Primrue Mellark 2 | Kapitel 26

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Auch mehrere Stunden später, waren wir dem Rätsel keinen Schritt näher. 
Karlic und ich gingen gemeinsam zum Aufzug, während Daphne schon lange geflüchtet war. 
Frustriert seufzend rieb ich meinen Nacken, während wir nach oben fuhren.
„Lust auf was zu essen?“ Karlics Frage kam so überraschend, dass ich ihn einfach nur verwirrt anstarrte. 
„Ich hab noch was über von gestern.“, erklärte er mit roten Ohren.
„Du kochst selber?“, fragte ich beeindruckt. Selber brachte ich nicht mal eine Suppe zustande und ließ immer Diener mir was zu essen holen und ging in die Cafeteria. 
„Jap. Das Zeug hier aus dem Kapitol kann man nicht essen.“, grinste er, „Ich mein, allein die Farben sind... gewöhnungsbedürftig.“
Ich musste ebenfalls schmunzeln. Gleichzeitig war der Gedanke, einmal wieder etwas aus den Distrikten zu essen zu bekommen eine schöne Aussicht. Vielleicht waren wir erst seit circa einer Woche hier im Kapitol, aber es schien mir eher wie Monate.
„Klar, gerne. Warum nicht.“, erwiderte ich, was Karlic ein glückliches Lächeln auf die Lippen zauberte.
Auch in der Etage von Distrikt Neun schien alles ein wenig an ihr zuhause angepasst. Die Wände waren zumindest in einem sanften gelb gestrichen und erinnerten an Weizenfelder. 
Karlics Wohnung hatte, im Gegensatz zu meiner eigenen, etwas wohnliches. Dinge vom Kapitol, waren kombiniert mit Dingen, die definitiv aus seinem Distrikt waren. Überall hingen oder standen Bilder von seinen Freunden und seiner Familie. Alles wirkte warm und freundlich, was mich selber gleich wohler fühlen ließ.
„Alles okay?“, riss mich seine Stimme aus meiner Rundschau. 
„Was? Ich“, begann ich zu stammeln und schaute ihn an. „Doch ja. Ich finde es einfach nur...schön hier. Deine Wohnung ist soviel... wärmer als meine.“ 
Ich hoffte, dass er mich dafür nicht auslachte, doch er schien mich zu verstehen. 
„Ich hab ein paar Sachen mitgebracht. Vorher war ich noch nie im Kapitol und ich hatte Sorge, dass man schnell vergisst wo man herkommt. Ich wollte mich immer selber daran erinnern, wer ich bin.“
„Warum musst du so ein guter Mensch sein?“, scherzte ich.
„Einer muss es ja tun.“, konterte er schulterzuckend und grinste, bevor er sich daran machte, dass essen aufzuwärmen. 
Karlic erzählte dabei von seinem zuhause und schaffte es immer wieder, Details aus mir heraus zu kitzeln, die ich mit kaum jemanden besprach. Während des Essens, erzählte ich ihn sogar von Haymitch. Nicht von der Arena und wie ich ihn verloren hatte, aber von der Zeit davor. Wie mein kleiner Bruder war und was er mir bedeutet hatte. Wie wir klein waren und er mich immer fangen wollte, obwohl er mit seinen kürzeren Beinen nicht einmal nachkam. Das die Leute ihn alle geliebt hatten. Er war der kleine, leuchtende Stern des Distriktes, der nun irgendwie fehlte.
Mit niemanden hatte ich darüber je wirklich geredet, außer Cato. Nicht mit meinen Eltern oder meinen Großvater. Besonders nicht in letzter Zeit. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an ihn und die Gewissheit, dass er nicht mehr wieder kommen würde. Bei Karlic war es jedoch anders. Er schaffte es, die Stimmung immer angenehm zu halten, wodurch ich richtig spürte, wie sich die Narben in meinem Inneren, mit jedem Wort ein wenig mehr zu glätten schienen.
Auch als wir fertig waren, saßen wir noch lange auf seinem Sofa und erzählten uns Geschichten oder gestanden uns Peinlichkeiten, die wir angestellt hatten.
Ich fühlte mich wohl bei Karlic. Auch wenn sein Leben so komplett anders als meines war, schien er ein Naturtalent dafür zu haben, sich in andere rein zudenken und zu wissen, was er sagen musste, damit andere sich besser fühlten.
Als es wirklich spät wurde und die Müdigkeit über mir zuschlug, schreckte ich mich seufzend.
„Du solltest ins Bett.“, kommentierte Karlic mich schmunzelnd. Jedoch musste ich zustimmend.
„Wohl besser, sonst Schlaf ich morgen bei der Ratssitzung ein und ich denke, dass könnte den ein oder anderen ein wenig verstören.“ 
Ohne groß darüber nachzudenken umarmte ich Karlic. Für einen kurzen Moment versteifte er sich, doch dann erwiderte er die Umarmung. 
Bis auf meine Familie, Cato und Dillian hatte ich niemanden umarmt aber ich musste mir eingestehen, dass es gut tat. Seine starken Arme um mich zu fühlen, beruhigte mich und mein Körper saugte regelrecht seine abgesonderte Wärme ab. Jedoch war es nicht dasselbe wie mit Dillian. 
Oder Cato.
Verwirrt ließ ich wieder los, wodurch auch Karlic die Umarmung löste. Langsam bewegte ich mich zurück und verspürte die Spannung, die plötzlich zwischen uns herrschte.
Während wir uns, immer noch nah bei einander, anstarrten, wusste ich nicht wirklich was ich hier tat.
Wollte ich Karlic küssen? War es das was ich für ihm empfand?
Im ersten Moment hielt ich still, als sein Kopf sich auf meinen zubewegte, während sein Blick, an meinen Lippen hing. 
Doch wie ein Omen musste ich plötzlich an Cato denken. 
Wie er mich immer im Arm hielt und beruhigte. 
Wie er mit Navet umgegangen war.
In der letzten Sekunde bewegte ich mich deshalb zurück, wodurch wieder etwas mehr Platz zwischen uns entstand, auch wenn ich regelrecht spüren konnte, wie etwas dadurch zerriss. 
Wir schauten uns nicht gegenseitig an. Fast fluchtartig sprang Karlic von dem Sofa auf und ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Enttäuschung in seinen Augen.
„Karlic...“, begann ich leise, doch er unterbrach mich, in der gleichen Lautstärke.
„Schon gut. Kein Grund sich zu entschuldigen.“
Da hatte er Recht. Aber zumindest einer, um sich zu erklären. Deswegen stand ich auf und ergriff sein Handgelenk, damit er nicht mehr weglaufen konnte.
„Ich bin kaputt Karlic. Beschädigt. Nur noch eine leere Hülle. Das weißt du genau so gut, wie ich.“, begann ich zu erläutern. „Du hast etwas besseres verdient.“
„Darf ich das nicht selber entscheiden?“, fragte er traurig und schaute mich an, „Wer gut genug für mich ist?“
„Du denkst jetzt vielleicht ich wäre es, aber ich bin es nicht. Es vergeht keine Nacht in der ich nicht Alpträume habe. Oft wache ich schreiend auf oder laufe apathisch draußen herum. Viele denken ich bin verrückt und vielleicht stimmt das auch.“
„Niemand hat das durchgemacht, was du durchgemacht hast.“, verteidigte er mich.
„Und deswegen kann mich auch niemand verstehen.“
„Außer Cato?“ Die Frage kam überraschend, doch er hatte die Wahrheit verdient.
„Er versteht mich, ja. Er ist wie ich.“ Hatte aber nicht auch Cato etwas besseres verdient, als mich? Wie oft hatte ich ihn nachts aus dem Schlaf gerissen, weil ich nicht allein sein wollte.
Hatte ich überhaupt jemanden verdient? Dillian hatte sich für mich umgebracht und hier stand ich und kam nicht einmal mit meinem eigenen Leben klar.
„Es tut mir Leid Karlic.“, brachte ich leise hervor. Dieses mal begann er zu schmunzeln, auch wenn es nicht die Traurigkeit, aus seinen Augen vertrieb.
„Ich hab doch gesagt, dazu besteht kein Grund.“ Nun packte er meine Hand und zog mich sanft an sich. Dieses mal war die Umarmung jedoch ohne der Spannung, die sich aufbaute. Es war heraus, dass zwischen uns nie etwas sein würde und er hatte es akzeptiert, auch wenn er es nicht mochte.
Erleichtert, dass ich ihn nicht verlieren würde, seufzte ich auf.
„Danke Karlic.“, gestand ich und er drückte mir einen freundschaftlichen Kuss, auf den Scheitel.
„Geh schlafen, Primrue. Wir sehen uns morgen.“

Primrue Mellark 2 | Ungewolltes SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt