Primrue Mellark 2 | Kapitel 20

1.2K 110 4
                                    

Ich hatte es geschafft in der Sitzung niemanden umzubringen. Jetzt danach, wusste ich nicht einmal wie. Vielleicht, weil einfach meine Verwirrung darüber, was wir hier eigentlich sollten, größer war, als im ersten Moment die Wut. Es wurde nur über belanglose Sache geredet und wir Diplomaten waren mehr oder minder brave Zuschauer. Was interessierte es mich, wie viel Geld in die Erneuerung der Straßen im Kapitol fließen sollte?
Genervt und mit immer Stärkeren Kopfschmerzen, stapfte ich Richtung Ausgang und hoffte, dass dort ein Wagen auf uns wartete. Cato hatte die Güte mir schweigend zu Folgen. Wenn er mit mir jetzt sprechen wollte, war dies alles andere als eine gute Idee. Er schien es genau zu sehen.
Daphne hingegen war wohl einfach dumm oder Lebensmüde. Zumindest lief sie neben Cato her und redete weiter auf ihn ein. Ihr Distriktpartner schlich hinter den beiden her. 
Auto. Wo war hier ein verdammtes Auto. Ich wollte hier nur weg. Oder die Autotür nutzen, um Daphnes Kopf dazwischen einzuquetschen. 
Mein Blick huschte endlich hin und her, bis ich eines sah. Ich ging auf den Fahrer, der davor stand, einfach zu. Er war so geistesgegenwärtig nichts zu fragen, sondern mir einfach die Tür aufzuhalten, damit ich einsteigen konnte. Cato tat es mir nach.
Genau wie Daphne und ihr Distrikt Partner.
Da Cato sich mir gegenüber gesetzt hatte, drückte sich die Diplomatin aus Distrikt Elf neben ihn und verbannte ihren eigenen Partner damit neben mich. Ich funkelte ihn nur einmal wütend an und er versuchte den Rest der Fahrt, soweit wie möglich weg zu rutschen.
Daphne hingegen hörte nicht einmal für wenige Sekunden auf, sich an Cato ran zumachen und er hatte sogar noch die nerven sie an zu lächeln!
Ich sprang regelrecht aus dem Wagen, als er endlich vor unserem neuen „zuhause“ hielt und hoffte, dass es nicht zu sehr nach Flucht wirkte.
Dummerweise gab es eben nur Fahrstühle, die mich nach oben bringen konnten und natürlich war keiner da. Kurz hämmerte ich frustriert auf den Knopf, bevor die Tür endlich aufging und ich einsteigen konnte. 
„Primrue, warte.“, hörte ich die Stimme von Cato und drückte auf den Knopf zur unserer Ebene. „Wir müssen reden.“
„Nicht jetzt.“, knurrte ich zurück und war froh, dass die Türen sich schlossen, bevor er bei mir ankam. Seufzend lehnte ich mich, mit geschlossenen Augen, gegen die Wand und konzentrierte mich nur darauf, wie mein Körper leicht gegen den Boden gedrückt wurde, als der Aufzug nach oben schoss. Angekommen, beeilte ich mich, in meine Wohnung zu kommen und hinter mir die Tür zu schließen. Ich hoffte, dass ich mich hier, wo ich sicher und allein war, beruhigen konnte, doch es half nichts wirklich. Nachdem ich eine halbe Stunde auf und ab gegangen war, musste ich mir eingestehen, dass ich die Wut im Bauch, so nicht loswurde. Effies Worte, über die Trainingshalle, kamen mir wieder in den Kopf. Schnell schlüpfte ich aus meine Kleid und durchwühlte mein Ankleidezimmer, nach brauchbaren Trainingssachen. Nachdem ich das Zimmer auf den Kopf gestellt hatte, hielt ich meine stolze Beute, von einer dunkelblauen Trainingshose, einer passenden Jacke und einem weißen, ärmellosen Shirt in der Hand. Erfreut zog ich die Sachen an und machte mich in Richtung Tür, wobei ich erst lauschte, ob irgendjemand draußen zu hören war. Ich wollte jetzt nicht reden. Wollte nicht erklären, warum ich zornig war, besonders, da ich es zum Teil selber nicht verstand. Ich wollte einfach nur nach unten gehen und meinen Frust an einer Puppe, oder einen anderen Menschen, der sich wehrte abreagieren.
Um so beruhigter war ich, als ich es ohne Zwischenfälle zum Fahrstuhl schaffte. Ein leichtes Kribbeln setzte in meinen Magen ein und es hatte definitiv nichts damit zu tun, das ich gerade nach unten sauste. Auch wenn ich die Spiele vor vier Monaten gehasst hatte, das Training in der Woche zuvor war wunderbar gewesen. Dort konnte ich sein, wer ich war, ohne das mich jemand wütend anstarrte. Die anderen waren eher beeindruckt von meinem Können, als das sie ängstlich zurück schreckten, wie die Jugendlichen früher in meinem Distrikt. Das Training würde mir gut tun, war es früh doch meine einzige Möglichkeit um meinen immer köchelnden Zorn in Zaum zu halten.
Ich war auch nicht die einzige, die den Raum für sich nutzte. Als ich eintrat, sah ich gerade wie der Mann aus Distrikt Sieben, den aus Eins mit Schwung über seine Schulter warf und keuchend liegen ließ. Johannas Adoptivsohn schien topfit. Er verzog nicht einmal die Miene oder atmete schwerer, als er grinsend fragte: „Noch jemand.“
Der würde mir gefallen.
„Ich“, brachte ich so überzeugend wie möglich hervor und alle Köpfe, auch von denen die um die Matte saßen und zusahen, schossen zu mir herum. 
Flax musterte mich kurz, bevor er mich zu sich winkte. Mit hoch erhobenen Kopf ging ich auf ihn zu. Erst jetzt sah ich auch Karlic, der vor der Matte, neben der blonden Frau, aus Distrikt Sieben saß. Er kämpfte also auch, was mich freudig stimmte. 
Ein schmunzeln schlich sich wie von selber auf mein Gesicht, als ich die Matte unter meinen Füßen spürte.
„Bist du dir sicher Kleine?“, fragte Flax noch einmal. Er wirkte dabei nicht arrogant. Es war wirklich nur eine Frage. „Ich will ungern Peetas kleines Mädchen verprügeln.“ Natürlich. Flax kannte meinen Vater, schließlich war er der Mentor seines Bruders gewesen.
„Vielleicht solltest du mich gerade deswegen nicht unterschätzen.“, konterte ich gespielt und grinste, was auch ihn ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
„Hört auf zu reden und fangt endlich an.“ Die Worte von Meleena waren im Spaß gesagt und trotzdem folgte ihr „Bruder“ diesen sofort mit taten. 
Erstaunt, wie schnell Flax war, konnte ich gerade in der letzten Sekunde seinen Schlag ausweichen. Zu spät erkannte ich, dass er diesen jedoch nur zur Ablenkung gesetzt hatte, um mir im gleichen Atemzug, mit seinem Fuß die Beine wegzuziehen. Hart schlug ich auf der Matte auf, schaffte es aber noch, meine Beine mit seinen zu verhaken, wodurch auch er ins wanken geriet. Als er nach vorne wegzukippen begann und mich damit unter sich begraben würde, rollte ich mich schnell zur Seite. Dieses mal war es Flax, der hart auf der Matte aufschlug. Ich ließ ihn keine Zeit zum durchatmen, sondern schlug sofort auf Kehlenhöhe mit der Handkante zu. Erst in der letzten Sekunde, fing er meine Hand ab und funkelte mich an. Fast gleichzeitig schossen wir nach oben und standen angriffslustig einander gegenüber.
Keine zwei Sekunden später stürzten wir uns schon wieder auf einander und bekämpften uns weiter. Erst zehn Minuten später, lag Flax schwer atmend auf der Matte, während ich neben ihm kniete.
„Unentschieden“, brachte er grinsend hervor. 
„Gibst du schon auf alter Mann?“, konterte ich genau so außer Atem.
„Nein, aber andere wollen auch noch.“ Schwer atmend kämpfte er sich nach oben und reichte mir die Hand. Nach kurzem zögern ergriff ich sie und ließ mich von Flax hochziehen. 
„Peeta kann stolz auf dich sein.“ Kurz strich er mir über den Kopf und sein Blick wurde sehnsüchtig, gleichzeitig aber auch traurig.
„Runter von der Matte. Ich bin dran.“, riss Meleena ihn aus seiner Starre, in dem sie ihn von der Matte schubste.
Bevor sie auch noch mir einen Tritt verpassen konnte, ging ich freiwillig von der Matte und ließ mich neben Karlic fallen.
„Nicht schlecht.“, lobte er. „Vor dir hatte Flax den Kerl aus Eins fertig gemacht. Hab gehört er wäre dort so was wie eine Kämpferlegende aber gegen Flax hatte er keine Chance.“ Als Antwort konnte ich ihn nur anlächeln.
„Da scheint jemand gute Laune zu haben.“, stellte Karlic fest.
„Ist das schlimm?“, gab ich zurück.
„Nein. Ich mag wenn du lächelst.“ Ich merkte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, bei seinem spaßhaften Kompliment. Niemand sagte normalerweise nette Dinge über mich.
„Und? Hast du Lust mir zu zeigen, was du kannst?“, forderte ich Karlic heraus. „Oder hast du jetzt Angst vor mir?“
Herausfordernd wackelte er mit den Augenbrauen, bevor er aufstand. 
„Aber nachher nicht weinen, wenn ich dir den Hosenboden versohlt habe.“, scherzend streckte er seine Hand nach mir aus und ich ergriff sie. Gemeinsam gingen wir in eine andere Ecke und bauten uns eigene Matten auf, da die andere noch immer belegt war. Wir stellten uns einander gegenüber und ich konnte mir nicht verkneifen, ihn mit den Finger heranzulocken.
„Fang an, wenn du dich traust.“
Das ließ Karlic sich nicht zweimal sagen. Lachend konterte ich seinen Angriff.
Selber fühlte ich mich endlich wieder ausgeglichen, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Besonders nicht, seit ich hier im Kapitol angekommen war. Morgen würde mein Körper wahrscheinlich fürchterlich Schmerzen aber ich wusste zumindest jetzt, wo mein Lieblingsort in dieser stählernden Stadt war.

Primrue Mellark 2 | Ungewolltes SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt