren nicht schön,aber es war mir egal. Cato lebte. Er war bei mir. Alles andere war mir egal.
„Beruhige dich Primrue. Ich bin jetzt da.“, versuchte er mich zu beruhigen, doch seine eigenen Hände straften ihn Lüge. Seine Finger krallten sich genau so verzweifelt in meine Seite, wie meine um seinen Hals und er drückte mich so fest an sich, das kein Blatt zwischen uns passte. „Niemand wird dir mehr weh tun.“

Primrue Mellark 2 | Ungewolltes SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt