Primrue Mellark 2 | Kapitel 29

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Meine Füße trugen mich wie von selber in die angegebene Richtung und ließen mich vor einer offenen Tür schlitternd zum stehen kommen. Schnell versuchte ich die Situation zu erfasse, da meine Ankunft nicht unbemerkt blieb. 
Der Mann aus Distrikt eins, bewaffnet mit einem Messer, schaute mich wütend über seine Schulter, an, während vor ihm ein junges Mädchen hockte. Auch sie schaute in meine Richtung, jedoch eher ängstlich, als zornig darüber unterbrochen zu werden. Der Diplomat war eindeutig die größere Bedrohung. Groß und Breit war mir von Anfang an klar gewesen, dass er ein Kämpfer war aber ich hatte nicht gedacht, dass jemand so schnell von uns, auf die Bedingungen von Geier einging. In seinen Augen stand jedoch klar geschrieben, dass er hier wieder raus wollte, egal zu welchen Bedingungen. Wenn er dafür 47 Unschuldige töten musste, schien er damit klar zu kommen. 
Dummerweise schien er auch in mir die größere Bedrohung zu sehen, als in dem Mädchen, da er sich knurrend von ihr abwandte und auf mich zu kam. Er war mindestens zwei Köpfe größer als ich, von der Stärke brauchten wir nicht einmal reden. Außerdem hatte er eine Waffe, ich nicht. Das waren nicht die besten Ausgangsmöglichkeiten für einen Kampf, doch Regel Nummer Eins war nun mal schon immer gewesen: Angriff ist die beste Verteidigung.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stürmte ich auf den Riesen los, was im ersten Moment, den gewünschten Effekt hatte. Verwirrt blieb er stehen. Wusste nicht wie er darauf reagieren sollte, wodurch ich den ersten Schlag hatte. 
Der nächste Effekt war jedoch nicht so erfreulich, da dieser Schlag ihn anscheinend kaum etwas ausmachte. Grunzend schaute er auf die Stelle an der ich ihn getroffen hatte, bevor sein zorniger Blick ein weiteres mal, auf mir zum liegen kam. 
Okay...
Ich konnte seiner Pranke nur gerade so ausweichen. Zu allem übel schien er auch noch schnell zu sein, was die Liste meiner Nachteile, um eines erweiterte. Wir vollführten einen tödlichen Kampf, in dem die Klinge nicht nur einmal zu nahe an mir vorbei sauste. Immer wieder bearbeitete ich seine Knie, um ihn zu Fall zu bekommen. 
Leichter gesagt als getan. Auch wenn meine Tritte langsam Wirkung zeigten, wollte er einfach nicht zu Boden gehen. Meine Arme und Beine wurden mit jeder Sekunde, die im Kampf verstrich schwerer und meine Konzentration ließ nach, was im ersten Moment dazu führte, dass er mich mit der Klinge am Arm erwischte. Zischend nahm ich den Schmerz hin und versuchte ihn gleichzeitig wieder auszuschalten. Die kurze Sekunde, die ich dadurch jedoch abgelenkt war, wurde von meinem Gegner gnadenlos ausgenutzt. Als wöge ich nichts, packte er mich und hievte mich nach oben. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, flog ich auch schon durch die Luft und schlug hart gegen die Wand, so dass die Luft aus meinen Lungen gepresst wurde. Schlapp sank ich an dem Stahl herunter und konnte das siegessichere Lächeln, meines Gegners regelrecht spüren. 
Jedoch gab ich nicht so schnell auf. Ich erlaubte meinen geschundenen Knochen, sie für eine Sekunde auszuruhen und tat so, als wäre ich von dem Aufprall benommen. Der Mann aus Distrikt Eins schien nicht zu wissen, wie viel ich aushielt und wie oft ich von meinem Großvater gegen irgendwelche Bäume geworfen wurden war, wenn ich im Kampftraining unachtsam gewesen war. Wenn ich eins von ihm gelernt habe, dann war es Zähigkeit. Schmerz war okay, denn er zeigte dir, wenn etwas nicht stimmte. Jedoch musste man lernen, ihn ausschalten zu können, wenn er einem im Weg war. Eine Lektion, die er während seiner eigenen Hungerspiele lernen musste.
Aus halb geschlossenen Augen schielte ich zu meinem Gegner auf und versuchte, den richtigen Moment abzuwarten. Schließlich wollte ich nicht zu früh aufspringen und als Belohnung ein Messer zwischen meine Eingeweide bekommen.
Mehr spürte ich, als dass ich es sah, als der Mann mit der Klinge in seiner Hand ausholte und nach mir stach. Gerade so schaffte ich es meinen Kopf zur Seite zu reißen und gleichzeitig gegen seinen Ellbogen zu schlagen. Zwar schaffte ich es nicht, das Gelenk aus zu kugeln, doch ich wusste aus eigener Erfahrung, wie unglaublich schmerzhaft und betäubend ein Schlag auf diese Stelle, an der alle Nervenbahnen im Arm zusammentrafen und frei lagen, war. Jaulend fiel das Messer aus seinen tauben Fingern und reflexartig griff er nach dem schmerzenden Gelenk. 
Mit einer flinken Bewegung, gegen die mein Rippenbogen protestierte, nahm ich die Klinge an mich und war somit im Vorteil.
Der Mann aus Distrikt Eins schien dies genau so zu sehen, da er schlagartig den Rückzug antrat. 
Erleichtert ließ ich mich einfach hinfallen und verfolgte ihn nicht. Ich wollte nicht töten, wenn es nicht nötig war, wie bei meinen Spielen vor wenigen Monaten. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob er vielleicht irgendwo bereits Verbündete hatte, auch wenn ich dies bezweifelte. Aber ich konnte nicht sagen, wie sehr mich Geier wirklich hasste. Schließlich schien der andere Diplomat zumindest eine Waffe bekommen zu haben. Was, wenn ich die einzige gewesen war, die in einen Raum alleine eingesperrt gewesen war. Der Gedanke ließ mir fast den Magen umdrehen. Was wenn Cato mit Tributen zusammen gewesen war, die genau so dachten, wie mein Gegner gerade eben? Wenn er noch nicht einmal wieder richtig wach von der Betäubung gewesen war und schon angegriffen wurden war?
Ein Geräusch riss mich aus meinen düsteren Gedanken und ich erblickte das Mädchen, wie es sich ängstlich versuchte, hinter einer Kiste zu verstecken. Ich hatte komplett vergessen, dass sie da gewesen war. Immerhin griff sie mich nicht an, weshalb ich einen Versuch wagte.
„Keine Angst. Ich tue dir nichts. Versprochen.“ Um meine Worte zu bekräftigen, legte ich das Messer neben mich. Zwar immer noch in Reichweite, aber immerhin hatte ich es nicht mehr angriffsbereit in den Fingern.
Im ersten Moment war ich mir sicher, dass sie darauf nicht reagieren würde, was ich auch verstand. Ich hätte dem auch nicht vertraut. Doch langsam bewegte sich ihr Kopf neugierig hinter der Kiste nach vorne.
Langes hellbraunes Haar, große blaue Augen. Es dauerte einen Moment, doch dann erkannte ich sie wieder, als eines der Mädchen, die ich auf den Bildern gesehen hatte. Das Eine, welches sich so in meinen Geist gebrannt hatte.“
„Henna, richtig?“ Bei der Erwähnung ihres Namens zuckte sie sichtlich zusammen, schaute mich dann aber fragend an.
„Du weißt meinen Namen?“
„Wir haben nach euch gesucht.“, gestand ich schulterzuckend, „Oder besser gesagt, haben es versucht. Es gab keine wirkliche Verbindung zwischen euch allen.“
„Gibt es auch nicht.“, gab sie zu und ich schaute sie einfach nur an. Hoffte, dass sie weiter erzählte, was sie auch tat. „Keine Ahnung, nach was er uns aussucht, aber er ist sorgfältig darauf bedacht, immer unterschiedliche Kinder zu holen, damit es keine Verbindungen gibt, über die man darauf kommen könnte, welche wirklich hier sind.“
„Wo ist 'hier' eigentlich genau?“ Auf meine Frage zuckte sie nur mit den Schultern.
„Man kommt hier nicht raus.“ Wieder ein Kopfschütteln.
„Die meisten Etagen der Arena sind unter der Erde. Nur zwei sind darüber, wo es auch Fenster gibt und eine Tür. Doch das ist eine Falle. Alles ist von einem Kraftfeld umzogen. Stark genug, um dich bei der kleinsten Berührung zu töten. Niemand hat es bis jetzt überlebt.“
Immerhin wusste ich so wieder mehr über die „Arena“ in der ich war. Anscheinend war es wirklich ein riesiger Käfig.
„Ist es nur er, der diese Spiele macht, oder gibt es noch andere?“, versuchte ich mehr aus ihr heraus zu locken, doch sie zuckte wieder mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Es gibt jedenfalls Zuschauer, die seine Meinung über die Spiele teilen. Sie spielen Sponsoren aber es gibt nur selten etwas.“
Am liebsten hätte ich frustriert auf gestöhnt, aber ich schaffte es zu verkneifen und stattdessen mir über das Gesicht zu reiben.
„Nex kann dir mehr erzählen.“, brachte Henna hervor und ließ mich dadurch aufhorchen.
„Wer ist Nex?“
„Er war der Erste. Ist am längsten hier. Er passt auf mich auf.“, erklärte das Mädchen schüchtern.
„Und warum ist dieser Nex dann jetzt nicht hier?“, fragte ich, woraufhin sie rot anlief.
„Als er heraus fand, dass du hier bist, wollte er dich suchen gehen, um dich in unser Versteck zu bringen. Er meinte, es sei wichtig das zumindest du nicht stirbst. Ich wollte ihm helfen, aber er meinte es wäre sicherer, wenn ich im Versteck bliebe.“
„Aber du hast nicht auf ihn gehört.“, vermutete ich.
„Ich wollte ihn helfen und bin ebenfalls suchen gegangen, als er weg war. Dann kam aber dieser andere Kerl.“
„Jetzt ist er ja weg.“
„Danke.“, brachte sie hervor, „Das du mir das Leben gerettet hast.“
Sanft lächelte ich sie an. Schon als ich ihr Bild gesehen hatte, verspürte ich eine Verbundenheit mit dem jungen Mädchen. Ohne es wirklich zu wollen vertraute ich ihr, auch wenn ich wusste, dass dieser Nex komplett erlogen war, oder sie mich einfach direkt in seine Falle brachte. Gleichzeitig konnte es jedoch auch wahr sein und dieser Nex wusste mehr Dinge, als alle anderen hier. Vielleicht waren sie Lebenswichtig. Vielleicht halfen sie mir, die Anderen zu finden. Verbündete konnten in so etwas nie schlecht sein. Wahrscheinlich würde dieses Mädchen mein Tod sein und trotzdem stand ich auf. Ich ignorierte meine schmerzenden Knochen und hob die Klinge auf, bevor ich zu ihr ging. Einen Sicherheitsabstand behielt ich ein, aber weniger zu meinem Schutz, als zu ihrem Wohl fühlen. 
„Na dann. Du hast mich gefunden.“ Sie schmunzelte, „Dann bring mich mal zu diesem Nex.“

Primrue Mellark 2 | Ungewolltes SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt