Primrue Mellark 2 | Kapitel 23

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Immerhin hatte Trius soviel Nachsicht uns diese Information erst einmal verarbeiten zu lassen. Da die Daten, Beweismittel und Akten alle in unser Domizil gebracht werden würden, hatten wir heute noch frei und musste noch nicht gemeinsam arbeiten.
Mit schnellen, starken Schritten trat ich wieder aus den Raum und ging durch den Besprechungsraum, um die Tür nach draußen aufzustoßen.
In der Halle war nicht mehr viel los. Die meisten waren schon abgefahren. Dadurch fiel mein Blick sofort auf Cato. Als würde er spüren, dass ich ihn ansah, hob er seinen Kopf. Sofort zuckte sein Mundwinkel nach oben und mein Herz machte einen kleinen Sprung, um gleich danach reumütig weh zu tun. 
Mein Bruder war tot. Dillian war tot. Kinder verschwanden spurlos. Und ich konnte nichts besseres zu, als mich darüber zu freuen, wenn mein ehemaliger Mentor mich anlächelte. 
Mein Körper schien sich jedoch genau so wenig sicher zu sein, was er eigentlich wollte. Während mein Gewissen mir am liebsten Dolche ins Herz stoßen wollte, hatten meine Beine sich schon in Bewegung gesetzt und gingen genau auf Cato zu.
Bevor ich jedoch bei ihm ankam, tauchte Shade auf einmal in meinen Blickfeld auf. Mit besorgten Blick kam er auf mich zu und ich blieb automatisch stehen. Auch Cato schien den Mann aus Distrikt Zwei zu sehen, denn nun setzte auch er sich in Bewegung und kam seinerseits auf mich zu, um mich fast gleichzeitig mit Shade zu erreichen. 
„Alles okay Shade?“, fragte ich nervös und war froh endlich wieder Cato hinter mir zu spüren. Auch wenn meine Gefühle mich gerade nur verwirrten und innerlich zerrissen stand eines fest. Ich fühlte mich verloren ohne meinen ehemaligen Mentor an meiner Seite. Mit ihm zusammen war ich stärker und entschlossener. 
„Ja, alles okay.“ Shade lächelte entschuldigend, „Ich wollte dich nicht erschrecken, tut mir leid. Die Informationen sitzen einfach noch etwas tief. Eigentlich bin ich wegen Navet hier. Der Junge langweilt sich sowieso schon wie verrückt und nun ist Bryony natürlich in Alarmbereitschaft, auch wenn er noch nicht alt genug ist, um ins Schema zu passen.“
„Die Kinder waren alle zwischen zehn und achtzehn Jahren.“, kommentierte Cato ruhig.
„Erkläre das mal Bryony.“, Ein kurzes lächeln huschte über Shades Gesicht, bevor er wieder ernst wurde. 
„Vielleicht könntest du“, sein Blick huschte kurz zu meinen Distriktpartner, „ihr bei uns mit zu Abend essen? Navet würde sich sicher freuen dich zu sehen Primrue und vielleicht akzeptiert er die Einengung dann leichter.“
Ich wechselte kurz einen Blick mit Cato, da schließlich auch er eingeladen war. Für mich stand fest, dass ich mitgehen würde. Zwar war mir nicht bewusst warum, aber ich mochte Bryony und Shade; besonders aber den kleinen Navet. Vielleicht erinnerte er mich einfach an meinen Bruder Haymitch, als er noch kleiner gewesen war und auch nie hören wollte, aber trotzdem alle mit seinen Charme um den Finger wickeln konnte. Erst als Cato leicht zustimmend nickte, erklärte ich: „Wir kommen gern mit Shade. Ich hoffe, ich kann helfen.“
Seine Miene hellte sich sofort auf.
„Danke. Wollen wir zusammen fahren? Bryony ist schon vorgegangen um schnellstmöglich bei Navet zu sein.“ 
Wieder nickte ich und Shade ging schon einmal vor, um ein Fahrgelegenheit zu besorgen. 
Ich schaute ihm hinter und merkte nicht, wie Cato näher kam. Erst als sich seine Finger mit meinen verschränkten spürte ich seine Nähe und das angenehme kribbeln, was auf einmal von meiner Hand ausging. Gleichzeitig verfluchte ich meinen Körper. Verräter.
„Ein ruhiger Abend mit anderen Diplomaten im Kapitol?“, begann Cato schmunzelnd, „Wenn ich dir das vor wenigen Tagen gesagt hätte, hättest du mir den Kopf abgerissen.“
Ich musste auch lächeln. „Ja. Aber das kann ich gebrauchen.“
„Was wollte der Präsident von euch Dreien?“
„Ich muss mit Daphne zusammen arbeiten. Was über die Kinder herausfinden.“
„Und Karlic?“ Etwas in Catos Stimme ließ mich aufhorchen und mich zu ihm umdrehen. Wirkte sein Blick irgendwie dunkler als sonst? 
„Er darf unseren Aufpasser spielen. Damit wir uns dabei nicht gegenseitig umbringen.“
„Warum er?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wahrscheinlich schien er Trius am neutralsten von allen.“
Shades pfiff hallte durch die Halle und unterbrach unser Gespräch. 
Wir gingen zu ihm und stiegen gemeinsam in den Wagen. Ich fühlte mich wohl. Einen angenehmen Abend, ohne Streitereien und anderen Dramen, konnte ich wirklich gut gebrauchen.


Die Anspannung in der Wohnung war regelrecht greifbar.
Gerade hatte Shade noch mit uns gespaßt, als er die Tür in der zweiten Etage aufgesperrt hatte und im nächsten Moment verhärtete sich sein Gesicht zu einer Maske. 
Warum verstand ich erst ein paar Sekunden später.
Navet saß vor dem Fernseher und schaute irgendeine Show für Kinder. Bryony stand im Küchenbereich, ihr gegenüber Finn.
Die Person, die ich am wenigsten sehen wollte und als letztes hier erwartete hatte. Anscheinend ging es mir damit nicht alleine so, wenn ich Shades Blick richtig deutete.
„Was macht er ihr?“, knurrte er in Richtung Bryony und ignorierte Finn dabei komplett.
„Er wollte gerade gehen.“ Bryony klang unglaublich müde und rieb sich die Stirn.
„Erst wenn ich eine Antwort bekomme.“, trug nun Finn bei und wirkte nicht weniger entschlossen, als Shade. 
„Auf was? Das du ein Idiot bist?“ Shades grinsen erreichte nicht seine Augen. Er wollte den anderen Mann eindeutig provozieren. 
Cato zog mich hinter Shade weg, um mich aus der Schussbahn zu bringen, falls Finn irgendetwas dummes machte. Der Mann aus Distrikt Vier aber war willensstark genug, um ruhig stehen zu bleiben. Er ignorierte den Diplomaten aus zwei einfach und schaute weiter auf Bryony.
„Warum bist du damals gegangen?“
Oha. Jetzt wurde es interessant. Mein Instinkt hatte mich nicht im Stich gelassen. Die beiden kannten sich. Sogar besser als ich vermutet hätte.
„Ich hab dir damals gesagt, das du wählen musste und du hast es getan.“
„Ich kann meine Mutter nicht einfach allein lassen.“
„Das verstehe ich.“ Bryony schaute traurig zu Boden aber Finn lachte nur wütend auf. 
„Ach ja? Tust du das?“, gab er zynisch zurück, „Bist du deswegen einfach abgehauen, ohne ein Wort zusagen? Der ganze Distrikt dachte, dir wäre etwas zugestoßen. ICH dachte, dir wäre etwas zugestoßen. Hast du darüber mal nachgedacht? Oder dachtest du einfach, ich lauf nach Distrikt Zwei und angle mir den nächsten Idioten?“ Seine Hand deutete auf Shade, der wiederum nur ein warnendes Knurren von sich gab.
Ich wusste nicht, ob ich eingreifen sollte oder lachen. Irgendwie wirkte es alles so unrealistisch.
Cato hielt mich jedoch weiterhin fest, wodurch die Version mit dem eingreifen weg viel. Immerhin bekam Navet, gebannt von seiner Sendung, von dem ganzen nicht wirklich etwas mit. 
„Pass auf was du sagst Odair.“, warnte Shade, „Dein Vater mag vielleicht eine Legende in Panem sein, aber das hält mich nicht davon ab, dir Manieren beizubringen.“
„Gesprochen wie ein braver Soldat.“, machte Finn sich über ihn lustig. Shades Muskeln spannten sich angriffsbereit an, doch Bryony rief nur seinen Namen, leise, und er entspannte sich ein wenig. Sein Blick war immer noch hasserfüllt aber immerhin wollte er Finn nicht mehr das Herz raus reißen oder ähnliches.
„Vielleicht sollten wir uns alle -“, versuchte ich die anwesenden zu beruhigen, wodurch ich die Aufmerksamkeit von Finn jedoch nur auf mich zog.
„Halt dich da heraus Primrue. Das geht dich nichts an.“
„Genauso wenig wie mein Leben dich etwas angeht und trotzdem mischt du dich immer wieder ein.“ Der Satz war draußen, bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte. Jeder im Raum starrte nun auf mich. Bryony eher traurig, Shade erstaunt und Finn... seinen Blick konnte ich nicht deuten, wie so oft in letzter Zeit. 
Eine weile schauten wir uns alle nur an, bevor Finn sich zum gehen wand. 
„Renn nicht wieder davon.“, bat Bryony müde.
„Du bist weg gerannt, nicht ich!“, knurrte er zurück und versuchte es ein weiteres mal. 
„Denk höchstens einmal in deinen Leben an jemanden anderen, als an dich und deine Mutter!“ Die Frau aus Distrikt Zwei gab nicht auf. Langsam drehte er sich wieder zu ihr um.
„Und an wen? Da ist niemand mehr?“ Seine Worte versetzten mir einen Stich, doch mir blieb nicht viel Zeit um darüber nachzudenken, da in dem Moment Shade sich wieder einmischte: „Wie wäre es mit dem Jungen?“ Er nickte in Richtung Navet der gerade über etwas Witziges lachte.
„Warum sollte ich mir Gedanken um deinen Sohn machen?“, fragte Finn verwirrt. Shade schaute nicht ihn an, sondern Bryony. Wieder schien diese Schweigsame Kommunikation zwischen ihnen von statten zu gehen, bevor er leise ergänzte: „Weil er nicht mein Sohn ist.“
Verwirrt schaute Finn zwischen den Beiden Diplomaten aus Distrikt Zwei hin und her und ein ungutes Gefühl beschlich mich.
Es dauerte eine Weile, bevor Bryony wieder aufschaute und leise erklärte: „Er ist nicht Shades Sohn Finn, sondern deiner.“

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